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# taz.de -- Kolumne Macht: Männermut vor Herrscherthronen?
> Ein Konzert der Dresdner Sinfoniker in Istanbul wurde abgesagt. Im
> Generalkonsulat gäbe es „Raumprobleme“. Gelogen, es gibt ein
> Erdogan-Problem.
Bild: Tayyip Erdogan, in geostrategischer Hinsicht leider ein nützlicher Despot
Immer diese Raumprobleme. Daran scheitern ja oft die schönsten
Veranstaltungen. Zum Beispiel ein geplantes Konzert der Dresdner Sinfoniker
in Istanbul.
Die Musiker wollten Mitte November dort ihr Musikprojekt „Aghet“ im
deutschen Generalkonsulat aufführen, in dem es um die türkischen Massaker
an Armeniern geht. Also um einen Völkermord, der sich vor rund 100 Jahren
ereignet hat, den wir jedoch noch immer lieber nicht als solchen bezeichnen
möchten, um die deutsch-türkischen Beziehungen nicht aktuell zu belasten.
Und an dem übrigens wir Deutschen nicht ganz unbeteiligt waren.
Vielleicht haben Sie von dem geplatzten Konzert gehört. Vielleicht auch
nicht, und dann wäre das kein Hinweis auf geringes Interesse Ihrerseits an
aktuellen Nachrichten. Denn die Tatsache, dass „die Räumlichkeiten des
Generalskonsulats“ am gewünschten Termin „nicht zur Verfügung“ stehen �…
das Auswärtige Amt – sorgte für erheblich weniger Aufsehen als ein
beliebiger Wetterbericht.
Außenpolitik regt Leute selten auf. Jedenfalls nicht die Leute, die sich
gerne über Politik aufregen und ohnehin der Ansicht sind, dass „die
Politiker“ gewohnheitsmäßig lügen. Für Hass-Mails wird Innenpolitik
bevorzugt. Aber wenn Populisten das Bedürfnis hätten, ihre Pauschalurteile
mit Tatsachen zu untermauern: dann würde sich das abgesagte Konzert dafür
gut eignen.
## Ein nützlicher Despot
Denn alles, was im Zusammenhang damit gesagt wurde, ist tatsächlich
gelogen. Es liegt nicht an fehlenden Räumen, dass die Aufführung nicht
stattfinden kann. Sondern daran, dass demokratische Politiker derzeit alles
daran setzen, den türkischen Präsidenten Erdogan nicht zu verärgern. Der in
den letzten Wochen bewiesen hat, dass er ein Despot ist. Leider ein Despot,
der in geostrategischer Hinsicht nützlich ist.
Die Sprache der Diplomatie muss verbindlich sein, schon klar. Aber wenn das
Auswärtige Amt – und Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der gegenwärtig
für das Amt des Bundespräsidenten gehandelt wird – findet, das ein Konzert
derzeit nicht die die politische Landschaft passt: Kann das nicht ein
kleines bißchen deutlicher formuliert werden als geschehen?
Nein, ich verlange nicht, dass gesagt wird, was tatsächlich Sache ist.
Nämlich: Wir glauben, Erdogan zu brauchen, deshalb tun wir nichts, was ihn
ärgern könnte. Obwohl wir natürlich wissen, dass er Oppositionelle foltert,
Minderheiten verfolgt, Demokraten einsperrt und ein Diktator ist. So muss
man das ja nicht ausdrücken.
## Eine Frage der Selbstachtung
Aber: Raumprobleme? Mit einer solchen Begründung macht man sich mit dem
Tyrannen gemein. Schlimmer noch: Man ist bereit, ein augenzwinkerndes
Lächeln mit ihm zu teilen. So weit sollten Demokraten nicht gehen. Schon
allein aus Gründen der Selbstachtung nicht. Und wenn Selbstachtung als
Begründung nicht genügt: Dann sollte zumindest der Respekt vor der eigenen
Bevölkerung es gebieten, dass nicht eine derart alberne Begründung für die
Absage einer politisch heiklen Veranstaltung geliefert wird.
Wenn es diesen Respekt nicht gibt, dann sollte sich niemand darüber
wundern, dass auch der Respekt vor der politischen Klasse schwindet. Das
Problem besteht nicht in erster Linie darin, dass jemand offenkundig lügt.
Sondern darin, dass weder Journalisten noch auch politische Kollegen darin
ein Problem zu sehen scheinen.
Ach, noch etwas: Ein bißchen mehr „Männermut vor Herrscherthronen“ hätte
man sich gewünscht. Wenn deutsche Konsulate nicht einmal mehr Musik spielen
lassen dürfen, dann ist das ein bedrückendes Zeichen dafür, wer den Takt
vorgibt. Will sich jemand wie Steinmeier wirklich der Regie von jemandem
wie Erdogan unterwerfen?
28 Oct 2016
## AUTOREN
Bettina Gaus
## TAGS
Recep Tayyip Erdoğan
Völkermord Armenien
Frank-Walter Steinmeier
Schwerpunkt Türkei
Putschversuch Türkei
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