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# taz.de -- Hunger und Terror in Nigeria: Verbrannte Erde
> Die Hinterlassenschaft des Terrorfeldzugs von Boko Haram wird sichtbar:
> Millionen Vertriebene und hunderttausende hungernde Kinder.
Bild: Der Hunger hinterlässt deutliche Spuren
Berlin taz | Der UN-Hilfskonvoi erreichte Banki am 21. Juli, ein
Sonderflugzeug mit Lebensmitteln traf am selben Tag ein. In der
nigerianischen Kleinstadt an der Grenze zu Kamerun versorgten seit dem
Vortag Helfer von Ärzte ohne Grenzen (MSF) verhungernde Kleinkinder und
impften andere gegen Masern. Es war die erste auswärtige Unterstützung seit
zehn Monaten für die 15.000 bis 20.000 mittellosen Vertriebenen, die sich
in Banki unter Armeeschutz niedergelassen haben, auf der Flucht vor dem
mörderischen Terror der Islamistensekte Boko Haram.
„Jedes dritte Kind ist unterernährt“, meldete MSF aus Banki.
„Schätzungsweise jeder zwölfte Mensch ist in den vergangenen sechs Monaten
gestorben.“ Einsatzleiter Hugues Robert betonte, Banki sei erst der Anfang:
„Schritt für Schritt eröffnet sich uns das ganze Ausmaß der Krise.“
Im Jahr 2014 übernahm Boko Haram, das im Nordosten Nigerias ein Kalifat
ausgerufen und dem sogenannten Islamischen Staat Treue geschworen hat, die
Kontrolle über weite Teile Nordostnigerias. Hunderte Dörfer wurden
zerstört, Zehntausende Menschen getötet, Millionen vertrieben. 2015 gewann
der einstige Militärdiktator Muhammadu Buhari mit dem Versprechen einer
harten Hand Nigerias Präsidentschaftswahlen.
Seitdem hat die Armee die Terroristen zurückgedrängt. Sie kontrollieren
keine zusammenhängenden Gebiete mehr, sondern sammeln sich in
unzugänglichen Bergwäldern, wo sie Luftangriffen ausgesetzt sind. Zurück
bleibt verbrannte Erde.
## Verheerende Bilanz
Auf einer Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats sollte am Mittwoch eine
verheerende Bilanz vorgelegt werden. 9,2 Millionen Menschen im Nordosten
Nigerias und in benachbarten Grenzgebieten sind auf humanitäre Hilfe
angewiesen. Nur 3,9 Millionen davon werden dieses Jahr voraussichtlich
erreicht. 2 Millionen Kleinkinder sind unterernährt. Die Bevölkerung
Maiduguris, Hauptstadt der am schwersten betroffenen Provinz Borno, hat
sich durch den Zuzug von 1,4 Millionen Kriegsflüchtlingen mehr als
verdoppelt.
Die Daten sind unvollständig, da weite Landstriche noch unsicher sind. Je
weiter die Helfer ausschwärmen, desto mehr Elend wird sichtbar: Schwerste
Unterernährung herrsche in 15 Vertriebenenlagern mit insgesamt 275.000
Bewohnern in der Provinz Borno, melden die UN-Hilfswerke diese Woche. Das
UN-Kinderhilfswerk Unicef warnt, es könnten dieses Jahr 49.000 Kinder
verhungern.
In Nigerias Nordosten, schon vor dem Krieg die ärmste Region des Landes,
und rund um den Tschadsee entfaltet sich Afrikas aktuell größte humanitäre
Katastrophe. Ganze Bevölkerungen sind auf Wanderschaft, ganze
Gemeinschaften sind kollabiert. Während in Banki bis zu 20.000
Kriegsflüchtlinge Hilfe brauchen, sind die ursprünglichen 25.000 Bewohner
der Stadt alle weg – sie flohen, als Boko Haram im September 2014 den Ort
besetzte. Und sie kehrten auch nicht zurück, als die Armee ein Jahr später
wieder einmarschierte.
Noch dramatischer ist die Lage im nahen Bama – einer Geisterstadt mit
Ausnahme eines von Soldaten abgeriegelten Krankenhausgeländes, wo seit
einem Jahr offiziell rund 27.000 Kriegsvertriebene in überfüllten löchrigen
Schuppen leben, 15.000 davon Kinder. Nachdem lokale Helfer Mitte Juni 1192
Menschen am Rande des Hungertodes aus Bama nach Maiduguri brachten, reisten
am 21. Juni erstmals internationale Helfer zu einer Tagesvisite dorthin und
organisierten am 30. Juni erste Hilfe.
## Lager mit Massengrab
Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR stellte fest, dass es in Bama keine
Toiletten und keine Schulen gibt, auch keine Telefone. Frauen dürfen das
Lager nicht verlassen. Ein Team von Ärzte ohne Grenzen untersuchte 800
Kinder: Jedes fünfte war schwer unterernährt, fünf starben während der
Untersuchung. Dann fanden die Helfer hinter den Wellblechschuppen einen
Friedhof mit über 1.200 frischen Gräbern.
Viele Kriegsflüchtlinge in Bama und anderen Lagern haben unglaubliche
Gräueltaten erlitten oder miterlebt, sie sind traumatisiert oder schwer
krank, sie erleben Willkür von Soldaten. Das alles macht Hilfe noch
schwieriger.
Auch Nigerias Gesamtlage macht wenig Hoffnung. Der Verfall des Erdölpreises
macht dem Land zu schaffen. Die Staatseinnahmen liegen um 55 Prozent unter
Plan. Wegen Missernten kostet in Maiduguri das Grundnahrungsmittel Hirse
heute 66 Prozent mehr als vor einem Jahr, das Maniokmehl Gari mehr als
dreimal so viel. Daran kann auch der UN-Sicherheitsrat nichts ändern.
27 Jul 2016
## AUTOREN
Dominic Johnson
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