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# taz.de -- Rezession in Nigeria: Ein Monatslohn für einen Sack Reis
> Nigeria steckt in der schwersten Wirtschaftskrise seit der Erlangung der
> Unabhängigkeit. Der niedrige Ölpreis und Korruption setzen dem Land zu.
Bild: Vielen Nigerianern reicht ihr Arbeitslohn nicht mehr zum leben
Abuja taz | Eigentlich sind sie extrem beliebte Treffpunkte in der
nigerianischen Hauptstadt Abuja: die zahlreichen Gartenbars, in denen die
0,6-Liter-Flasche Bier umgerechnet nicht einmal einen Euro kostet. Bisher
waren das Preise, die auch für die untere Mittelschicht ab und zu
erschwinglich waren.
Doch im Moment ist nicht einmal jeder zweite Tisch besetzt. Viele Menschen
haben schlichtweg kein Geld mehr für das Feierabendbier. Kann man auf den
Luxus noch verzichten, wissen gerade viele Bewohner in ländlichen Regionen
nicht mehr, wie sie überhaupt noch Grundnahrungsmittel kaufen sollen.
Der Preis für den 50-Kilo-Sack Reis hat sich innerhalb von zwei Jahren
verdoppelt und liegt derzeit bei 18.000 Naira (50,43 Euro) und damit genau
so hoch wie der monatliche Mindestlohn, der jedoch längst nicht immer
gezahlt wird. Afrikas einwohnerreichster Staat steckt 56 Jahre nach
Erlangung der Unabhängigkeit in seiner vermutlich schwersten
Wirtschaftskrise.
Laut nigerianischer Zentralbank (CBN) liegt die Inflation aktuell bei 17,6
Prozent und somit so hoch wie seit mehr als zehn Jahren nicht mehr.
Gleiches gilt für den Wechselkurs US-Dollar zu Naira, der offiziell 1:305
lautet. Auf dem Schwarzmarkt, wo hauptsächlich getauscht wird, bekommt man
mittlerweile für einen US-Dollar 436 Naira. Das macht vor allem
Geschäftsleuten und Familien aus der Mittel- und Oberschicht, die ihre
Kinder bisher gerne in die USA oder nach Großbritannien zum Studieren
schicken, zu schaffen. Für den Naira gibt es nichts mehr.
## Der niedrige Ölpreis trifft Nigeria hart
Im Sinkflug ist hingegen der Ölpreis, der aktuell bei 46,16 US-Dollar
liegt. Eine Katastrophe für ein Land, das sich seit Entdeckung des
schwarzen Goldes im Jahr 1956 kaum um weitere Wirtschaftszweige und
Einnahmequellen bemüht hat. Gleichzeitig hat sich die Bevölkerung etwa
vervierfacht und liegt aktuell bei geschätzten gut 180 Millionen Menschen.
„Wir haben schon in den 1980er Jahren in der Zeit des
Strukturanpassungsprogramms nicht ausreichend für uns produziert“, sagt
Soji Apampa, Mitbegründer und Geschäftsführer der nichtstaatlichen
Organisation Integrity. Seit 1995 befasst sie sich mit Transparenz und
Rechenschaft im Wirtschaftsleben und entwickelt Strategien zur
Korruptionsbekämpfung. In den vergangenen 30 Jahren sei das sogar noch
weniger geworden.
Beispielsweise hat die Textilindustrie, die in den 1970er und 1980er Jahren
rund um die Millionenstadt Kaduna angesiedelt war, dichtgemacht. Einst bot
sie mehreren 100.000 Menschen Arbeit. Doch die Produktionskosten waren zu
hoch, um mit aus Asien importierten Stoffen konkurrieren zu können. Der
Staat griff nicht ein, um heimische Produktion zu fördern.
Nigeria, weltweit sechstgrößter Rohöllieferant, hat gerade einmal drei
Raffinerien, die häufig ausfallen. Das Rohöl wird deshalb exportiert und
als Benzin wieder importiert. Schwierigkeiten bereitet der Industrie vor
allem die anhaltend schlechte Stromversorgung. In der Hauptstadt Abuja, die
im Vergleich zu vielen weiteren Landesteilen noch gut dasteht, fällt der
Strom täglich zwischen sechs und acht Stunden aus. Mehrere Bundesstaaten
haben zwar den Bau neuer Kraftwerke angekündigt. Doch bis diese in Betrieb
gehen, dürften Jahre vergehen.
## Die Korruption lähmt die Wirtschaft
Denn noch immer gelingt der Regierung eins nicht: eine nachhaltige
Korruptionsbekämpfung. Genau die hatte Präsident Muhammadu Buhari vor
seiner Wahl im März 2015 angekündigt. Ab und zu gelingt zwar ein Erfolg.
Gerade hat die Antikorruptionskommission (EFCC) Konten der früheren First
Lady, Patience Jonathan, eingefroren.
Die 31,4 Millionen US-Dollar sollten, so beteuert sie, für die Bezahlung
von Krankenhausrechnungen bestimmt gewesen sein. Mittlerweile wirft sie der
EFCC vor, belästigt und in ihren „persönlichen Menschenrechten“ beschnitt…
worden zu sein. Einen Wandel in Sachen Veruntreuung hat es nicht gegeben.
„Und es gibt auch keinen klaren Plan“, kritisiert Soji Apampa. Die
Bevölkerung würde genau das vermissen.
Konkrete Vorschläge zum Ankurbeln der Wirtschaft sind ebenfalls
ausgeblieben. Zwar hat es Gespräche hinter verschlossener Tür gegeben,
jedoch keine Aussagen zu realisierbaren Maßnahmen. Das dürfte das Regieren
in den kommenden Monaten noch einmal erschweren. „Die bisherigen Alliierten
sind nun die Kritiker der Regierung. Das ist ein schlechtes Zeichen“, so
Apampa.
29 Sep 2016
## AUTOREN
Katrin Gänsler
## TAGS
Nigeria
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Schwerpunkt Korruption
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