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# taz.de -- Kolumne Macht: Das Recht auf Unsinn
> Meinungsfreiheit steht allen zu, auch Migranten. Sie dürfen Erdoğan
> bewundern und müssen Merkel nicht lieben.
Bild: Man darf Despoten mögen
Die Meinungsfreiheit gehört für mich zu den kostbarsten Gütern überhaupt.
Dieses Grundrecht steht auch Leuten zu, die ganz andere Ansichten vertreten
als ich. „Rübe ab“ ist die einzig gerechte Strafe für einen Mörder,
Homosexuelle sind pervers, aufreizende Frauen selber schuld, wenn sie
vergewaltigt werden, und vielleicht ist ein gutherziger Diktator fürs Volk
besser als das ewige Parteiengezänk: All diese Äußerungen finde ich
blödsinnig, sogar gefährlich. Ich habe Jahre gebraucht, um zu akzeptieren,
dass sie trotzdem vom Recht auf Meinungsfreiheit abgedeckt sind. Und jetzt
soll ich wieder umlernen? Offenbar.
Manche Positionen scheinen nämlich nicht mehr rechtmäßig zu sein, wenn sie
von jemandem mit Migrationshintergrund vertreten werden – allerdings nur
dann. Bei der Frage nach den Grenzen der Meinungsfreiheit geht es plötzlich
nicht mehr darum, ob ein Gesetz gebrochen wird, sondern um Gefühle: einer
angeblichen Mehrheit, die darüber befindet, welche Ansicht zur deutschen
Kultur passt und welche nicht.
Wann das jeweils der Fall ist, hängt eben davon ab, wer diese Ansicht
vertritt. Wenn der Enkel von niedersächsischen Bauern findet, eine Frau
gehöre ins Haus, dann geht das in Ordnung. Der Enkel anatolischer
Großeltern zeigt hingegen mit derselben Überzeugung, dass er hier nicht
integriert ist und keinen Respekt vor der deutschen Verfassung hat.
Nun könnte man ja sagen, die Enkel anatolischer Großeltern sollten einfach
die Klappe halten, wenn sie keinen Ärger wollen. Diese Forderung ließe sich
übrigens beklagenswert gut mit bestimmten Teilen der deutschen Kultur und
Geschichte vereinbaren. Leider genügt es aber nicht mehr, wenn Deutsche mit
Migrationshintergrund oder gar – horribile dictu! – doppelter
Staatsbürgerschaft einfach schweigen. Um nicht als Staatsfeinde zu gelten,
müssen sie sich inzwischen zu allem Möglichen bekennen.
## Niemand muss sich bekennen
Früher hat es gereicht, Gesetze zu befolgen – man war nicht gezwungen, sie
toll zu finden. Für einen bestimmten Teil der Bevölkerung ändert sich das
gerade. Wer türkische Wurzeln hat, muss das Wertesystem der Verfassung
lieben. Von Neonazis wird das nicht verlangt.
Die Skala der Forderungen an Migranten scheint nach oben offen zu sein.
Landwirtschaftsminister Christian Schmidt erklärte kürzlich in einem
Interview: „Unser Staatsoberhaupt ist Joachim Gauck und Regierungschefin
ist Angela Merkel. Wir müssen deutlich machen, dass mit der deutschen
Staatsbürgerschaft das Bekenntnis zum Grundgesetz unwiderruflich verbunden
ist.“
Augenblick – hat die politische Übereinstimmung mit Gauck und Merkel jetzt
Verfassungsrang? Was bin ich froh, dass meine Großeltern aus Niedersachsen
und nicht aus Anatolien stammen. Sonst drohte mir womöglich der Verlust
meiner Staatsbürgerschaft.
Schluss mit lustig. Wem ernsthaft an den Grundrechten gelegen ist, muss
dafür eintreten, dass Menschen mit türkischem Hintergrund genauso viel
Unsinn reden dürfen wie alle anderen Leute auch. Das Recht auf
Meinungsfreiheit schließt sogar die Bewunderung für einen Despoten wie den
türkischen Präsidenten Erdoğanein.
Für Organisationen gilt das nicht. Staaten können, ja müssen sich
aussuchen, mit wem sie zusammenarbeiten und wen sie fördern wollen.
Individuen jedoch genießen den Schutz der Grundrechte – die ja Abwehrrechte
gegen staatliche Übergriffe sind – unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem
Geschlecht, ihrer Religion, ihrer Überzeugung. Alle Forderungen nach
politischen Bekenntnissen einzelner Gruppen der Bevölkerung sind deshalb
nur eines: verfassungsfeindlich.
13 Aug 2016
## AUTOREN
Bettina Gaus
## TAGS
Schwerpunkt Angela Merkel
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Meinungsfreiheit
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