Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Flucht wegen Boko Haram: Die Kinder träumen von Rache
> Der Krieg der Islamisten hat tausenden Schulkindern im Grenzgebiet
> zwischen Nigeria und Kamerun ihre Heimat und ihre Familien geraubt. Ein
> Besuch.
Bild: Der 13-jährige Flüchtlingsjunge Ndouvna Hecheked mit seinem Bild, auf d…
Baigai taz | Bienvenue Ngatsebai hat mit angesehen, wie seine Eltern und
zwei seiner Brüder starben. Versteckt in einem Baum konnte er nur hilflos
zugucken, wie die Kämpfer der islamistischen Terrorarmee Boko Haram vor
zwei Jahren in sein Dorf Mabasbaru einfielen. Drastisch spielt er an seinem
kleinen Bruder neben ihm vor, wie seine Angehörigen zu Tode kamen: Mit der
linken Hand packt er den Kopf und reißt ihn nach hinten; mit der rechten
führt er eine rasche Schnittbewegung quer über die Kehle. „So haben sie
meine Eltern und Brüder getötet“, erzählt er. „Sie waren mit Gewehren
gekommen, aber dann entschieden sie sich für Macheten.“
Heute ist Bienvenue 15 Jahre alt, sein kleiner Bruder 7. Jetzt leben sie 40
Kilometer entfernt von ihrem Heimatdorf bei ihren Großeltern, im Ort
Baigai. Sie brauchten sieben Tage durch den Busch, um dorthin zu kommen.
Sie sind zwei von 600 Schülern einer Grundschule des UN-Kinderhilfswerks
Unicef, die für Boko-Haram-Flüchtlingskinder in Baigai eingerichtet worden
ist – eine von 25 UN-Schulen, die von einem EU-Projekt für
Flüchtlingskinder im Norden Kameruns gefördert werden sollen. Bisher ist
Baigai die einzige, die zugänglich ist – noch herrscht Krieg in
Nordkamerun.
Die meisten Kinder in dieser Schule sind Flüchtlinge aus Nigeria, deren
Eltern von den Islamisten getötet oder verstümmelt wurden. Aber es gibt
auch Kameruner, seit Boko Haram vor zwei Jahren begann, seinen Krieg über
Nigerias Grenzen hinaus in die Nachbarländer auszudehnen. Heute ist die
Terrorgruppe militärisch stark geschwächt, aber die Verwüstungen, die ihr
Krieg angerichtet hat, sind nicht überwunden.
Gouldé Kouleh und Bohoy Tekoltom, 8 und 7 Jahre alt, sind gemeinsam aus
Nigeria hierher gelaufen. Sie waren am Fußballspielen, als Boko Haram
angriff. Sie versteckten sich im Busch. Als sie sich wieder heraustrauten,
war niemand mehr da. Sie mussten sich allein auf den Weg machen. Irgendwie
haben sie es geschafft.
Jetzt malen sie Bilder, um ihre Erlebnisse zu verarbeiten. Die „Children of
Peace Initiative“ der EU finanziert Malstunden für traumatisierte
Kriegskinder in 17 Ländern mit 700.000 US-Dollar. 30.000 Kinder davon
kommen im Norden Kameruns in den Genuss. Es werden Lehrer ausgebildet, die
psychosozialen Bedürfnisse der Kinder zu erkennen, friedliches Verhalten
einzuüben und Diskriminierung sowie Stigmatisierung entgegenzutreten.
Manche Kinder brauchen besondere Zuwendung und werden in spezialisierte
Therapiezentren gebracht, erklärt Daniela Luchiani vom
Unicef-Kinderschutzprogramm.
## Irgendwann selbst stark sein
Gouldé hat einen kräftigen General gemalt. Wenn er groß ist, will er Soldat
werden, erzählt der Achtjährige: „Nur ein Soldat kann Boko Haram stoppen,
damit sie keine Leute mehr töten.“
Die meisten dieser Flüchtlingskinder malen sich selbst am liebsten als
Soldaten, in Armeeuniformen und mit Hubschrauber. Was Kinder normalerweise
in Nigeria und Kamerun als Beruf anstreben – Lehrer, Arzt, Ingenieur,
Viehbesitzer, Journalist –, interessiert nur wenige. Sie malen Bilder von
Horrorszenen und möchten irgendwann selbst stark sein.
Rache an den Terroristen war auch das Hauptmotiv bei einer Malstunde unter
den 14.000 Flüchtlingskindern im Vertriebenenlager Minawao. Der 13-jährige
Ndouvna Hecheked zeichnete einen Terroristen, der einem Mann den Kopf
abschneidet und dabei selbst im Kugelhagel eines Soldaten steht. „Diese
Leute haben meine Eltern getötet“, erklärt er sein Bild. „Sie haben uns
gezwungen, unser Land zu verlassen. Ich möchte Soldat werden und gegen sie
kämpfen und wieder nach Hause gehen.“
Die Lehrer tun ihr Möglichstes, um die Kinder daran zu erinnern, dass es
noch andere erstrebenswerte Dinge im Leben gibt. „Aber immer wenn wir sie
fragen, was sie werden wollen, sagen sie fast alle ‚Soldat‘ oder ‚BIR‘ …
Antiterror-Spezialeinheit der kamerunischen Armee, Anm. d. Red.]“, seufzt
die Lehrerin Veronica Mokojo. „Im Unterricht sind sie dann ganz in sich
gekehrt. Sie können das, was sie erlebt haben, nicht bewältigen.“
Fernand Pokam, ein Psychologe des kirchlichen Hilfswerks CRS (Catholic
Relief Services) mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR, sagt, das sei
völlig normal. „Diese Kinder haben mit angesehen, wie ihre Familien
abgeschlachtet wurden. Möglicherweise wurden sie selbst vergewaltigt von
den Angreifern oder auch von Soldaten. Das Trauma kann sehr lange währen.“
Es gibt Ausnahmen. In der Grundschule Baigai malt Wandala Djakome zwar
ebenfalls Soldaten, die Terroristen erschießen. Aber sein Kommentar dazu
ist: „Wenn der Krieg vorbei ist, will ich Bauarbeiter werden. Boko Haram
hat so viel kaputtgemacht. Sie haben Menschen getötet, Häuser zerstört und
Märkte abgebrannt. Ich möchte das alles wiederaufbauen.“
25 Aug 2016
## AUTOREN
Ngala Killian Chimtom
## TAGS
Boko Haram
Kamerun
Unicef
Kinder
Trauma
Schwerpunkt Coronavirus
Boko Haram
Unicef
Kamerun
Nigeria
Boko Haram
Boko Haram
Kongo
Nigeria
Nigeria
Boko Haram
Nigeria
## ARTIKEL ZUM THEMA
Koranschüler in Nigerias Coronakrise: Wie lästige Insekten
In Nigeria gehen kleine Kinder aus bitterarmen Familien zur Koranschulen
und schlagen sich als Bettler durch. Sie sind unsichtbare Opfer der
Coronakrise.
Amnesty-Bericht zu Kamerun: Mit Folter gegen Boko Haram
Bilder von Amnesty zeigen US-Soldaten in einer Anlage in Kamerun, wo
Islamisten gefoltert wurden. Die NGO fordert nun ein Ende der Hilfen.
70 Jahre Hilfsorganisation Unicef: Den Kindern eine Chance
1946 beschloss die UN, ein Hilfswerk für Kinder zu gründen. Noch immer hat
jedes vierte Kind keinen Zugang zu Medizin, Bildung und Nahrung.
Staatstrauer in Kamerun: 79 Tote bei Eisenbahnunglück
Auf einer der wichtigsten Bahnstrecken Zentralafrikas fiel ein Zug in eine
Schlucht. Er war länger und fuhr schneller als üblich.
Kampf gegen Boko Haram in Nigeria: Sag mir, wo die Männer sind
Nach den militärischen Erfolgen gegen Boko Haram sind im Kriegsgebiet
Frauen und Kinder überrepräsentiert. Viele Männer sind verschwunden.
Terrormiliz Boko Haram: Vertriebene Nigerianer wieder da
Die nigerianische Armee konnte die Terrorgruppe Boko Haram in Teilen des
Landes zurückdrängen. Menschen, die vor ihr geflohen sind, kehren nun
zurück.
Boko Haram in Nigeria: Das Kriegstrauma im Kopf
Die brutale Islamistenarmee ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Was aus
der Gruppe wird, ist offen. Aber ihre Opfer bleiben verschwunden.
Massaker in der kongolesischen Stadt Beni: Nachts kamen die Phantomkiller
Angeblich ugandische Rebellen mit kongolesischer Armeeuniform brachten am
Wochenende stundenlang Zivilisten um.
Hilfe für Boko Harams Opfer ausgesetzt: Helfer im Visier
Zwei Millionen Geflüchtete in Nigeria leiden Not. Nach dem Beschuss eins
UN-Hilfskonvois stellen die Hilfswerke ihre Bemühungen vorerst ein.
Hunger und Terror in Nigeria: Verbrannte Erde
Die Hinterlassenschaft des Terrorfeldzugs von Boko Haram wird sichtbar:
Millionen Vertriebene und hunderttausende hungernde Kinder.
Buch über Opfer von Boko Haram: Voller Kraft und Lebensmut
Wolfgang Bauer lässt Frauen zu Wort kommen, die von der nigerianischen
Terrormiliz fliehen konnten. Es sind Begegnungen auf Augenhöhe.
Debatte Boko Haram in Nigeria: Nur Chibok zählt
Tausende Menschen werden aus den Händen der Terrormiliz befreit. Das
interessiert nur wenige. Im Fokus steht eine bestimmte Gruppe.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.