# taz.de -- Katastrophenschutz in Deutschland: Atomunfall? Immer mit der Ruhe! | |
> Nach dem GAU in Fukushima wurden deutsche Notfallpläne für eine | |
> Reaktorkatastrophe überarbeitet. Umgesetzt wurden sie bis heute nicht. | |
Bild: Das AKW Grohnde bei Hameln: In der Region müssten im Notfall bis zu 175.… | |
Der Katastrophenschutz scheint der Regierung wichtig zu sein. Am Mittwoch | |
hat das Kabinett das umstrittene Zivilschutzkonzept verabschiedet: Die | |
Bevölkerung soll sich unter anderem mit privaten Vorräten für Notfälle | |
wappnen. Wenig Eile hat die Politik aber in einem anderen Bereich des | |
Katastrophenschutzes: dem Schutz der Bevölkerung bei Atomunfällen. | |
Dass es ein Problem gibt, ist seit über fünf Jahren bekannt. Die Grundlage | |
für die bisherigen Planungen ist die Atomkatastrophe in Tschernobyl. Die | |
Kernschmelze im japanischen Fukushima 2011 aber verlief anders. Zwar wurde | |
in Fukushima weniger Radioaktivität freigesetzt als in Tschernobyl – aber | |
über einen deutlich längeren Zeitraum. Die Radioaktivität verbreitete sich | |
darum über einem sehr großen Gebiet. | |
Das zuständige Bundesamt für Strahlenschutz reagierte damals schnell und | |
ließ überprüfen, welche Auswirkungen ein Unfall mit einem ähnlichen Verlauf | |
in Deutschland haben könnte, wie Wolfram König sagt, der Präsident des | |
Amts. Das Szenario lag ein halbes Jahr später vor. | |
Die Ergebnisse: Auch 20 Kilometer vom Unfallort entfernt – und nicht nur | |
10, wie bis dahin angenommen – kann eine Evakuierung notwendig sein. Und | |
die flächendeckende Einnahme von Jodtabletten, die die Aufnahme von | |
radioaktivem Jod verhindern sollen, ist nicht nur bis zu 25 Kilometer, | |
sondern auch noch in 100 Kilometer Entfernung notwendig. | |
## Was wäre dann in Landshut? | |
Danach aber verging viel Zeit. Nach zweieinhalb Jahren legte die vom | |
Bundesumweltministerium eingesetzte Strahlenschutzkommission die Radien neu | |
fest, in denen nach einem Atomunfall Katastrophenschutzmaßnahmen greifen. | |
Ein weiteres Jahr später wurden die kompletten Rahmenempfehlungen | |
gebilligt, was im Katastrophenfall geschehen soll. Doch umgesetzt werden | |
die neuen Vorgaben bis heute nicht. | |
Von den Veränderungen betroffen ist etwa die bayerische Stadt Landshut, | |
rund 15 Kilometer entfernt vom Atomkraftwerk Isar 2, das 2022 als einer der | |
letzten Reaktoren vom Netz gehen soll. Nach den alten Plänen muss im Fall | |
einer Atomkatastrophe nur ein kleiner Teil der dort lebenden Menschen | |
evakuiert werden. Die neuen Vorgaben besagen hingegen, dass sämtliche | |
250.000 BewohnerInnen der Stadt und der umliegenden Orte im Landkreis | |
innerhalb von 24 Stunden evakuiert werden müssten – inklusive mehrerer | |
Kliniken und eines großen Gefängnisses. Wie das gehen soll, weiß niemand. | |
Das bayerische Innenministerium habe erst Anfang des Jahres konkrete | |
Vorgaben für die Kommunen verabschiedet, sagt Harald Hohn, der für den | |
Katastrophenschutz in Landshut zuständig ist. Deshalb seien die | |
Evakuierungspläne noch nicht angepasst worden. „Ziel ist es, dass das bis | |
Ende 2016 abgeschlossen ist.“ Auch wie die Evakuierung konkret ablaufen | |
soll, ist offen. Die bisherigen Pläne gingen davon aus, dass 80 Prozent der | |
Menschen die Region mit dem Auto verlassen, heißt es aus der Landshuter | |
Pressestelle. Ob das unter den neuen Vorgaben realistisch wäre und es | |
kurzfristig genug Busse für die übrige Bevölkerung gäbe – das wird noch | |
geprüft. | |
## Keine Vorgaben vom Land | |
Noch weniger passiert ist im niedersächsischen Hameln, etwa 10 Kilometer | |
entfernt vom AKW Grohnde. Auch hier muss nach den neuen Empfehlungen der | |
gesamte Landkreis mit 175.000 EinwohnerInnen evakuiert werden können. Dafür | |
gibt es noch nicht mal Vorbereitungen. Es gebe noch keine Vorgaben vom | |
Land, sagt Harald Menzel, der für den Katastrophenschutz zuständig ist. Die | |
alten Vorgaben sehen nur eine Evakuierung von 5.000 Menschen vor. | |
Wann sich das ändert, ist offen. Die Kommunen sollten „absehbar“ | |
entsprechende Hinweise bekommen, teilt das niedersächsische | |
Innenministerium von SPD-Minister Boris Pistorius auf Anfrage mit. Die | |
bisherigen Planungen für den Katastrophenschutz böten „bereits einen guten | |
Schutz vor den Auswirkungen eines kerntechnischen Unfalls“. Das Ministerium | |
stellt sich damit gegen die Experten der Strahlenschutzkommission. | |
Doch mit der Verzögerung steht Niedersachsen nicht allein. Der | |
Bundesregierung lägen nur aus Bayern und Schleswig-Holstein Zeitplanungen | |
„für die Umsetzung der aktuellen Empfehlungen für den Katastrophenschutz in | |
der Umgebung kerntechnischer Anlagen“ vor, antwortete das Umweltministerium | |
im März auf Anfrage der Bundestagsabgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (Grüne). | |
Die kommentiert: „Wenn es in diesem Tempo weitergeht, ist der überarbeitete | |
AKW-Katastrophenschutz erst dann praxistauglich, wenn unsere letzten | |
Meiler abgeschaltet werden.“ | |
Und selbst wenn die Behörden die neuen Vorgaben eines Tages umgesetzt und | |
die logistischen Voraussetzungen für Massenevakuierungen geschaffen haben, | |
ist offen, ob die betroffenen Menschen rechtzeitig erfahren, dass sie sich | |
in Sicherheit bringen müssen. | |
## Testlauf im Jahr 2013 | |
Denn das Bundesumweltministerium darf Warnungen nur herausgeben, nachdem es | |
sich mit den Bundesländern abgestimmt hat. In einem Testlauf 2013 zogen | |
sich die Telefonkonferenzen so lange hin, dass die Behörden die erste | |
Warnung erst herausgegeben hätten, nachdem die radioaktive Wolke schon | |
vorbeigezogen war. | |
Damals wurde angeregt, die Pflicht zur Anhörung der Länder zu streichen. | |
Passiert ist das bis heute nicht. Das Strahlenschutzvorsorgegesetz gilt | |
unverändert; einen Termin für die Novellierung gebe es nicht, heißt es aus | |
dem Umweltministerium. | |
Dank der in dieser Woche verabschiedeten Empfehlungen zur Vorratshaltung | |
hätten die Menschen nach einem Atomunfall aber wenigstens genug Wasser im | |
Haus. | |
28 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Malte Kreutzfeldt | |
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