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# taz.de -- taz-Serie Damals bei uns daheim: Lauwarmer Kriech
> Die Stief-Oma erzählte gern vom Krieg – beziehungsweise „Kriech“. Auch
> wenn unser Kolumnist gar nicht wusste, was das eigentlich sein soll.
Bild: 1986: Sicherheitsbeamte in Zivil bei einem Agentenaustausch von acht Pers…
Für meine frühe Kindheit prägend war neben Prügel, Pellkartoffeln und
früscher Luft auch der Kalte Krieg. Täglich blinzelte man zum Himmel und
fragte sich, wann denn der Russe seine erste Bombe würfe. Dann würde der
Amerikaner aber, husch husch, zwei zurückschmeißen, der uns beschützte,
weil er unser Land und seine Kultur so abgöttisch verehrte. Der Ami besaß
ja selber keine. Hätte er nicht die Indianer umgebracht, hätte er sich
wenigstens von denen ein paar Sitten abschauen können: Mut, Anstand,
Ehrlichkeit und Härte. So was. Stattdessen gab es nur Kaugummi und
Krachmusik.
Nach wie vor beneidete uns die ganze Welt heimlich um die deutsche, über
tausendjährige Kultur. Goethe. Und Schiller. Und Mozart, obwohl der
eigentlich Österreicher gewesen war, genauso wie der eine Maler, der später
in die Politik ging. Aber die Grenzen waren ja fließend. Österreich,
Elsass, Schlesien – das gehörte im Grunde alles uns, wie die Stiefeltern
nicht müde wurden, zu betonen.
Die Erinnerung an den Warmen Krieg war schließlich ebenfalls noch frisch.
Beziehungsweise „Kriech“ aka „der schlümme Kriech“, wie Stiefeltern und
Stiefgroßeltern unisono dazu sagten. Anfangs wusste ich nicht, was sie
meinten, und hatte bei dem Wort Kriech nur so ein plumpes Reptil mit
Stummelbeinen im Kopf. Doch schnell wurde ich eines Besseren belehrt.
## „Kriech“, das klingt wie ein Tier
„Der Kriech war schlümm, mein kleiner Ulrich-Dieter“, pflegte Stiefoma zu
sagen, oder: „Im Kriech haben wir alle schlümm gelitten.“ Und dann kamen
die Schlechte-Nacht-Geschichten. Von unerfindlichen, blindwütigen
Bombardements aus heiterem Himmel; von Getroffenen, die, ihre aus dem
offenen Bauch quellenden Eingeweide wie auf dem Weg gesammelte Pilze in
beiden Händen tragend, unter gellenden Schreien durch die brennenden
Straßen liefen.
Danach war überall der Russe, der „sich wie Vieh benommen“ habe. „All da…
Entsetzliche kann kein Stiefmensch je vergessen“, schloss Stiefgroßmutter
und seufzte. Sie setzte eine Flasche „Schlehenfeuer“ an, leerte sie in
einem Zug und fiel in einen Tiefschlaf, gegen den die Leichenstarre als
ADHS-Symptom durchgegangen wäre.
## Im Tode tröstlich vereint
Auch die Ausländer sollen Verluste gehabt haben, doch das war blanke
Notwehr unserer Stiefwehrmacht. Die meisten Zivilisten waren ja Partisanen.
Selbst wenn man es zum Beispiel den Haustieren nicht auf Anhieb ansah – das
Partisanentum steckte speziell dem verschlagenen Slawen nun mal
unauslöschlich im Blut. Wenn meine Stiefahnen die Übeltäter in eine Kirche
treiben, die Tür versperren und das Gotteshaus anzünden mussten, achteten
sie stets gewissenhaft darauf, dass auch sämtliche Frauen und Kinder mit
dabei waren. So blieben die Leute im Tod tröstlich vereint und ließen keine
Witwen und Waisen zurück – „no woman, no cry“, um an dieser Stelle zwing…
Shakespeare zu zitieren.
Mit den Verbrechen der Wehrmacht hatte die Wehrmacht jedenfalls nichts zu
tun. Das war sehr beruhigend und auch eminent wichtig für den unbelasteten
Wiederaufbau einer neuen Bundeswehrmacht.
10 Aug 2016
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
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