# taz.de -- Stimmung bei Olympia in Rio: Schön, wo es auch vorher schön war | |
> Die Spiele haben vor allem den gehobenen Stadtvierteln genutzt. Und die | |
> vielen Pannen? Die nehmen die Brasilianer locker hin. | |
Bild: Traumhafter Ausblick: die Beachvolleyball-Arena in Rio | |
Rio de Janeiro taz | Nehmen wir einfach mal an, diese Olympischen | |
Sommerspiele würden nicht in Rio de Janeiro stattfinden, sondern in einer | |
europäischen Großstadt – oder in Russland, Katar, Aserbaidschan oder China. | |
Und wir hätten es mit folgender Meldungslage zu tun: Eine große | |
Luftbildkamera stürzt im Olympiapark ab und verletzt sieben Zuschauer. Das | |
Wasser im Turmspringpool ist grün und riecht nach faulen Eiern. In | |
Sporthallen muss die Spielfläche ausgetauscht werden, weil sie uneben ist. | |
Stege beim Segeln brechen zusammen und Zelte werden weggeweht. | |
Ein Olympiastar im Schwimmen vom Kaliber eines Ryan Lochte wird von | |
Fake-Polizisten überfallen und ausgeraubt. In einem Pressezelt schlägt eine | |
Kugel ein. Die Sicherheitskontrollen verlaufen so schleppend, dass Tausende | |
Zuschauer ihr Event verpassen. Auf dem Olympiagelände fehlen Trinkwasser | |
und Essen, das, wenn es dann doch da ist, wie verdorbene Weltraumnahrung | |
schmeckt (vor allem das Hühnchen-Sandwich). | |
Sportlern wird Equipment geklaut. Die Hallen und Stadien sind so gut wie | |
nie voll. Athleten, die sich mit den Gastgebern im direkten Duell messen, | |
werden ausgebuht, ebenso der Staatspräsident zur Eröffnungsfeier. Die | |
Antidopingagentur des Landes stellt vor den Spielen praktisch ihre Arbeit | |
ein und Tausende Volunteers quittieren vorzeitig den Dienst, weil sie sich | |
nicht mehr beschimpfen lassen wollen von aufgebrachten Zuschauern. | |
Nun, man muss kein Prophet sein: Es wäre ganz schön was los in den Medien. | |
Man würde sich aufregen und herumnörgeln, spotten und ätzen, aber da die | |
Spiele nun mal im durchaus duften Krisenland Brasilien stattfinden, | |
passiert nichts dergleichen. Es herrscht größte Nachsicht mit den | |
Veranstaltern. Man macht Konzessionen, übt sich in Geduld und lobt den Reiz | |
des Unperfekten. Die Brasilianer sind eh wie gemacht für diese Sicht der | |
Dinge. | |
## Great, awesome, wonderful | |
Sie sind hier im Modus eines lässigen Fatalismus, mit dem man viele große | |
und kleine Zumutungen erträgt. Warum über dieses oder jenes olympische | |
Malheur zürnen, wenn man sich am Strand von Leblon seinen Frust wegsurfen | |
kann. Und danach wird ein Caipi gekippt. Saúde! Ich habe Menschen selten so | |
geduldig in einer Schlange anstehen sehen wie hier. Man ist innerlich | |
anders gepolt als in Mitteleuropa. Im Vergleich zu den Cariocas kommt man | |
sich als Deutscher vor wie ein Hektiker auf dem Börsenparkett. | |
Die Spiele? Die laufen halt irgendwie. Passt schon. Es sind vielleicht | |
nicht die besten aller Zeiten, aber am Ende wird IOC-Chef Thomas Bach ja | |
doch wieder sagen: great, awesome, wonderful. Um dann hervorzuheben, was | |
sie nicht alles trotz der Krise auf die Beine gestellt haben. So falsch ist | |
das ja nun auch wieder nicht, sie haben zum Beispiel ein paar wirkliche | |
schöne Sportstätten hingestellt. Ich mag die Regattastrecke an der Lagoa | |
dos Freitas mit dem Blick auf Cristo Redentor, der auf dem Corcovado-Hügel | |
versucht, die Welt zu umarmen. | |
Wunderschön auch die Beachvolleyball-Arena, die, in den Sand der | |
Copacobana gesetzt, beides offeriert: ein atlantisches Panorama samt | |
Kriegsschiff und den Blick auf Sandspiele von leicht bekleideten Athleten. | |
Das sind fantastische Fernsehbilder, und darum geht es ja dem IOC und den | |
TV-Rechteinhabern. Bleiben wird auch die Erinnerung an die | |
Bogenschieß-Wettbewerbe im Sambodrom, wo sich das echte Leben von Rio mit | |
dem artifiziellen der Spiele mischte, denn rund ums Sambodrom gibt es nicht | |
nur die Mittelstandswohnsilos von Barra, das olympische Zentrum, sondern | |
auch Favelas, die man auf dem Weg zum Sport passiert. | |
## Verpasste Chance | |
Da standen sie natürlich wieder, die Militärpolizisten mit ihren | |
Langwaffen, aber im Verlauf der Sommerspiele hat ihre Präsenz etwas | |
abgenommen, jedenfalls fühlt sich das so an. Die Eröffnungsfeier war noch | |
von Hundertschaften gesichert, und man wähnte sich in einem | |
Bürgerkriegsland, aber jetzt sieht man nur ab und zu mal vier, fünf | |
Militärpolizisten im Abstand von 300 Metern an den Stränden oder in der | |
Nähe des Olympiazentrums. | |
Und doch haben die lokalen Organisatoren der Spiele eine Chance verpasst, | |
das Zentrum von Rio de Janeiro zu revitalisieren, etwa die Zone rund um das | |
Estádio do Maracanã. Hier hätte der Puls der Spiele schlagen können, was | |
sicherlich stadtplanerisch eine Herausforderung gewesen wäre. Aber so hat | |
man sich dafür entschieden, das weiße und reiche Barra auszubauen. | |
Die neue Olympia-U-Bahn verbindet ja das gutbetuchte Ipanema mit dem noch | |
besser gestellten Barra. Der von sozialen Problemen und Gewalt geschüttelte | |
Norden von Rio hat fast nichts von Olympia abbekommen. Das Olympiazentrum | |
Deodoro liegt zwar geografisch in dieser Zone, ist aber ein großer | |
Stützpunkt des Militärs mit endlos vielen Kasernen. Dorthin haben sich vor | |
den Spielen nur wenige Bewohner von Barra oder Leblon verirrt. Zu weit weg. | |
Zu uninteressant. Vielleicht auch zu gefährlich. | |
## Weiße Ränge | |
Mein Vermieter Paulo ist während Olympia zum ersten und vielleicht letzten | |
Mal nach Deodoro gekommen. Er hat sich dort Reiten angeschaut. Zum Golf ist | |
er auch gegangen. Der Platz liegt natürlich in Barra, in der Komfortzone | |
der weißen Ober- und Mittelschicht, die das Stammpublikum der Spiele | |
stellt. In den Bussen und Bahnen zu den Wettkampfstätten sieht man kaum | |
Schwarze. | |
Die Spiele von Rio sind auf den Rängen überwiegend weiß. Dabei hatte | |
Brasilien, als es in den 50er Jahren auf der Landkarte des Sports | |
auftauchte, die Idee, alle Klassen und Schichten zusammenzuführen, | |
zumindest im Sport. Der Bau des Estadio Municipal do Rio de Janeiro mit | |
fast 180.000 Zuschauern war das Symbol dieser Utopie. | |
Im Maracanã, wie es später hieß, gab es einen Bereich, den sich alle | |
Cariocas leisten konnten: die Geral, also der Stehplatzbereich. Er wurde im | |
Zuge der Modernisierung des Stadions geschleift. Eine Geral in jeder | |
olympischen Sportstätte hätte diesen Spielen gutgetan. | |
19 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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