# taz.de -- Kampf gegen Boko Haram in Nigeria: Sag mir, wo die Männer sind | |
> Nach den militärischen Erfolgen gegen Boko Haram sind im Kriegsgebiet | |
> Frauen und Kinder überrepräsentiert. Viele Männer sind verschwunden. | |
Bild: Ein Junge in einem Vertriebenenlager in Abuja | |
ABUJA taz | Es ist immer das gleiche Bild. In den Lagern für | |
Binnenflüchtlinge im Nordosten Nigerias haben Frauen und vor allem | |
zahlreiche Kinder Unterschlupf gefunden. Rund um die Hauptstadt Abuja leben | |
zwar auch einige Männer, die vor der Terrorgruppe Boko Haram geflüchtet | |
sind. Doch überall sind sie in der Minderheit. Das ist auch so, wenn die | |
Armee Geiseln aus den Händen der Miliz befreit. Männer? Fehlanzeige. | |
„Niemand fragt, wo die Männer sind; vor allem jene im Alter zwischen 14 und | |
35 Jahren“, sorgt sich Makmid Kamara, Nigeria-Experte der | |
Menschenrechtsorganisation Amnesty International; „darauf wollen wir eine | |
Antwort haben.“ 70 Prozent der Binnenflüchtlinge sind Frauen und Kinder, | |
bestätigt auch Mausi Segun, die in Nigeria für Human Rights Watch (HRW) | |
arbeitet. „Unsere Untersuchungen zeigen, dass Männer von Boko Haram | |
rekrutiert worden oder sich der Gruppe freiwillig angeschlossen haben.“ | |
Einigen ist die Flucht aus den Reihen von Boko Haram geglückt. Ibrahim | |
Maina aus der Stadt Danbua im Bundesstaat Borno gehört dazu. Der 35-Jährige | |
lebt seit drei Jahren in Dikwa, einem Vorort der Hauptstadt Abuja. „Damals | |
konnten wir noch gehen“, erinnert er sich an seine Flucht aus der | |
islamistischen Armee. Eines Tages im Jahr 2013 brach er in der Dunkelheit | |
auf, gegen Mitternacht. Wie viele Kilometer er zu Fuß zurückgelegt hat, das | |
weiß Maina nicht mehr – seine Flucht war lebensgefährlich. „Boko Haram hat | |
die Männer mitgenommen. Wer sich gewehrt hat, wurde sofort erschossen“, | |
erinnert sich der magere Mann. | |
HRW-Mitarbeiterin Mausi Segun geht davon aus, dass längst nicht alle | |
verschwundenen Männer den Terroristen zum Opfer gefallen sind. „Boko Harams | |
aktuelle Stärke liegt bei derzeit höchstens maximal 10.000. Was ist also | |
mit allen Übrigen passiert?“ Ihrer Einschätzung nach dürften zahlreiche | |
Männer vom nigerianischen Militär verhaftet oder ohne Prozess erschossen | |
worden sein. | |
## Zurückhaltende Kritik | |
„Wer widerspenstig ist und beispielsweise in einer Militärkontrolle eine | |
Tasche nicht öffnen will, wird als Boko-Haram-Kämpfer betrachtet. Wenn man | |
friedlich ist, passiert aber nichts“, berichtet Ibrahim Maina von seinen | |
Erlebnissen aus dem Nordosten. Mit Kritik an der Armee ist er wie viele | |
andere Flüchtlinge heute auch jedoch zurückhaltend. Schließlich ist es der | |
Armee seit 2015 gelungen, die einst von Boko Haram besetzten Gebiete | |
weitgehend zurückzuerobern. In der Bevölkerung wird das anerkannt, auch | |
wenn diese Gebiete weiterhin unsicher sind. | |
Auf die zahlreichen Verhaftungen mutmaßlicher Kämpfer hat auch Amnesty | |
International in den vergangenen Jahren mehrfach hingewiesen. Man wisse von | |
katastrophalen Zuständen in der Untersuchungshaft, wo Verdächtige weder | |
Kontakt zu Angehörigen noch zu Rechtsanwälten hätten, so Makmid Kamara. In | |
einem aktuellen Bericht heißt es, dass im Nachbarland Kamerun mehr als | |
1.000 angebliche Boko-Haram-Mitglieder inhaftiert sind. Im Gefängnis Maroua | |
im äußersten Norden des Landes sollen jeden Monat bis zu acht Menschen | |
wegen Überbelegung sterben. | |
Unklar ist, ob sich Männer im Nordosten Nigerias der Zivilen Joint Task | |
Force (CJTF) angeschlossen haben – die paramilitärische Einheit, die zur | |
Unterstützung des Militärs gebildet wurde, operiert in einer Grauzone und | |
gibt dem Militär beispielsweise Hinweise auf mutmaßliche Mitglieder und | |
Verstecke Boko Harams. Eigenen Angaben zufolge hat die Task force zwischen | |
26.000 und 27.000 Mitglieder. | |
Für Mausi Segun erklären die Zahlen jedoch nicht das massive Verschwinden | |
der nordostnigerianischen Männer. Auch nicht, wenn man die Zahl der Toten | |
einbezieht. Laut Human Rights Watch sind seit 2009 – damals radikalisierte | |
sich Boko Haram – rund 20.000 Menschen im Krieg ums Leben gekommen. „Man | |
könnte schätzen, dass all jene Männer, die sich weder Boko Haram noch der | |
Zivilen Joint Task Force angeschlossen haben und die auch nicht in | |
nigerianischen Gefängnissen sitzen, die Region verlassen haben und sich | |
verstecken“, sagt sie. | |
Es könnten aber auch viele tot sein – umgebracht von der nigerianischen | |
Armee. | |
7 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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