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# taz.de -- Dokfilm über deutsche Exilanten: Aufbruchstimmung am Bosporus
> Die Geschichte deutscher Exilanten in der Türkei während der Nazizeit:
> Der Film „Haymatloz“ erzählt, was bisher nur wenige wussten.
Bild: Was ist aus der Aufbruchstimmung der 1930er-Jahre in der Boom-Zeit Erdoga…
Im Sommer 1933 erhält der Pathologe Philipp Schwartz in Zürich, wohin er
nach der Erlassung des nationalsozialistischen „Gesetzes zur
Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ geflohen war, ein Telegramm: „Mein
sehr verehrter Herr Dr., in der Türkei wären einige Kapazitäten […] an der
dort[igen] Universität unterzubringen.“ Wenig später übersiedelt Philipp
Schwartz von Zürich in die Türkei und übernimmt in Istanbul die Leitung des
Pathologischen Instituts.
Der von ihm gegründeten „Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im
Ausland“ gelang es in den folgenden Jahren, zahlreiche in Deutschland aus
ihren Ämtern vertriebene Wissenschaftler, vor allem jüdische, auf Stellen
ins Ausland zu vermitteln, viele von ihnen in die Türkei. Die junge
Republik der Türkei bot den Exilanten die Möglichkeit, nicht nur zu
fliehen, sondern zugleich zu helfen, etwas aufbauen.
Die Geschichte des deutschen Exils in der Türkei ist noch immer wenig
bekannt. In „Import – Export“, ihrem Abschlussfilm an der Kunsthochschule
für Medien Köln, hatte die Regisseurin Eren Önsöz die Geschichte dieses
Exils bereits angerissen. Nun hat sie dem Thema mit „Haymatloz“ einen
ganzen Film gewidmet.
„Haymatloz“ porträtiert fünf Nachkommen deutscher Exilanten in der Türke…
Neben Susan Ferenz-Schwartz, Tochter von Philipp Schwartz, sind dies:
Elisabeth Weber-Belling, Tochter des Bildhauers Rudolf Belling, dessen
Kunst den Nazis als „entartet“ galt und der an der Kunstakademie von
Istanbul die Bildhauerlehre grundlegend neu konzipierte. Kurt Heilbronn,
Sohn des Botanikers Alfred Heilbronn, der nach der Vertreibung von seinem
Lehrstuhl in Münster das pharmakologisch-botanische Institut in Istanbul
und den Botanischen Garten gründete. Enver Tandoğan Hirsch, Sohn von Ernst
Eduard Hirsch, der bis 1933 als Richter in Frankfurt lebte.
## Emotionale Verbundenheit
Hirsch (der die Schreibweise seines Nachnamens nach seiner Einbürgerung
1934 in Hirş änderte) lehrte in Istanbul und Ankara und entwarf zahlreiche
türkische Gesetze mit (darunter das Handelsgesetz, das Universitätengesetz
und das Urheberrecht). Schließlich Engin Bagda, dessen Großvater Otto
Gerngroß in Ankara die landwirtschaftliche Hochschule gründete.
„Haymatloz“ begleitet die fünf auf eine Reise in die Türkei. In der
Begegnung mit Universitätsangehörigen wie der Juristin und Frauenrechtlerin
Nazan Moroğlu verschiebt sich der Fokus des Films: Mit jeder Begegnung
stellt sich mehr heraus, dass sich die emotionale Verbundenheit und
Dankbarkeit der Nachfahren der Exilanten auf ein Land gerichtet hat, das
es, so wie es ihre Väter und Großväter kennengelernt hatten, immer weniger
gibt. Im Vergleich zur Aufbruchsstimmung und der Modernität der Türkei
Anfang der 1930er Jahre, betonen viele der Gesprächspartner die Stagnation
und den Abbau von Errungenschaften, der die Boomjahre unter Erdoğan
begleitete.
## Komplexe Reflexion
Wie schon in „Import – Export“ ist Eren Önsöz mit „Haymatloz“ ein F…
gelungen, der sich im Rückgriff auf historische Prozesse mit eingespielten
Deutungsmustern der Gegenwart reibt.
Die Nachfahren der Exilanten, die mit ihren Eltern eine Türkei voller
Aufbruchsstimmung und Modernität schätzen gelernt haben; die Begegnung mit
Orten wie dem Gezipark, die die Kindheit und Jugend der Exilanten prägten
und heute Brennpunkte der Rückabwicklung des Kemalismus und der Frustration
über die aktuelle Politik sind; die Gespräche, in denen sich die
Melancholie der Exilanten-Nachfahren mit der melancholischen Resignation
ihrer Gesprächspartner mischt – all das fügt sich zu einer komplexen
Reflexion über die Gegenwart und Vergangenheit der Türkei.
1 Nov 2016
## AUTOREN
Fabian Tietke
## TAGS
Schwerpunkt Türkei
Exil
Flüchtlinge
Drittes Reich
Juden
Wissenschaftler
Putschversuch Türkei
Recep Tayyip Erdoğan
Schwerpunkt Türkei
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