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# taz.de -- Bundestag beschließt Fracking-Gesetz: Freut euch doch
> Jahrelang haben Umweltverbände gegen Fracking gekämpft. Jetzt ist das
> Gesetz da, aber sie nörgeln weiter.
Bild: Nicht gestoppt, aber gebremst
Berlin taz | Jahrelang gekämpft, geackert, Petitionen unterschrieben,
demonstriert und jetzt den großen Krieg um eine der großen Umweltfragen in
Deutschland verloren? In dieser Woche hat die Große Koalition in Berlin ihr
Gesetz verabschiedet, mit dem die Förderung von Erdöl und Erdgas durch
Fracking neu geregelt wird. Es ging jetzt superschnell. Seit einem Jahr
schimmelte das Gesetz im Bundestag vor sich in, keiner wollte sich an dem
hässlichen Thema die Finger verbrennen.
Doch jetzt musste was geschehen, weil die Industrie vergangene Woche
ankündigte, wieder zu fracken – was ExxonMobil, Wintershall und andere nach
geltendem Recht dürfen. Sie haben es seit 1961 mehr als 300-mal so gemacht.
Es waren kleine Eingriffe in großer Tiefe, nicht die moderne, exzessive
Variante aus den USA nahe der Oberfläche. Wegen der Debatte in den
vergangenen Jahren und dem politischen Versprechen, ein neues Gesetz zu
formulieren, hatten die Förderer verzichtet.
Fracking – das ist jene Fördermethode, die in den USA ganze Bundesstaaten
mit Bohrstellen überzogen hat. Definiert mit der Standardbeschreibung: Man
presst ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien in den Untergrund, um
Gestein aufzubrechen, aus dem sich sonst überhaupt nichts fördern lässt.
Nun gibt es also endlich ein Gesetz dazu in Deutschland. Doch hört man die
Umweltverbände an, scheint es eine Katastrophe zu sein. „Die Gefahren, die
vom Fracking für unsere Gesundheit, die Natur und das Trinkwasser ausgehen,
werden mit diesem Gesetz nicht gebannt“, schreibt der BUND.
## Ökos sehen keinen Erfolg
Die Grüne Bundestagesabgeordnete Julia Verlinden sagt: „Die Industrie hat
genau das Gesetz bekommen, das sie wollte.“ Das Umweltinstitut München
zählte auf seiner Webseite einen Countdown bis zur Abstimmung im Bundestag,
um dazu zu animieren, auf den letzten Drücker noch Anti-Fracking-Mails an
Abgeordnete zu verschicken.
Kathrin Otte, stellvertretende Vorsitzende des Gemeinnützigen Netzwerks für
Umweltkranke, warnt: „Wir werden mit dem Gesetz eine Fracking-Walze
erleben.“ Sie setzt sich für diejenigen ein, die neben Förderanlagen wohnen
und fürchten, dass Benzol und Quecksilber, das Umweltverbände in erhöhter
Konzentration in den Gebieten gemessen haben, sie krank macht.
Kaum einer aus der Ökoszene will in dem Gesetz einen Erfolg sehen. Ja, es
schließt Fracking in Schiefer-, Ton-, oder Mergelgestein und
Kohleflözgestein mindestens bis 2021 aus, aber eben nicht in Sandstein,
sagen sie. Damit wären nur rund 90 Prozent des mittels Fracking technisch
förderbaren Erdgases in Deutschland sakrosankt. Ansonsten sind zwar vier
Probebohrungen in den verbotenen Gesteinsschichten erlaubt – die von
Bundesländern abgelehnt werden können, was die relevanten zwei,
Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, bereits angekündigt haben.
## Fast komplett gewendet
Außerdem gibt es Verbote für Wasserschutzgebiete, alle Einzugsgebiete für
Mineralbrunnen und die öffentliche Wasserversorgung – was mögliche
Förderung nochmals einschränkt. Warum also die Alarmsirenen? Verglichen mit
dem Ausgangspunkt der Debatte haben die Kritiker das Blatt fast komplett
gewendet.
Rückblick, Anfang 2013: Deutschland debattierte über die angeblich
überbordenden Kosten der Energiewende. Die Wirtschaftspolitiker der
damaligen schwarz-gelben Regierung in Berlin schauten mit verklärtem Blick
gen USA. Spottbillig pressten die Amerikaner Erdgas aus dem Boden,
schwärmten von der Reindustrialisierung ihres Landes. Die Industrie in
Deutschland machte Druck. Ohne Fracking falle Deutschland zurück, warnte
der BDI.
Eine Zahl elektrisierte die Industrie: Bis zu 2,3 Billionen Kubikmeter
Erdgas lagern hier noch, damit könnte man sich rechnerisch 30 Jahre
komplett selbst versorgen, vielleicht auch nur ein Jahrzehnt bei
realistische Fördermengen. Aber für ein Land, das 90 Prozent seines
Erdgases importiert, ein gewaltiger Schatz. Freilich nur, würde man vom
Bodensee bis Berlin noch den letzten Schulhof mit Bohrlöchern versehen.
Der damalige Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) und der damalige
Bundeswirtschaftsminister, ein gewisser Philipp Rösler von einer gewissen
FDP, einigten sich auf einen Entwurf – die taz nannte sie die Frackels. Ihr
Gesetz, das Fracking außer in Wasserschutzgebieten fast überall ermöglicht
hätte, scheiterte, bevor es überhaupt richtig formuliert war.
## Feuer im Wasserhahn
Die CDU im Südwesten sorgte sich um den Bodensee, die Bierbrauer um ihr
Brauwasser, die Wasserversorger um ihr Trinkwasser, die SPD in
Nordrhein-Westfalen um die SPD in Nordrhein-Westfalen, die Grünen hatten
endlich wieder ein Ökothema, das viele bewegte. Als die Debatte los ging,
war das Kind aus Sicht der Frackels schon ins Bohrloch gefallen: Die
Umweltsauereien durch den Erdgaswahn aus den USA waren hierzulande bekannt.
Viele hatten die oskarnominierte Dokumentation „Gasland“ von 2010 gesehen,
die zeigte, dass man in Fracking-Gebieten Trinkwasser anzünden kann. Dass
diese Szene nichts mit Fracking zu tun hatte, tat der Wirkung des Films
später auch keinen Abbruch mehr. Yoko Ono schaltete Anzeigen mit dem Titel
„Imagine there's no fracking“.
Matt Damon legte 2012 in „Promised Land“ einen klassische
Saulus-Paulus-Nummer hin: Er durfte als Erdgaslobbyist seine Missetaten
erkennen. Ziemlich viel ikonografische Wucht im Vergleich zu – nun ja,
BDI-Chef Grillo, Altmaier und Rösler.
In der Stimmung ein Gesetz zu planen, das Fracking in Deutschland den Weg
ebnen sollte – das konnte, aus der gemütlichen Retrospektive betrachtet,
nur schief gehen. Das Regelwerk heute sieht ein weitgehendes Verbot vor.
Die Umweltverbände könnten sich eigentlich gratulieren – und tun trotzdem
so, als sei alles verloren. Warum eigentlich?
Das liegt vor allem am verflixten Sandstein. Das sind Felsformationen, aus
denen in Deutschland seit Jahrzehnten gefördert wird – auch mittels
Fracking. Allerdings nur, um konventionelle Lagerstätten weiter
auszubeuten, also solche, bei denen das Erdgas zunächst von selbst aus dem
sehr porösen Gestein zum Bohrloch strömt.
## Prüfung in fünf Jahren
Weil Sandstein von dem Verbot ausgenommen ist, kann die Industrie dort nun
auch Schichten aufbrechen, die bisher nicht zu erschließen war. Sie darf,
auf gut deutsch: fracken, nach allen umstrittenen Regeln der Kunst. Nur wo
ist derzeit nicht abzusehen.
Die Grüne Julia Verlinden glaubt, dass das genau das war, was die Industrie
wollte: Wiederaufnahme des bereits erprobten Frackings in Sandstein –
entsprechend begrüßte der Verband der deutschen Erdgas- und
Erdölproduzenten das Gesetz als „positiv für die traditionelle
Erdgasförderung“, beschwerte sich aber über den Ausschuss von den großen
Vorkommen an Erdgas in Schiefergestein.
2021 soll der Bundestag das Verbot allerdings überprüfen, steht in dem
Gesetz – dann könnte es auch wieder fallen, fürchtet Verlinden. Die
Industrie mache dann 2021 sicherlich wieder gehörig Druck. Auch für Kathrin
Otte ist das Gesetz mangelhaft, weil es eben nicht vorsorglich Fracking
komplett verbietet – so lange im Raum steht, dass in Niedersachsen Anwohner
dadurch bereits an Krebs erkrankt sein könnten.
## Bier geht in Ordnung
Aber wenn man – passenderweise – nachbohrt, kommt dann doch ein klein wenig
Lob. Die Organisation Campact, die über 500.000 Unterschriften gegen
Fracking gesammelt hat, spricht auf Nachfrage immerhin von einem
„Teilerfolg“. Auch Verlinden freut sich darüber, dass die Sache mit den
Erdbeben geklärt ist, die durch Erdgasbohrungen ausgelöst werden: Dafür
können künftig die Förderer leichter zur Rechenschaft gezogen werden.
„Der Druck hat schon was bewirkt“, heißt es dann auch vom Umweltinstitut
München. Ein wenig nüchtern fällt die Reaktion beim Deutschen Brauer-Bund
aus: „Union und SPD haben unseren Bedenken Rechnung getragen“, meint
Geschäftsführer Holger Eichele.
Das Bier scheint also zumindest sicher. Aber es gibt eben nicht das
Totalverbot von Fracking, das die meisten Kritiker jahrelang gefordert
haben. Alles, was hinter dieser Maximalforderung zurückfällt, kann sie nach
dem langen Kampf nicht wirklich zufriedenstellen.
2021 soll das Verbot dann vom Bundestag überprüft werden. Vielleicht
steuert Hollywood bis dahin noch ein paar wirkmächtige Filme gegen Fracking
bei. Hier eine Idee: Wegen des niedrigen Öl- und Gaspreises droht den
Förderfirmen in den USA massenweise die Pleite. Manche sprechen schon von
einem Risiko für die ganze Wirtschaft. Vielleicht gibt's Matt Damon bald in
„Frack Off – Wie der Erdgaswahn unser Land ruinierte.“
24 Jun 2016
## AUTOREN
Ingo Arzt
Malte Kreutzfeldt
## TAGS
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