| # taz.de -- Vertreibung von Obdachlosen in Hamburg: Zu Hause unter der Brücke | |
| > Der Bezirk Mitte will Obdachlose von der Helgoländer Allee vertreiben. | |
| > Viele von ihnen kommen aus Osteuropa und bekommen keine Unterstützung. | |
| Bild: Wollen bleiben: Obdachlose unter der Brücke an der Helgoländer Allee. | |
| Hamburg taz | Es regnet, an der Straße stehen Reisebusse, der Verkehr | |
| rauscht vorbei. Am Rand einer Grünanlage zwischen St. Pauli und den | |
| Landungsbrücken haben sich acht Obdachlose unter der Kersten-Miles-Brücke | |
| auf Matratzen und Gepäck versammelt. Sie trinken, lesen, rauchen und | |
| kraulen ihre Hunde. | |
| „Das ist unser Zuhause! Wo sollen wir denn hin?“, fragt die 32-jährige | |
| Angelina. Sie kommt aus Polen, ihre Mitbewohner aus der Slowakei, | |
| Tschechien und Tibet. „Ich wünschte, dass ich irgendwann mal eine Wohnung | |
| hab’, dann nehm’ich die alle mit.“ Der Bezirk Mitte hat die Obdachlosen | |
| Anfang der Woche per Räumungsbescheid aufgefordert, ihre Zelte an der | |
| Helgoländer Allee abzubauen. | |
| Ein paar der Bewohner leben hier schon seit vielen Jahren, auch im Winter. | |
| Die Bild beschrieb den grünen Winkel kürzlich als „Camping-Meile“, die | |
| „ekelhaft und peinlich für unsere Stadt“ sei. Von der Polizei werden die | |
| Bewohner regelmäßig aufgefordert, ihre Gaskocher, Matratzen und dicken | |
| Decken abzugeben – aus Brandschutzgründen. Dann kommt es oft zu | |
| Diskussionen. „Das Zelten in Grünanlagen darf nicht zum Standard werden“, | |
| sagt die Bezirksamtssprecherin Sorina Weiland. „Die Einhaltung der | |
| Grünanlagenverordnung ist unsere Aufgabe.“ | |
| Zelten und nächtliches Lagern in Parks ist demnach verboten. Auch die | |
| Siedlung unter der Kersten-Miles-Brücke soll geräumt werden. Wegen der | |
| Brandgefahr und häufiger Beschwerden durch Anwohner. „Es muss eine | |
| langfristige Lösung gefunden werden“, meint Weiland. Alle Behörden und | |
| Institutionen müssten das gemeinsam angehen. Es habe keinen Sinn, | |
| „perspektivlos unter einer Brücke zu leben“, findet sie. | |
| Bezirksamtsleiter Falko Droßmann (SPD) hat deutliche Worte für die | |
| Straßenbewohner: „Man muss den osteuropäischen Obdachlosen sagen, dass sie | |
| hier keine Perspektive auf Arbeit oder Unterbringung haben. Ich will die | |
| Menschen ermuntern, in ihre Heimat zurückzukehren.“ | |
| Die Räumung der Plätze ist nicht unproblematisch. Oft haben Obdachlose | |
| keine andere Möglichkeit, als draußen zu schlafen. Das Pik As, eine | |
| zentrale Übernachtungsstätte für Wohnungslose, ist dauernd überlastet. Die | |
| Männer werden oft weggeschickt. „Und dann wundert man sich, was die da | |
| machen“, sagt Cansu Özdemir, Fraktionsvorsitzende der Linken. | |
| Anfang der Woche warf die Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege | |
| (AGFW) dem rot-grünen Senat eine massive Vernachlässigung der Wohnungs- und | |
| Obdachlosen vor. Es fehle der politische Wille zur Verbesserung, | |
| gesetzliche Vorgaben würden nicht erfüllt. | |
| In der Stadt gebe es rund 10.500 Wohnungslose, dabei dürfte die | |
| Dunkelziffer erheblich sein, berichtet die stellvertretende | |
| AGFW-Geschäftsführerin Sandra Berkling. Derzeit lebten rund 2.000 der | |
| Wohnungslosen auf der Straße – doppelt so viele wie im Jahr 2009. | |
| Gesetzlich müsse in Deutschland jeder, der wohnungslos ist, | |
| öffentlich-rechtlich untergebracht werden, sagt Stephan Nagel vom | |
| Diakonischen Werk Hamburg. Seit über einem Jahr werde dies allerdings | |
| massiv unterlaufen. Die Versorgung der nach Hamburg Geflüchteten habe | |
| gezeigt, dass es möglich ist, in kurzer Zeit viele Menschen unterzubringen. | |
| „Auch für Wohnungslose wäre das möglich, wenn der politische Wille da | |
| wäre“, sagt Nagel. | |
| „Da gibt es unterschiedliche Auffassungen zwischen den Verbänden und der | |
| Verwaltung“, sagt Marcel Schweitzer, Pressesprecher der Sozialbehörde. | |
| Flüchtlinge hätten einen Anspruch darauf, öffentlich-rechtlich | |
| untergebracht zu werden. Deshalb könnten für sie zur Not auch Unterkünfte | |
| nach dem Sicherheits- und Ordnungsgesetz und neu geschaffenen | |
| Ausnahmeregelungen gebaut werden. | |
| Für Zuwanderer aus Ost- und Südosteuropa gelte das nicht. Sie haben in der | |
| Regel erst einen Anspruch, nachdem sie eine Zeitlang in Deutschland | |
| gearbeitet haben. | |
| Für Notfälle verweist Schweitzer auf das vom 1. November bis zum 31. März | |
| laufende Winternotprogramm, in dessen Rahmen jeder nachts ein Obdach finden | |
| könne. Das Programm werde zu einem großen Teil von Osteuropäern genutzt, in | |
| der Unterkunft am Schaarsteinweg zu 58, in der in der Münzstraße zu 43 | |
| Prozent. | |
| „Wir haben das größte Winternotprogramm Deutschlands“, sagt Schweitzer. | |
| Zudem habe der Senat die Gesundheitsversorgung von Zuwanderern verbessert | |
| und neue Unterbringungsplätze geschaffen. | |
| Angelina sehnt sich unter der Brücke nach einem „stinknormalen Leben“. Ohne | |
| Stress, ohne Bezirksamt, ohne Polizei. Ohne dass sie ständig diskutieren | |
| muss. „Wir könnten alle arbeiten“, sagt sie. „Wir haben hier Dachdecker, | |
| Handwerker, Bauarbeiter, ich bin gelernte Friseurin und Kosmetikerin, hab | |
| als Designerin gearbeitet, kann im Büro arbeiten. Ich hatte schon fünf oder | |
| sechs Berufe. Hab’dann eine scheiß Zeit durchgemacht und bin auf der Straße | |
| gelandet. Das ist eine andere Geschichte.“ | |
| 21 Sep 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Hannes Vater | |
| ## TAGS | |
| Obdachlosigkeit | |
| Vertreibung | |
| Gentrifizierung | |
| Hamburg | |
| Hamburg | |
| Rumänien | |
| Obdachlosigkeit | |
| Kiosk | |
| Hamburg | |
| Law and Order | |
| Obdachlosigkeit | |
| Hamburg | |
| Sozialarbeit | |
| Obdachlosigkeit | |
| Bremen | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Der Frühling ist da: Senat beendet den Winter | |
| In der vergangenen Saison wurden deutlich mehr Obdachlose in Unterkünfte | |
| vermittelt als in den Vorjahren. Handlungsbedarf gibt es trotzdem | |
| Unterkunft: Obdachlose zweiter Klasse | |
| Beim Winternotprogramm werden nur „unfreiwillige“ Obdachlose eingelassen. | |
| Wer in Rumänien eine Wohnung hat, muss auf einem Stuhl übernachten | |
| Winternotprogramm in Hamburg: Rückreise statt Kälteschutz | |
| Soziale Einrichtungen befürchten, dass die Stadt Hamburg osteuropäische | |
| Bettler vom Winternotprogramm ausschließt. Die Sozialbehörde bestreitet das | |
| Kommentar zum Alkoholverbot am Kiosk – es trifft die Armen: Verdrängung ins … | |
| Der Leiter des Bezirksamts Mitte will ein Alkoholverbot an Kiosken. | |
| Leidtragend wären die, für die der Kiosk ein sozialer Ort ist und die sich | |
| keine Bars leisten können | |
| Zu warm für die Sozialbehörde: Obdachlose müssen frieren | |
| Die Linksfraktion fordert vom Senat, das Winternotprogramm für Obdachlose | |
| sofort zu aktivieren und ganztägig zu öffnen. Sozialbehörde winkt ab | |
| Polizeiübergriffe in Hamburg: Mit Rüstung ins Gefahrengebiet | |
| Um Geflüchtete zu kontrollieren, belagerte die Polizei einen Hinterhof in | |
| der Hafenstraße. Als Anwohner helfen wollten, rückte eine Hundertschaft an. | |
| Konkurrenz unter Obdachlosen-Zeitungen: Streit auf der Straße | |
| Schwierigkeiten für das Hamburgs Straßenmagazin „Hinz&Kunzt“: Nach | |
| Auftreten dubioser Konkurrenz, folgte ein Angriff auf deren Renommee. | |
| Obdachlose Osteuropäer vertrieben: Sie kommen wieder | |
| Polizisten vertreiben Obdachlose aus dem Park am Altonaer Nobistor. Das sei | |
| sinnlos, glaubt „Hinz & Kunzt“-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer. | |
| Ehrung: „Es fehlt der politische Wille“ | |
| Seit 23 Jahren leitet Birgit Müller die einzigartige Redaktion der | |
| Obdachlosenzeitung Hinz & Kunzt. Nun bekommt sie das Bundesverdienstkreuz. | |
| Pläne eines Hamburger Obdachlosen: „Ich bin mit meinem Leben überfordert“ | |
| Michael M. lebt in Hamburg auf der Straße. Seine Hündin Strange ist immer | |
| dabei. 2016 will er sein bisheriges Leben hinter sich lassen und in eine | |
| Wohnung ziehen. | |
| Elende Konkurrenz: „Wir lassen keinen Deutschen erfrieren“ | |
| Bisher waren Obdachlose eine Opfergruppe rechter Gewalt. Jetzt entdecken | |
| rechte Asylgegner sie für ihre Propaganda. |