# taz.de -- Gewalt im Nordkaukasus: Reporter und Aktivisten verprügelt | |
> In Inguschetien, unweit der Grenze zu Tschetschenien, überfallen | |
> Jugendliche Teilnehmer einer Pressetour. Die Journalisten müssen in eine | |
> Klinik. | |
Bild: „Die Schuldigen müssen gefunden werden!“ Protest in Moskau gegen den… | |
MOSKAU taz | „Ich dachte, ich muss jetzt gleich sterben“, berichtet | |
Oeystein Windstad. Der norwegische Journalist war mit einem Team von | |
Menschenrechtlern, russischen und ausländischen Korrespondenten auf dem Weg | |
von Inguschetien in die tschetschenische Hauptstadt Grosny. Kurz vor der | |
Grenze in die Nachbarrepublik versperrten plötzlich drei Wagen dem Minibus | |
der Gruppe die Weiterfahrt. | |
An die 15 maskierte Jugendliche sprangen aus den Autos und schlugen mit | |
Baseballschlägern die Scheiben des Minibusses ein. Jeden einzelnen hätten | |
sie daraufhin aus dem Bus gezerrt, sagt Windstad. Neben Schnittwunden, die | |
ihm mit einem scharfen Instrument beigebracht wurden, trug er mehrere | |
Prellungen davon. Vier der achtköpfigen Gruppe befinden sich noch immer in | |
stationärer Behandlung. Bei der Journalistin des schwedischen Fernsehens | |
musste eine Wunde am Bein genäht werden. | |
Am Ende steckten die Angreifer den Kleinbus in Brand. Arbeitsgeräte, | |
Papiere und Dokumente verbrannten. Die Schlägertruppe beschimpfte die | |
Aktivisten als „Terroristen“ und „Verräter“, „die in unserem Land ni… | |
suchen haben“. | |
Veranstalter der Pressetour war das Komitee zur Prävention von Folter | |
(KPF). Ursprünglich hatte die Nichtregierungsorganisation (NGO) ihren Sitz | |
in Grosny. Nach dem dritten Anschlag innerhalb eines halben Jahres zog das | |
Komitee nach Inguschetien um. Im Juli 2015 waren die Büroräume in Grosny | |
verwüstet worden. Als scharfe Kritikerin der Politik des tschetschenischen | |
Verwaltungschefs, Ramsan Kadyrow, war KPF der Republikführung seit langem | |
ein Dorn im Auge. | |
## „Ausländischer Agent“ | |
Seit 2015 ist die Organisation wegen finanzieller Unterstützung aus dem | |
Ausland gezwungen, auch den Zusatz „ausländischer Agent“ zu tragen. Den | |
ursprünglichen Namen „Komitee gegen Folter“ musste sie aufgeben, wollte sie | |
sich nicht selbst als „Agent“ denunzieren. | |
Schon 2009 schloss sich das KPF mit anderen Menschenrechtsorganisationen | |
zur Vereinigten Mobilen Gruppe in Inguschetien (VGM) zusammen. Die | |
Arbeitsbedingungen für NGOs waren zuvor in Grosny immer weiter verschärft | |
worden. Mehrere Mitarbeiter waren ums Leben gekommen. Darunter die | |
Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa, die im Juli 2009 entführt und | |
ermordet wurde. | |
Mitarbeiter von VMG beobachteten über Video, wie maskierte Jugendliche mit | |
Pistolen und Messern am Mittwochabend versuchten, auch in deren Büroräume | |
in Karabulak einzubrechen. Karabulak war während der Feldzüge des Kreml | |
gegen Grosny in den 90er und Nuller-Jahren das größte tschetschenische | |
Flüchtlingslager im Nordkaukasus. | |
Jegor Skoworoda vom russischen Portal Mediazona saß ebenfalls in dem | |
Minibus. Laut Nummernschildern seien die Wagen der Täter in Tschetschenien | |
zugelassen, sagte der Reporter. Tschetscheniens Sultan Ramsan Kadyrow wies | |
unterdessen jegliche Verbindung zurück. | |
## Rücksicht auf den Autokraten | |
In Inguschetien wird nun wegen Rowdytums und Eigentumsdelikten ermittelt. | |
Bislang führten jedoch alle Nachforschungen, deren Spuren ins Umfeld des | |
Verwaltungschefs wiesen, nie zu einem justiziablen Ergebnis. Moskau nimmt | |
Rücksicht auf den Autokraten, der über eine schlagkräftige Truppe verfügt, | |
die sich nur ihm persönlich verpflichtet fühlt. | |
Ein neuer Kaukasuskonflikt würde immense Kräfte binden. In letzter Zeit | |
reagiert Kadyrow empfindlich. Seit dem Mord an dem Oppositionspolitiker | |
Boris Nemzow vor einem Jahr soll der Kremlchef den Tschetschenen auf | |
Distanz halten, behaupten russische Beobachter. | |
Auch diesmal dürften die Untersuchungen nicht zu den Auftraggebern führen. | |
Schon die Beweisaufnahme ist schwierig, da Grosnys Sultan Sicherheitskräfte | |
des Nachbarn nicht auf seinem Territorium dulden würde. | |
Auch den Truppen des russischen Innenministeriums drohte er im vergangenen | |
Jahr, Feuer auf sie zu eröffnen, sollten sie ohne seine Erlaubnis | |
Tschetschenien betreten. Der Kreml tat so, als habe er nichts gehört. Im | |
vorliegenden Fall ist der Kreml zumindest im Bilde. Anscheinend wurde die | |
Gruppe bereits seit Tagen beobachtet. | |
Der Norweger Oeystein Windstad wollte dem Schicksal zweier Tschetschenen | |
nachgehen, die in Norwegen politisches Asyl beantragt hatten, jedoch an | |
Russland ausgeliefert wurden. Nach Angaben des norwegischen | |
Helsinki-Komitees seien die Deportierten gefoltert und umgebracht worden, | |
meldete der oppositionelle TV-Kanal Doschd. | |
11 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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