# taz.de -- 8. Mai im Bundestag: Schwieriges Gedenken | |
> Am Jahrestag der Befreiung wirbt der Historiker Heinrich August Winkler | |
> für Bundeswehreinsätze - und kritisiert die russische Regierung. | |
Bild: Gedenkstunde: Historiker Winkler am Rednerpult des Bundestags. | |
BERLIN taz | Am Ende standen sie alle auf, um zu applaudieren: die | |
Abgeordneten der Großen Koalition, die der Grünen, dann nach und nach auch | |
die der Linksfraktion. Die Gedenkstunde von Bundestag und Bundesrat zum | |
Kriegsende in Europa vor siebzig Jahren endete versöhnlich, auch wenn die | |
Opposition im Vorfeld über das Programm gemurrt hatte. | |
Als „etwas unausgewogen“ bezeichnete Linken-Fraktionsvize Sahra Wagenknecht | |
die Rednerliste, auf der drei Männer standen: Bundestagspräsident Norbert | |
Lammert (CDU), der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (ebenfalls | |
CDU) und Heinrich August Winkler (Historiker mit SPD-Parteibuch). | |
Tatsächlich dürfte Wagenknecht nicht alles gefallen haben, was sie am | |
Freitagvormittag im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes hörte. Zumindest | |
Winkler schreckte nicht davor zurück, bei Teilen der Opposition anzuecken. | |
In seiner Gedenkrede forderte er, dass sich Deutschland nicht prinzipiell | |
aus Militäreinsätzen im Ausland heraushalte – zumindest dann nicht, wenn | |
andernfalls Völkermorde drohten. | |
Zwar bedürfe es für Bundeswehreinsätze in solchen Fällen „nicht der | |
Berufung auf Auschwitz“. Umgekehrt gelte aber: „Weder aus dem Holocaust | |
noch aus anderen nationalsozialistischen Verbrechen noch aus dem Zweiten | |
Weltkrieg insgesamt lässt sich ein deutsches Recht auf Wegsehen ableiten.“ | |
## Kein Recht auf Wegsehen | |
Und dann war da auch noch die Sache mit Russland: Siebzig Jahre nach der | |
Befreiung Europas überschattete der Ukrainekonflikt den Gedenktag. Von | |
einer „tiefen Zäsur“ sprach Winkler und kritisierte die russische Regierung | |
scharf. Diese habe durch „die völkerrechtswidrige Annexion der Krim die | |
europäische Friedensordnung in Frage gestellt“. | |
Dass Wagenknecht und ihre russlandfreundlichen Fraktionskollegen dennoch | |
applaudierten, lag an anderen Sätzen des Historikers. Winkler appellierte, | |
„Ausbrüche der Fremdenfeindschaft, wie wir sie in Deutschland in den | |
letzten Monaten erlebt haben“, zu bekämpfen. Die Lehre aus der deutschen | |
Geschichte sei, „die Unantastbarkeit der Würde jedes einzelnen Menschen zu | |
achten“. | |
Ähnlich äußerte sich im Anschluss Bundesratspräsident Bouffier. Dem Unwesen | |
Ewiggestriger müsse „mit allen Mitteln des Rechtsstaats entschieden | |
entgegengetreten“ werden, sagte der hessische Ministerpräsident, der | |
zuletzt wegen NSU-Ermittlungspannen während seiner Zeit als Innenminister | |
in der Kritik stand. | |
Bundestagspräsident Lammert hatte zuvor an den verstorbenen | |
Exbundespräsidenten Richard von Weizsäcker erinnert. Dieser hatte 1985 den | |
8. Mai erstmals als „Tag der Befreiung“ bezeichnet und damit eine Wende in | |
der deutschen Erinnerungskultur eingeleitet. | |
8 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
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