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# taz.de -- Demokratisch abwarten: Kampf um Einfluss an der Urne
> Über die Reform des Wahlrechts diskutiert jetzt ein Parlamentsausschuss.
> Ein neues Volksbegehren dazu wird es erst mal nicht geben
Bild: Grund zum Jubeln haben am Ende oft eher die Männer: Das Wahlrecht benach…
Wieder abgesagt hat jetzt die Initiative „Mehr Demokratie“ ihr geplantes
Volksbegehren zur erneuten Reform des Wahlrechts. Der Grund: Die
Bürgerschaft will darüber nun doch in einem nichtständigen Ausschuss
beraten. „Wir erwarten von den parlamentarischen Beratungen neue
juristische Argumente, vielleicht auch neue Lösungsvorschläge“, sagt eine
Sprecherin von „Mehr Demokratie“.
Dass sich am Wahlrecht wieder etwas ändern soll, darin sind sich Regierung
und Opposition seit der letzten Bürgerschaftswahl einig. „Mehr Demokratie“
befürchtet, dass die Parteien den 2006 dank eines Volksbegehrens gestärkten
Einfluss der WählerInnen auf die Zusammensetzung der Bürgerschaft wieder
eindämmen wollen – sodass am Ende die Listen der Parteien „kaum noch
verändert werden können“.
In der gegenwärtigen Diskussion geht es vor allem um das Verhältnis der
Listen- zu den Personenstimmen. „Mehr Demokratie“ fordert, dass allein die
Personenstimmen über die konkrete Zusammensetzung des Parlaments bestimmen.
Die Listenstimmen sollen nur über die Zahl der Abgeordneten entscheiden.
Dieser Vorschlag wird in Regierungskreisen als verfassungsrechtlich
bedenklich eingestuft. Auch die Listenstimmen müssten einen Einfluss auf
die gewählten Personen haben, so das Argument. Würde der Senat in dieser
Frage den Staatsgerichtshof anrufen, könnte über das Volksbegehren nicht,
wie geplant, parallel zur nächsten Bundestagswahl 2017 abgestimmt werden.
Auch deshalb wurde es jetzt abgesagt. „Mehr Demokratie“ will nun zunächst
die Ausschussberatungen abwarten – und hält sich offen, das Volksbegehren
später erneut zu starten.
Die Grünen fordern, künftig die eine Hälfte der Mandate über Personen- und
die andere Hälfte über Listenstimmen zu vergeben – und erst die
Personenstimmen zu zählen. Diese Idee befürwortet der Bremer
Parteienforscher Lothar Probst.
Bei der letzten Wahl etwa hat SPD-Spitzenkandidat Jens Böhrnsen fast 94.000
Personenstimmen bekommen. Dabei hätte er ohnehin ein Mandat bekommen – und
zwar weil er auf Platz 1 der Liste stand und die Listenstimmen zuerst
ausgezählt werden. 121.397 von 186.374 Personenstimmen für die SPD kamen
schließlich anderen KandidatInnen zugute, errechnete Probst. Er nennt das
„Fremdverwertung“. Anderen reichten manchmal schon wenige Stimmen für ein
Mandat: Bei Peter Zenner (FDP) waren es 732 Kreuzchen. Denkbar wäre
deshalb, dass ein Personenmandat nur erhält, wer so viele Stimmen hat wie
der durchschnittliche Listenmandatsträger.
Gleichstellungspolitisch naheliegend wäre eine Rückkehr zum reinen
Listenwahlrecht: Denn Listen lassen sich quotieren. Die Sozialdemokraten
beispielsweise machen das. Trotzdem besteht die 30-köpfige SPD-Fraktion
jetzt zu zwei Dritteln aus Männern. Von den 14 SPD-Sitzen, die über
Personenstimmen vergeben wurden, entfielen gerade mal zwei an Frauen. Bei
den Grünen und der CDU in Bremen wurden die Hälfte der Sitze über
Personenstimmen vergeben, auch hier profitieren vor allem Männer. Auch
jüngere KandidatInnen werden von dem gegenwärtigen Wahlrecht eher
benachteiligt, ältere Männer und Migranten dagegen waren Probst zufolge
eher in der Lage, „ihre Netzwerke zu mobilisieren“. Analysen zeigen, dass
sich personalisiertes Wahlrecht bundesweit eher zugunsten der Männer
auswirkt. In Bremen ist dieser Effekt besonders deutlich. Die SPD möchte
deshalb künftig zuerst die Personen- und dann die Listenstimmen auszählen –
und erhofft sich, dass so wieder mehr Frauen zum Zuge kommen.
Die nächste Chance dazu gibt es voraussichtlich im Mai 2019. Dann soll der
Landtag zusammen mit dem Europäische Parlament neu gewählt werden.
4 Jul 2016
## AUTOREN
Jan Zier
## TAGS
Wahlrecht
Mehr Demokratie
Bremen
Wahlrecht
Wahlen
Schwerpunkt AfD
Studie
Bremen
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Wahlen
CDU
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