| # taz.de -- Essay zum Burkaverbot: Ungeheure Provokation | |
| > Bikini gleich Freiheit, Burkini gleich Unterdrückung. Ist die Gleichung | |
| > so einfach? Warum das Burkaverbot ein Zeichen von Angstpolitik ist. | |
| Bild: Angst? | |
| Beachvolleyball in Rio. Die Ägypterinnen sind erstmals dabei und spielen | |
| gegen die Deutschen. Sie haben keine rechte Chance, aber dabei sein ist | |
| alles. Stärker kann der Kontrast kaum sein, aber nicht wegen ihrer | |
| spielerischen Fähigkeiten, sondern weil sie gekleidet sind in eine Art | |
| Burkini, gehalten in Grün und Schwarz, während die beiden deutschen Damen | |
| etwas tragen, das an einen Bikini erinnert, mit viel Haut. | |
| Ein visionäres Bild, ist man heute zu sagen geneigt, in Tagen, in denen die | |
| Franzosen mit dem Segen ihres Premiers Burkinis von ihren Stränden | |
| verbannen. | |
| Die Kleiderfrage ist wieder da. In Deutschland geht es nach jahrelangem | |
| Kopftuchstreit nun um ein Burkaverbot, in Frankreich ist die | |
| Gesichtsverschleierung schon verboten, da ist nun der Burkini dran. Immer | |
| wieder dreht sich alles um die provokante Verhüllung von Frauen. Provokant, | |
| weil wir in diesem Land gerade 70 Jahre Bikini gefeiert haben und der | |
| irgendwie als Errungenschaft gilt. Abschied von der Prüderie, Willkommen, | |
| Lebenslust und Erotik. Frauen müssen nicht mehr schamhaft sein. Sexuelle | |
| Revolution. | |
| Die neuen „schamlosen“ Frauen allerdings sahen sich konfrontiert mit einer | |
| veritablen Doppelbotschaft: Weibliche Nacktheit hatte immerhin eine | |
| jahrtausendelange Geschichte als Lustspenderin für den Mann. Was das | |
| Sexualobjekt empfand, dachte, wollte, war völlig unbekannt weil unwichtig, | |
| wichtig waren ein verlockender Blick und ein gewisser Exhibitionismus, der | |
| Verfügbarkeit suggerierte. Die neue Nacktheit war also zunächst eine alte | |
| Nacktheit – die sich die Frauen dann zu erobern suchten, denn Nacktheit | |
| kann natürlich auch zur erotischen Macht werden. | |
| Die Bandbreite reicht heute von Frauen, die sich nach wie vor als | |
| traditionelles Objekt darbieten, über Frauen, die über ihre Erotik ganz | |
| klar zu dominieren suchen (Modell Madonna), bis zu den vielen Frauen, die | |
| sexy aussehen wollen, sich aber jede Anzüglichkeit von männlicher Seite | |
| verbitten – den Status als Objekt also zugleich einnehmen und zurückweisen, | |
| indem sie sich als Subjekt kenntlich machen. | |
| Zugespitzt sieht man diese Haltung etwa in Slutwalks, Demonstrationen von | |
| Feministinnen in aufreizender Kleidung: Wir sind erotisch, aber keine | |
| Objekte, keine verfügbaren Schlampen im alten Sinne. Was übrigens | |
| nachhaltig nicht verstanden wurde von Männern wie Rainer Brüderle oder | |
| Hellmuth Karasek, die ein Dekolleté immer noch als persönliche Einladung | |
| begreifen bzw. begriffen haben. | |
| ## Frauen, die keine Nacktheit anstreben | |
| Eine gewisse Janusköpfigkeit von Nacktheit und Sexyness bleibt also | |
| bestehen: Die britische Feministin Laurie Penny hat so treffend in ihrem | |
| Buch „Fleischmarkt“ zusammengefasst, dass Frauen ihr sexuelles Kapital auf | |
| den Markt tragen müssen, vulgo „fuckable“ bleiben müssen, um nicht rapide | |
| an gesellschaftlichem Wert einzubüßen. | |
| Die große erotische Madonna-Macht schnurrt dann schnell zusammen auf | |
| exzessive Workouts und Nächte in Zellophanfolie, um den Körper in Form zu | |
| halten – maximale Versklavung durch Nacktheit. Doch jenseits dessen gibt es | |
| eben immer auch dieses Versprechen: nackt und frei, Haare im Wind, | |
| unbeschwert sich selbst genießen – das, womit die Frauenzeitschriften die | |
| Frauen ebenso locken, um sie gleich danach ihrem Regime zu unterwerfen. | |
| So viel zu unserer Konzeption von Entblößung. Und nun kommen Frauen und | |
| machen all das nicht mit. Sie nehmen am Diskurs nicht teil. Sie ringen | |
| nicht mit uns um das Recht auf Nacktheit, das keine Darbietung sein will. | |
| Sie ignorieren aber auch die Lockungen der Freiheit. Und da diese uns den | |
| ganzen Tag vor der Nase herumgaukelt, obwohl sie sich selten erfüllt, | |
| halten wir sie für unverzichtbar. | |
| Frauen, die sie einfach nicht anstreben, sind eine ungeheure Provokation. | |
| Sie negieren damit aber eben auch beides: Die Befreiung durch Entblößung, | |
| die Individuation, die damit einhergeht, dass man seine Unverwechselbarkeit | |
| zeigt. Aber eben auch den Zwang, diese Freiheit durch ein strenges Regime | |
| bis zur Unkenntlichkeit zurechtzuschnitzen. Man sollte vielleicht als | |
| westliche „emanzipierte“ Frau so ehrlich sein, wenigstens dieses Doublebind | |
| zuzugeben. | |
| Sehr sprechend übrigens auch wieder gelöst vom Internationalen | |
| Beachvolleyballverband: Der hatte die Winzigkeit der Sportkleidung der | |
| Volleyballerinnen bis 2012 vorgegeben. Sie mussten sexy sein. Diese | |
| Vorgaben wurden aufgehoben, erst danach konnten die Ägypterinnen mitmachen. | |
| Aber der Gesichtsschleier. Nikab. Burka. Das hat ja nun mit Nacktheit | |
| nicht mehr das Geringste zu tun, oder? Reines Unterdrückungsinstrument oder | |
| zumindest kommunikations- und damit gesellschaftsfeindlich. | |
| ## Demokratie: JedeR hat eine Stimme – oder ein Gesicht? | |
| Nehmen wir einen Moment lang die Selbstaussagen der Frauen, die ihn tragen, | |
| ernst und unterstellen nicht sofort Gehirnwäsche. Es gibt einige | |
| qualitative Untersuchungen über das Selbstverständnis dieser Frauen. Sie | |
| weisen die angebliche Fremdbestimmtheit zurück. Sie geben an, sich mit | |
| einem Gesichtsschleier reiner, heiliger, Gott näher zu fühlen. „Ich bin | |
| dann auf der Straße allein mit Gott“, sagt eine in einer belgischen Studie. | |
| Psychologisch könnte man vielleicht sagen, der Schleier ist für sie eine | |
| Möglichkeit, sich selbst aufzuwerten. Und ein großes Selbstbewusstsein ist | |
| notwendig, wenn man täglich angezischt wird, aufgefordert wird, wieder nach | |
| Hause zu gehen, oder wenn einem der Schleier vom Kopf gezogen wird. | |
| Letzte entscheidende Frage: Heilig fühlen – gut und schön, aber haben wir | |
| in unserer Gesellschaft nicht tatsächlich ein Recht darauf, dem Gegenüber | |
| ins Gesicht zu sehen? Kontakt aufzunehmen durch ein Lächeln oder in seinem | |
| Gesicht zu lesen, statt einen undurchdringlichen Schleier anzuschauen? | |
| Bisher hatten wir das nicht. Die Vermummung eines Menschen ist nur in | |
| wenigen Ausnahmesituationen verboten. Jeder kann mit Maske oder | |
| Riesensonnenbrille und einem Mundschutz herumlaufen, wenn er oder sie | |
| möchte. Bisher hieß es in einer Demokratie „Jede und jeder hat eine | |
| Stimme“, und nicht „Jede und jeder hat ein Gesicht“. | |
| Doch auf der anderen Seite macht die Unkenntlichkeit einer Person durch | |
| eine Gesichtsverhüllung auf jeden Fall Angst. Masken tragen Diebe und | |
| Entführer. Und es gibt bereits ein Bild von der verhüllten Terroristin, | |
| seit im Juli 2002 verhüllte tschetschenische „Schwarze Witwen“ ein Blutbad | |
| in einem Moskauer Musicaltheater anrichteten. Verschleierte Frauen sind | |
| unheimlich. | |
| Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bejaht, dass Menschen | |
| das Recht haben, anderen Menschen ins Gesicht zu sehen. Er bestätigte im | |
| Juli 2014 das französische Verhüllungsverbot. Sicherheitsgründe spielten | |
| dabei keine Rolle. Das Gericht befand, dass eine entsprechende Gefahrenlage | |
| nicht gegeben sei. Aber das Gericht hat die Angst und Verunsicherung der | |
| Menschen anerkannt. Und eine Rechtsverletzung in der Verhüllung gesehen. | |
| Angstrecht. Angstpolitik – so könnte man die Burkaverbote vielleicht | |
| nennen. Wenn man sich in Frankreich oder Belgien die Konsequenzen dieser | |
| Verbote ansieht, dann sieht man auch, dass sie keinen Einfluss auf die | |
| Angst der Menschen hatten, zu unbedeutend sind die Schleierträgerinnen. | |
| Denen hat man nun das Leben schwer gemacht. Mehr nicht. Ist es das wert? | |
| 19 Aug 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Heide Oestreich | |
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