| # taz.de -- Kolumne Macht: Partner Nordkorea | |
| > Wer für ein Flüchtlingsabkommen mit dem Ägypter Abdel Fattah al-Sisis | |
| > wirbt, sollte weiter gehen und auch Nordkorea anfragen. | |
| Bild: Auch Nordkorea könnte Verhandlungspartner in Flüchtlingsfragen werden | |
| Manchmal fallen mir gerade bei besonders schrecklichen Meldungen besonders | |
| geschmacklose Witze ein, vielleicht als Abwehrmechanismus. Oder warum auch | |
| immer. So dachte ich spontan in der letzten Woche bei dem schweren | |
| Schiffsunglück vor der ägyptischen Küste, nun werde doch bestimmt jemand | |
| ein Flüchtlingsabkommen mit Kairo anregen. Im nächsten Augenblick habe ich | |
| mich für meinen Zynismus geschämt. | |
| Das war überflüssig. | |
| Die toten Kinder, Männer und Frauen waren noch längst nicht alle geborgen, | |
| da sprach sich Martin Schulz, Präsident des EU-Parlaments und | |
| Sozialdemokrat, dafür aus, mit Ägypten einen Vertrag, ähnlich dem Abkommen | |
| mit der Türkei, auszuhandeln. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel, | |
| Bundeskanzlerin, äußerte sich ähnlich. Selbstverständlich wurde betont, der | |
| Schutz der Flüchtlinge müsse im Vordergrund stehen. | |
| Da gäbe es nämlich viel zu tun. Ende Juli hat ein äthiopischer Flüchtling | |
| versucht, sich vor dem Gebäude des UNO-Hilfswerkes UNHCR in Kairo zu | |
| verbrennen – als Zeichen des Protests gegen aus seiner Sicht unzumutbar | |
| lange Bearbeitungszeiten im Asylverfahren. Er überlebte. Die genauen | |
| Umstände sind ungeklärt, aber Berichten zufolge kam ihm eine andere | |
| Asylbewerberin zu Hilfe, eine Mutter von zwei kleinen Kindern. Sie starb. | |
| Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi behauptet, sein Land beherberge | |
| fünf Millionen Flüchtlinge. Das UNHCR hat im letzten Jahr 250.000 | |
| registriert – was sowohl darauf hindeuten kann, dass der Präsident lügt, | |
| wie auch darauf, dass die UNO nicht schnell genug arbeitet. Vielleicht | |
| stimmt beides. | |
| ## Folter, Mord, Entführungen und Organhandel | |
| Außer Zweifel steht: Die Lage vieler Flüchtlinge in Ägypten, die | |
| überwiegend aus dem Sudan, aus Äthiopien und aus Syrien kommen, ist | |
| katastrophal. Vor allem auf dem Sinai sind Folter, Mord, Entführungen und | |
| Organhandel an der Tagesordnung. Der Weltgesundheitsorganisation WHO | |
| zufolge fungiert Ägypten als regionale Drehscheibe einer systematischen | |
| Organhandel-Industrie. | |
| Aber selbst wer es bis nach Kairo schafft, ist nicht in Sicherheit. | |
| Internationale Organisationen mussten – wie auch andernorts auf der Welt – | |
| Hilfen kürzen, weil die reichen Länder nicht einmal Minimalzusagen | |
| einhalten. Und die ägyptische Regierung hat mit der Armut im eigenen Land | |
| und der Gefahr sozialer Unruhen genug zu tun. Die Flüchtlinge sind ihr | |
| geringstes Problem. Entsprechend gering ist auch die Hilfsbereitschaft. | |
| Präsident Sisi, der durch einen Militärputsch an die Macht gekommen ist, | |
| findet die Idee eines Flüchtlingsabkommens prima. Sein Regime leidet Not, | |
| obwohl Ägypten eines der größten Empfängerländer der Welt ist. Aber das | |
| meiste Geld geht für Waffen drauf, die sind halt teuer. | |
| Übrigens: Nicht nur die Flüchtlinge haben es schwer in Ägypten. Die meisten | |
| internationalen Organisationen, die Schutz bieten könnten, haben ihre | |
| Pforten wegen Repressionen geschlossen. Willkürliche Verhaftungen und | |
| drakonische Strafen für ägyptische Menschenrechtler gehören zu den | |
| Standardmaßnahmen dessen, was das Regime unter „Stabilisierung“ versteht. | |
| Die der Westen angesichts der explosiven Lage im Mittleren Osten dringend | |
| wünscht. Weshalb er wegschaut – oder gar nicht erst hin. | |
| Ein Flüchtlingsabkommen mit Kairo? Wenn das geht, sollte auch mit Nordkorea | |
| verhandelt werden. Das ist zwar weit weg von Europa und bislang ohne | |
| Schlepper. Aber vielleicht könnte Pjöngjang dennoch Europa einige | |
| Flüchtlinge vom Hals schaffen. Indem man Asylsuchende dorthin verfrachtet | |
| und den Diktator dafür bezahlt. Schlechter als in Ägypten würde es ihnen in | |
| Nordkorea vermutlich auch nicht gehen. | |
| 1 Oct 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Bettina Gaus | |
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