# taz.de -- Burkini-Debatte in Frankreich: Kein Tag am Meer | |
> In Nizza tobte der Streit über muslimische Bademode. Jetzt kämpfen dort | |
> Aktivisten gegen die Entfremdung Frankreichs von seinen Muslimen. | |
Bild: Perfekter Ort für heiße Tage? Das finden muslimische Frauen auch | |
NIZZA taz | Am Tag, nach dem die ganze Welt Fotos davon sah, wie die | |
Polizei von Nizza eine muslimische Frau zwingt, einen Teil ihre Kleidung | |
auszuziehen, hat Sefen Guez Guez den größten Auftritt seiner bisherigen | |
Karriere. Er läuft den halben Kilometer von seiner Anwaltskanzlei am Rand | |
der Altstadt von Nizza zum Bahnhof, steigt in den TGV und fährt nach Paris. | |
Er tritt vor die obersten Richter Frankreichs und sagt, dass sie das Verbot | |
des Tragens religiöser Symbole an Stränden und in Schwimmbädern der Côte | |
d’Azur aufheben müssen, das Burkiniverbot. Es verstoße gegen die Freiheit | |
zu gehen, wohin man will, argumentiert Guez Guez. Und gegen die Freiheit | |
der Rede. Gegen die Freiheit des Glaubens sowieso. | |
Zwei Tage nach der Verhandlung in Paris, fährt Guez Guez mit dem Roller zu | |
seiner Kanzlei in der Rue Alfred Mortier, er trägt ein enges blaues Hemd, | |
Hornbrille, Golfschuhe. Er legt den Motorradhelm ab und schiebt einen alten | |
Lüfter neben seinen Schreibtisch. Um 15 Uhr will das oberste Gericht seine | |
Entscheidung verkünden, in drei Stunden. Klienten, Journalisten, Verbände, | |
alle werden einen Kommentar erwarten, Guez Guez aber kommt nicht dazu, sich | |
vorzubereiten. Ständig klingelt das Telefon. | |
Sefen Guez Guez, Ende 20, Rechtsanwalt, Sohn tunesischer Einwanderer, ist | |
spezialisiert auf Klagen gegen die Diskriminierung von Muslimen. „Seit dem | |
Angriff auf Charlie Hebdo ist das ein schwieriges Geschäft geworden“, sagt | |
er. Die Promenade, auf der der Tunesier Mohamed Salmene Lahouaiej Bouhlel | |
in der Nacht des 14. Juli 86 Menschen mit einem Lkw tötete, liegt nur | |
wenige Minuten von Guez Guez’ Büro entfernt. Frankreich, so sehen es viele | |
Muslime, bekämpft seitdem nicht nur Terrorismus, sondern vor allem seine | |
größte Minderheit. | |
## Viele Fragen, doch keiner stellt sie | |
Deshalb hat Guez Guez die Bürgermeister zweier südfranzösischer Gemeinden | |
verklagt, drei muslimische Frauen hatten ihn damit beauftragt. Doch das | |
Verwaltungsgericht von Nizza gab den Bürgermeistern recht. Es sei | |
rechtmäßig, das Tragen religiöser Symbole zu verbieten, um die öffentliche | |
Ordnung zu schützen. „Das ist so, als wenn man Schwarze verbietet, um etwas | |
gegen Rassismus zu tun“, sagt Guez Guez. „Wenn das Bestand hat, kommt bald | |
die Front National und sagt, Musliminnen dürfen mit Kopftuch nicht mehr Bus | |
fahren. Das ist dann Apartheid.“ Und überhaupt: „Wie kann es sein, dass | |
Bürgermeister das einfach entscheiden können, ohne Parlament?“ | |
Also klagt er ein weiteres Mal, vor dem Conseil d’Etat, dem obersten | |
Verwaltungsgericht. „Wenn die auch ablehnen, gehen wir vor den Europäischen | |
Gerichtshof.“ Dann hört Guez Guez auf zu tippen, steckt sein Telefon in die | |
Tasche. Er will zur Moschee. Muss er nicht seine Stellungnahme schreiben? | |
„Schon“, sagt er, „aber es ist doch Freitag.“ | |
Zum Stadtteil Ariane fährt die Buslinie 16. Er liegt einige Kilometer | |
außerhalb der Innenstadt, je weiter der Bus fährt, desto weniger weiße | |
Franzosen sitzen darin. In Ariane leben vor allem Migranten. | |
Ein unscheinbares, mehrstöckiges Wohnhaus, abgewetzte Fassaden, rote | |
Markisen, die größte Moschee Nizzas, die Ar-Rahman-Moschee, wäre | |
normalerweise nicht zu erkennen. Jetzt aber sind die Rollläden im | |
Erdgeschoss hochgezogen, über die ganze Breite des Gebäudes stehen Gläubige | |
beim Freitagsgebet, bis hinaus auf die Straße. Im Innern Fliesen und | |
Kronleuchter, die Predigt des Imams dringt hinaus. „Seid stolz auf euren | |
Glauben“, sagt er. „Das ist auch unser Land.“ | |
700 Menschen, zwei Ordner mit neonfarbenen Armbinden drängen die Betenden | |
von der Straße ins Innere. In der Mitte steht der Anwalt Guez Guez. Der | |
heutige Tag könnte entscheidend sein für das Verhältnis zwischen Frankreich | |
und seinen Muslimen. Das Urteil hat sehr viel mit dieser Stadt zu tun. Wie | |
wird es ausfallen? Wird es Proteste geben? Die Moschee ist ein guter Ort, | |
um Muslime an diesem Tag zu fragen, wie sie sich fühlen. Doch kein einziger | |
französischer Journalist ist zu sehen. | |
## „Nehmt das Ding ab!“ | |
„Wir interessieren die einfach nicht“, sagt eine junge Frau, Miriam, nach | |
dem Gebet. Sie ist 23 Jahre alt, studiert im vierten Jahr Jura. Ihr | |
Großvater ist aus Tunesien eingewandert, ihre Eltern wurden in Nizza | |
geboren, sie ebenso. Sie trägt eine schwarze Abaja, einen bodenlangen | |
Umhang mit glitzernder Borte, den Kopf in ein beiges Tuch gehüllt, die | |
Augen stark geschminkt. | |
„Seit ich ein Kind war, bin ich immer an den Strand zum Schwimmen | |
gegangen“, sagt sie. Das letzte Mal im Juli, am letzten Wochenende bevor | |
das Burkiniverbot in Kraft trat. „Meine Freunde von der Universität sind da | |
immer. Nur ich kann nicht mehr mit“, sagt sie. „Es ist so demütigend.“ | |
„Seit den Attentaten akzeptiert die Gesellschaft uns nicht mehr.“ Nudisten | |
hätten doch auch ihren eigenen Strand. Politiker behaupteten, das Kopftuch | |
unterdrücke Frauen, „aber das ist ihre Auffassung von Freiheit, nicht | |
meine“. Früher hätten muslimische und nichtmuslimische Franzosen | |
„koexistiert“, sagt sie. „Jetzt stellen sich die Leute neben die Polizist… | |
und sagen: ‚Ja, los, nehmt das Ding ab.‘ “ | |
Miriam erzählt von einer muslimischen Freundin, die ihre Mutter beim | |
Attentat auf der Promenade verloren hat. Als die Tochter am Unglücksort | |
trauern wollte, sei sie von Passanten beschimpft worden. Einer hat ihr | |
zugerufen: „Gut, dass sie tot ist.“ | |
Stadthitze statt Badestrand | |
Am Rand der Altstadt von Nizza liegt die Promenade du Paillon, eine | |
Grünanlage. Um sie herum patrouillieren Soldaten mit Maschinengewehren, in | |
der Mitte ist eine Fläche mit Steinplatten ausgelegt, groß wie ein halbes | |
Fußballfeld. Wie kleine Geysire schießen Wasserfontänen in die Höhe. Es ist | |
später Vormittag und über 30 Grad heiß. Im Schatten sitzen Frauen in | |
schwarzen Abajas. | |
Mohammad und Saina sind aus Paris gekommen. Sie stammen aus Ägypten, in | |
Nizza hatte Mohammed als Bauarbeiter gearbeitet, das Paar besucht die | |
Freunde von damals. Ihre Tochter ist vielleicht drei, sie trägt einen | |
türkisfarbenen Badeanzug und spielt mit den Wasserstrahlen. Mohammed läuft | |
ihr hinterher, um sie mit seinem goldenen Smartphone zu fotografieren. | |
„Wir würden schon gern an den Strand gehen, aber es ist ja für meine Frau | |
verboten“, sagt Mohamad. Von dem Verbot wussten sie vor ihrer Reise. „Wir | |
sind trotzdem gekommen. Die Stadt gefällt uns, und wir haben hier Freunde.“ | |
Zwei Polizisten reiten langsam auf großen Pferden an ihnen vorbei. Sie | |
schauen auf sie herunter, sagen aber nichts. | |
15 Uhr. Der Conseil d’Etat verkündet sein Urteil. Anwalt Sefen Guez Guez | |
bekommt recht: Das Verbot religiöser Kleidung an den Stränden des Badeorts | |
Villeneuve-Loubet stelle eine „ernsthafte und illegale Verletzung von | |
Grundfreiheiten dar“. | |
## Die Aktivistin im Burkini | |
Die Frau, die diese Klage in die Wege geleitet hat, liest auf Twitter von | |
dem Urteil. Sophie Ben Amor, 32, ist Softwareingenieurin. Sie hat einen | |
marokkanischen und einen französischen Pass. 2013 trat sie einer | |
Aktivistengruppe bei, dem Komitee gegen Islamophobie (CCIF), heute ist sie | |
eine der Hauptaktivisten der Gruppe im Süden Frankreichs. | |
Zwei Stunden nach der Urteilsverkündung sitzt sie im weißen Hosenanzug und | |
tintenblauen Kopftuch in einem Café neben dem Jachthafen von Antibes an der | |
Cote d’Azur: „Ich hoffe, dass das Urteil die Regierung umdenken lässt. Was | |
sie machen ist verfassungswidrig, und sie wissen das“, sagt sie. | |
Ben Amor hatte Musliminnen über Facebook aufgerufen, gegen das | |
Burkiniverbot zu klagen. Einige Dutzend haben sich bei ihr gemeldet, das | |
CCIF beauftragte den Anwalt Guez Geuz, drei geeignete Fälle für eine Klage | |
auszuwählen. „Wir sollen uns entscheiden zwischen unserer französischen | |
Identität und unser Religion. Aber das geht nicht“, sagt Ben Amor. | |
Auch sie geht im Burkini baden. Deshalb habe sie sich „zutiefst beleidigt“ | |
gefühlt, als der Stadtdirektor von Cannes, Thierry Migoule, das Verbot mit | |
dem Satz begründete: Burkinis zeigten die „Treue zu terroristischen | |
Bewegungen, die gegen uns Krieg zu führen“. | |
Am Ende bleibt nur die Flucht – aus Frankreich | |
In den letzten Jahren hat auch Ben Amor das Feuerwerk am Nationalfeiertag | |
in Nizza angeschaut. Nicht in diesem Jahr. Sie schlief, als der Attentäter | |
in die Menge raste. Ein Anruf aus Marokko weckte sie. „Geht es dir gut?“, | |
hatte der Vater gefragt. Als Ben Amor die Nachrichten im Fernseher sah, | |
wusste sie: Die Reaktionen auf den Terror würden sich gegen sie richten. | |
Vergangenen Donnerstag kam so eine Reaktion: In den Abendnachrichten | |
stellte der konservative Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy zwei neue | |
Punkte seines Wahlprogramms vor: Vollverschleierungsverbot in der | |
Öffentlichkeit, Kopftuchverbot an Universitäten. „Wo soll das enden?“, | |
fragt Ben Amor. „Dann kommt womöglich das Kopftuchverbot auf der Straße und | |
am Arbeitsplatz. Dann werde ich Frankreich verlassen müssen.“ Und das | |
Kopftuch abnehmen? „Unmöglich.“ | |
28 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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