| # taz.de -- Thomas de Maizière über Terror & Angst: „Ältere Leute sind das… | |
| > Eine Gesellschaft muss bei Anschlägen und Naturkatastrophen wie ein | |
| > Stehaufmännchen reagieren, sagt Innenminister Thomas de Maizière (CDU). | |
| Bild: Nicht nur Terror: Auch ein Tornado kann schädlich sein | |
| taz: Wir brauchen „heroische Gelassenheit“ im Umgang mit der | |
| terroristischen Bedrohung, sagte der Politikwissenschaftler Herfried | |
| Münkler. Sehen Sie das auch so, Herr de Maizière? | |
| Thomas de Maizière: Ja, nur kann die Politik das nicht verordnen. Das muss | |
| aus der Gesellschaft selbst kommen. | |
| Können die Deutschen „heroische Gelassenheit“? | |
| Neulich habe ich auf dem Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz mit | |
| Besuchern und Standbetreibern gesprochen, ein Jahr nach dem furchtbaren | |
| Anschlag. Allen war bewusst, was passiert war. Doch sie waren da, nicht | |
| trotzig, sondern selbstbewusst. Das hat mich beeindruckt. Wir müssen | |
| achtsam sein, nicht furchtsam. Sicherheitsforscher sprechen von einer | |
| „resilienten“ Gesellschaft. | |
| Was bedeutet Resilienz? | |
| Der Begriff kommt aus dem Lateinischen, vom Verb „resilire“, das heißt | |
| zurückspringen, abprallen. Stellen Sie sich ein Stehaufmännchen vor. Eine | |
| bunte Figur mit abgerundetem Rumpf. Sie kippt um, wenn Sie sie anstoßen, | |
| und kehrt dann in den alten aufrechten Zustand zurück. | |
| Und was heißt das in der Sicherheitspolitik? | |
| Das heißt: Infrastruktur muss so konstruiert werden, dass Angreifer | |
| möglichst wenig dauerhaften Schaden verursachen können. Aber auch eine | |
| Gesellschaft soll so widerstandsfähig sein, dass sie nach Erschütterungen | |
| möglichst schnell wieder in einen sozialen, wirtschaftlichen und | |
| politischen Normalzustand zurückkehrt. | |
| Gibt es Vorbilder für resiliente Gesellschaften? | |
| Ich denke etwa an Israel. Die Bedrohung dort ist offenkundig und | |
| unvergleichlich höher als bei uns. Und doch leben die Menschen ein offenes, | |
| freiheitliches Leben, sind fröhlich auf den Straßen. | |
| Ist Resilienz ein politisches Ziel der Bundesregierung? | |
| De facto ja, aber der Begriff wird noch selten benutzt. Wir sprechen meist | |
| noch ganz traditionell von „Zivilschutz“, „Bevölkerungsschutz“ und | |
| „Prävention“. Aber Resilienz ist dabei immer mitgedacht. | |
| Was kann der Staat konkret für eine resiliente Gesellschaft tun? | |
| Zunächst muss er dafür sorgen, dass seine eigenen Einrichtungen im | |
| Krisenfall arbeitsfähig bleiben oder schnell wieder arbeitsfähig werden. | |
| Zweitens muss er sich um kritische Infrastrukturen kümmern. Das sind | |
| diejenigen, deren Ausfall für eine Gesellschaft kritische Folgen hätte, | |
| weil Versorgungsengpässe oder die Störung der öffentlichen Sicherheit | |
| einträten: Energie, Wasser, Internet, Verkehr, Finanzströme. Solche | |
| Infrastrukturen werden oft privat betrieben, doch der Staat muss Vorgaben | |
| machen und macht sie auch. Und dann gibt es noch die private Vorsorge der | |
| Bevölkerung, hier versucht der Staat zumindest zu sensibilisieren. | |
| Wie schnell muss nach einem Angriff die Stromversorgung wieder | |
| funktionieren? Nach fünf Minuten, nach einer halben Stunde? | |
| Nach maximal 72 Stunden. Das ist relativ lange, ist aber auch die absolute | |
| Grenze. Natürlich soll es viel schneller und Schritt für Schritt wieder | |
| Strom geben, schon wenn man bedenkt, was in unserer Gesellschaft alles | |
| nicht funktioniert, wenn die Stromversorgung ausfällt. | |
| Die Energiewende ist so gesehen doch gut für eine resiliente Gesellschaft? | |
| Ganz viele dezentrale Anlagen statt wenige verwundbare AKW. | |
| Stimmt. Aber eine Reserve brauchen Sie doch, falls der Wind nicht weht oder | |
| die Sonne nicht scheint. | |
| Ist Deutschland gut im Schutz kritischer Infrastrukturen? | |
| Im klassischen Brandschutz von Gebäuden sind wir derzeit besser. Da ist von | |
| der Planung bis zum Bau alles auf die Vermeidung von Bränden ausgerichtet. | |
| Auf ein vergleichbares Niveau müssen wir schnell auch beim Schutz von | |
| Infrastrukturen kommen. Ein großer Schritt war in der letzten Wahlperiode | |
| das IT-Sicherheitsgesetz. Es verpflichtet zum Beispiel die Betreiber von | |
| kritischen Infrastrukturen, alle erheblichen Störungen zu melden. | |
| Mit welchen Bedrohungen müssen wir beim Schutz von Infrastrukturen rechnen? | |
| Große Schadenslagen können viele Ursachen haben. Terrorismus ist nur eine | |
| von ihnen. Aufgrund der Klimaveränderungen müssen wir auch verstärkt mit | |
| Naturkatastrophen rechnen. Fluten werden zunehmen, es wird lokal | |
| auftretende Starkregen und Tornados geben. Sie kommen wie aus dem Nichts, | |
| können aber großen Schaden anrichten. | |
| Im Sommer 2016 haben Sie die Bevölkerung aufgerufen, für zehn Tage Proviant | |
| anzulegen … | |
| Das steht so in der Zivilschutzstrategie der Bundesregierung. | |
| Wie fanden Sie die Reaktionen? | |
| Teilweise sehr erstaunlich. Die Bereitschaft, sich privat auf Notlagen | |
| einzustellen, ist bei vielen nicht allzu groß. Wobei es sehr | |
| unterschiedlich war: Ältere Leute sind das noch gewohnt, und auf dem Land | |
| hat man in der Regel ohnehin Vorräte im Keller. Unverständnis gab es eher | |
| bei jungen Leuten in der Stadt. | |
| Ihnen wurde auch Panikmache vorgeworfen, Effekthascherei vor Landtagswahlen | |
| … | |
| So ein Unsinn. Das neue Zivilschutzkonzept war fertig. Deshalb habe ich es | |
| vorgestellt. Es ging überhaupt nicht um eine akute Bedrohungslage und schon | |
| gar nicht um terroristische Bedrohungen oder Kriegsvorbereitungen. Da wurde | |
| leider viel hineingelesen und bewusst Stimmung gemacht. | |
| Sollte Vorratshaltung vorgeschrieben werden? | |
| Es gibt durchaus Vorschriften, bei denen der Staat privaten Selbstschutz | |
| vorschreibt. Autofahrer müssen sich anschnallen. Motorradfahrer müssen | |
| einen Helm tragen. Aber bei der privaten Lebensmittelvorratshaltung halte | |
| ich das nicht für notwendig. Wir müssen vielmehr das Bewusstsein dafür | |
| wecken, dass Vorsorge etwas Selbstverständliches ist, dass in der Krise | |
| nicht nur der Staat verantwortlich ist. | |
| Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe schlägt vor, | |
| dass Vorsorge schon im Kindergarten und in der Grundschule spielerisch | |
| gelernt werden soll. Eine gute Idee? | |
| Ja. So etwas kennen wir zum Beispiel von der Verkehrserziehung in der | |
| Schule. Eine Kultur der Resilienz muss von unten wachsen. Vieles kann ja | |
| auch im Alltag nützlich sein, etwa wenn möglichst viele Menschen Erste | |
| Hilfe beherrschen. | |
| Sollen wir uns ein Vorbild an Preppern nehmen, die ihr ganzes Leben auf | |
| vermeintlich drohende Notlagen ausrichten? | |
| Natürlich nicht. Da geht es oft ja gar nicht um vernünftige Vorsorge. Wenn | |
| sogenannte Reichsbürger, die unseren Staat fundamental ablehnen, sich auf | |
| einen Bürgerkrieg vorbereiten, um politische Gegner auszuschalten, dann ist | |
| das ein Fall für die Polizei. | |
| Derzeit greifen Terroristen weniger die Infrastruktur an, sondern eher mit | |
| dem Messer im Supermarkt oder mit der Axt im Regionalzug … | |
| Solche Attacken zielen nicht auf überregionale tatsächliche Schäden, | |
| sondern auf psychische Einschüchterung durch Angriffe auf Menschen. Ein | |
| Messerangriff mit terroristischem Hintergrund kommt sofort in die | |
| „Tagesschau“. Dagegen bleibt ein Familiendrama, bei dem ein eifersüchtiger | |
| Ehemann seine Frau und die Kinder tötet, oftmals in den Regionalzeitungen. | |
| Ich will das nicht kritisieren, ich stelle das nur fest. | |
| Spielen Politiker den Terroristen nicht in die Hände, wenn sie nach | |
| Anschlägen ankündigen, sie wollten „alles tun“, damit sich so etwas nicht | |
| wiederholen kann? | |
| Mir ist es sehr wichtig, den Menschen nichts vorzumachen. Ich betone daher | |
| immer, dass es eine absolute Garantie von Sicherheit nicht geben kann. | |
| Hilft Resilienz auch bei der Bewahrung gesellschaftlicher Liberalität in | |
| Zeiten terroristischer Bedrohungen? | |
| Der damalige norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg sagte 2011 nach | |
| dem Massaker des Rechtsextremisten Anders Breivik: „Unsere Antwort wird | |
| mehr Offenheit und mehr Demokratie sein.“ Das hat mich sehr beeindruckt. | |
| Das Verhalten von Politikern nach Anschlägen ist wichtig – ob sie | |
| Selbstbewusstsein und Sicherheit ausstrahlen oder Panik verbreiten. | |
| Die norwegische Gesellschaft ist nach dem Anschlag zusammengerückt. | |
| Da kann man durchaus von Resilienz sprechen. Natürlich wünscht sich niemand | |
| Krisen. Aber wir wissen aus der privaten Erfahrung, dass überwundene Krisen | |
| und Krankheiten auch starkmachen können. Das gilt auch für Gesellschaften. | |
| Ist eine selbstbewusste Gesellschaft, die weiß, dass sie nach einem | |
| Anschlag alsbald wieder auf die Füße kommt, weniger anfällig für überzogene | |
| Sicherheitsgesetze? | |
| Was sind überzogene Sicherheitsgesetze? Ich fürchte darauf werden wir uns | |
| nicht so leicht einigen können. | |
| Die Vorratsdatenspeicherung? | |
| Dachte ich mir, dass das jetzt kommt. Ich halte sie für notwendig und die | |
| Kritik daran für überzogen. Aber ich finde es auch nicht richtig, nach | |
| einem Anschlag sofort die Verschärfung von Gesetzen zu fordern. Das | |
| spontane Entsetzen nach einem solchen Ereignis sollte nicht ausgenutzt | |
| werden. Aber genauso falsch wäre es, nach einem Anschlag nichts zu lernen | |
| und notwendige Konsequenzen zu unterlassen. | |
| 25 Jan 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
| ## TAGS | |
| Lesestück Interview | |
| Zivilschutz | |
| Resilienz | |
| Thomas de Maizière | |
| Terrorismus | |
| Vorsorge | |
| Naturkatastrophe | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Schwerpunkt Atomkraft | |
| Bundeswehr | |
| Katastrophe | |
| Zivilschutz | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kinder von IS-Terroristen: Opfer oder kommende Täter? | |
| Erstmals holt das Auswärtige Amt ein deutsches Kind eines im Irak | |
| inhaftierten Islamisten nach Deutschland. Weitere dürften folgen. | |
| Katastrophenschutz in Deutschland: Atomunfall? Immer mit der Ruhe! | |
| Nach dem GAU in Fukushima wurden deutsche Notfallpläne für eine | |
| Reaktorkatastrophe überarbeitet. Umgesetzt wurden sie bis heute nicht. | |
| Regierung konzipiert Zivilschutz neu: Gedankenspiel mit der Wehrpflicht | |
| Das Papier der Bunderegierung zur zivilen Verteidigung beschäftigt sich | |
| nicht nur mit Tipps zur Vorratshaltung. Es thematisiert auch eine | |
| reaktivierte Wehrpflicht. | |
| Neues Konzept zum Zivilschutz: Vorrat für den Fall der Fälle | |
| Die Bundesregierung arbeitet am neuen „Konzept für die Zivilverteidigung“. | |
| Darin rät sie unter anderem, Lebensmittel und Wasser vorzuhalten. | |
| Vorbereitungen für den Krisenfall: Vorräte sind wieder angesagt | |
| Das Kabinett will am Mittwoch ein neues Konzept für den Zivilschutz | |
| verabschieden. Auch die Unterstützung durch die Bundeswehr soll verbessert | |
| werden. |