# taz.de -- Kolumne Macht: Verunsicherung ist berechtigt | |
> Von einer Sekunde zur anderen kann alles anders sein. Und nein: Die | |
> Sturzflut von Braunsbach hätte kein Politiker verhindern können. | |
Bild: Naturgewalt im 21. Jahrhundert | |
Die Bilder aus Braunsbach in Baden-Württemberg sind besonders verstörend, | |
obwohl dort bei der Sturzflut niemand verletzt oder gar getötet wurde. | |
Dabei gibt es doch Schlimmeres als materielle Verluste, so schmerzlich die | |
auch sein mögen. Der Verlust von nahestehenden Menschen beispielsweise. | |
Aber es geht bei der Frage, welches Entsetzen ein Ereignis auslöst, eben | |
nicht um einen makabren Wettbewerb um das schrecklichste Einzelschicksal. | |
Sondern darum, welche eigenen Ängste wachgerufen werden. In dieser Hinsicht | |
gibt es nichts Schlimmeres als Braunsbach. | |
Die ersten Aufnahmen von Einfamilienhäusern, die der Krieg im ehemaligen | |
Jugoslawien zerstört hatte, sahen genau so aus wie die unserer Eltern oder | |
unserer Tanten oder der Eltern unserer Freunde. Genau so! Das war viel | |
anrührender als die Tatsache, dass im Zeitalter der europäischen Einheit | |
ein Krieg „mitten in Europa“ stattfand. | |
## Stich ins Herz | |
Wenn es einen Stich ins Herz gibt, dann ist der selten historisch | |
begründet. Sondern speist sich oft aus Erinnerungen. Kindheit, alte Bücher. | |
Ein Kirchturm, der Häuser mit roten Schindeldächern überragt. | |
Deshalb sind die Ereignisse von Braunsbach ja so erschütternd. Dieser Ort | |
schien der Inbegriff von Geborgenheit zu sein. Langweilig vielleicht, | |
zugleich aber wäre er gut geeignet gewesen als Symbol für | |
Friedensdividende: ein Nest mitten in einem der ruhigsten und reichsten | |
Länder der Welt. Was soll da schon passieren? | |
Menschen wünschen sich unterschiedliche Dinge. Ohne der Bevölkerung dieser | |
dörflichen Gemeinde zu nahe treten zu wollen: Wer dort dauerhaft lebt, ist | |
vermutlich nicht besonders abenteuerlustig und findet es unerfreulich, wenn | |
dramatische Ereignisse das Leben von einem Tag auf den anderen grundlegend | |
verändern. | |
„Mehr Sicherheit“ als in Braunsbach kann es nicht geben. Jedenfalls hätte | |
man das bis vor ein paar Tagen gedacht, als aus Bächen ein reißendes | |
Wildwasser wurde, das Autos zermalmte, Häuser zerquetschte, meterhohe Berge | |
aus Geröll auftürmte. „Als ob Gott einfach mal kurz mit der Faust | |
draufgeschlagen hätte“, sagte ein – übrigens nicht religiöser – Freund | |
fassungslos. | |
Ob Gott, der Klimawandel oder auch Flußbegradigungen nun jeweils schuld | |
sind an den apokalyptischen Ereignissen, darüber werden Fachleute noch | |
lange streiten. Worüber sich nicht streiten lässt: Wie dünn der scheinbar | |
so trittfeste Boden ist, auf dem wir uns alle bewegen. | |
## Gefühl der Verunsicherung | |
Mehr Glück als die Deutschen kann man mit äußeren Gegebenheiten nicht | |
haben. Es gibt keinen Anlass – jedenfalls bisher nicht – zur Angst vor | |
schweren Erdbeben, Taranteln, Tornados, Vipern, Vulkanausbrüchen, | |
Klapperschlangen, Malaria, Krokodilen, Pest und Cholera. Stattdessen gibt | |
es überall auf weiter Flur äußerst fruchtbare Böden und eine Überproduktion | |
von Milch. | |
All das gilt innerhalb weniger Minuten nicht mehr, weil Bäche – Bäche! – | |
über die Ufer treten? Von einem Augenblick auf den anderen ist die Welt | |
eine andere? | |
Ja. So kann das sein. Jedes Gefühl der Verunsicherung ist berechtigt. Wir | |
leben in einer Zeit des Umbruchs. Über die Gründe können unsere Nachfahren | |
streiten – wenn es die dann noch gibt. | |
Verständlich, dass sich viele nach Leuten sehnen, die behaupten, die | |
Verhältnisse wieder übersichtlich gestalten zu können. Aber, so bitter das | |
klingt: Weder Donald Trump noch Frauke Petry und auch nicht Alexander | |
Gauland hätten die schreckliche Sturzflut von Braunsbach verhindern können. | |
Wirklich nicht? Nein, wirklich nicht. | |
4 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
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