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# taz.de -- Kommentar Highspeed-Bahnstrecke: Berlin-München im Schleudergang
> Die neue Highspeed-Bahnstrecke ist seit dieser Woche bestromt. 2017 soll
> sie fertig sein. Unserem Autor wird bei dem Gedanken übel.
Bild: Juhuuuuuuuuuu…nein…Moment…stopp! Hiiiilfeeee!
Der Neubau der Bahnstrecke Berlin–München ist fast fertiggestellt. Nach
einer Erprobungsphase soll sich ab Dezember 2017 die Fahrtzeit auf vier
Stunden verkürzen. Im Thüringer Wald fährt man dann durch insgesamt 22 neue
Tunnel bei einer Reisegeschwindigkeit von bis zu 300 km/h. Mit zehn
Milliarden Euro kostet das überflüssige Projekt doppelt so viel wie zuvor
veranschlagt.
Warum aber überflüssig? Nun, ganz einfach – die Baumaßnahmen berauben die
Kunden der typischen Vorteile einer Bahnreise: des meditativen
Vorbeigleitens der Landschaft, des Baumelns der Seele, des Weges als Ziel.
Besonders das Verhältnis zu hohen Geschwindigkeiten wird mit zunehmendem
Alter (also dem des klassischen Bahnfahrers) immer problematischer. Ich
hasse auch die Tunnel. Wenn ich, einer lebenden Rohrpost gleich, im
Affenzahn durch zig Kilometer lange Röhren katapultiert werde, fühle ich
mich wie ein Kätzchen, das aus Neugier mit der Schmutzwäsche in die
Waschmaschine geraten ist und nun im Schleudergang verzweifelt aus der
Trommel winkt. Doch dort draußen winkt nur mein unglückliches Spiegelbild
im Wagenfenster zurück.
Das ist doch kein Reisen. Laut einer indianischen Weisheit muss der Körper
auf Reisen regelmäßig rasten, damit die Seele Zeit bekommt, nachzufolgen.
Die meisten solcher angeblichen Weisheiten sind ja bloß laue Imitate für
idiotische Facebook-Posts. So ist der im ersten Moment täuschend echt
klingende Spruch, „Scheißt Bruder Bär in den Wald, feiert Schwester Fliege
ein Fest“ in Wahrheit made in Taiwan. Doch der mit dem Reisetempolimit für
die Seele ist echt wahr – ich habe ihn am eigenen Leib erlebt. Auf der
Strecke Köln–Frankfurt gibt es nämlich schon lange viele Tunnel und zum
Teil auch Tempo dreihundert. Und, was soll ich sagen, es stimmt. Alles.
Kätzchen, Waschmaschine, Seele weg.
Den Verlust der Seele merkt man ja zunächst gar nicht. Doch dann wird es
auf einmal von innen heraus immer kälter. Man grüßt nicht mehr im
Treppenhaus. Alles ist egal. Man rast mit dem Rad rücksichtslos über den
Bürgersteig und drängelt sich in der Schlange vorm Eisladen vor. Mit
fortschreitendem Seelenverlust quellen einem schwarzer Rauch und obszöne
Flüche aus dem Mund. Da kann ich auch gleich fliegen.
2 Sep 2016
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
Deutsche Bahn
Entschleunigung
Reisen
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Statistik
Kalter Krieg
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