# taz.de -- Landtag: Eine Frage des Marketings | |
> Das Wahlrecht benachteiligt Frauen – von Personenstimmen profitieren | |
> meist Männer. Auch aus anderen Gründen ist es möglicherweise | |
> verfassungswidrig. | |
Bild: Und wenn die Frauen gar nicht wollen? Schweizer Kampagne 1968. | |
BREMEN taz | Das neue Wahlrecht ist „höchst problematisch“ und muss | |
„dringend überarbeitet werden“, sagt Politikwissenschaftlers Lothar Probst | |
von der Uni Bremen. „Die Erfolgswertgleichheit der Stimmen ist nicht | |
gewährleistet.“ Probst räumt deshalb einer Klage dagegen vor dem | |
Staatsgerichtshof gute Chancen ein. | |
Auch auf die Gleichstellung wirkt sich das neue Wahlrecht negativ aus. | |
2011, als erstmals Personenstimmen vergeben wurden, waren am Ende 39 | |
Prozent der Bürgerschaftsabgeordneten weiblich. Künftig wird es nur noch | |
ein Drittel sein. Besonders groß ist das Missverhältnis bei der SPD, deren | |
Liste quotiert war. Nun hat sie, in der Stadt Bremen, 24 Sitze, von denen | |
14 über Personenstimmen vergeben wurden. Darunter sind zwei Frauen, weitere | |
fünf haben es nur dank der Liste geschafft. Bei den Grünen und der CDU in | |
Bremen wurden die Hälfte der Sitze über Personenstimmen vergeben, auch hier | |
profitieren vor allem Männer. Bremerhaven entsendet 15 Abgeordnete – davon | |
vier Frauen. Drei von ihnen haben es dank Liste geschafft. | |
Woran das liegt? Sie könne derzeit nur mutmaßen, sagt | |
Landesfrauenbeauftragte Ulrike Hauffe. Männer seien viel in Communities | |
unterwegs, Sportvereinen etwa, erreichten dort „andere Wirkungsgrade“ als | |
Frauen, die sich etwa im Mütterzentrum engagieren. „Frauen haben oft | |
weniger wichtige Funktionen inne“, sind seltener, sagen wir: Vorsitzende im | |
Verein. | |
„Männer scheinen besser vernetzt zu sein als Frauen“, sagt Probst, besser | |
in der Lage, „ihre Netzwerke zu mobilisieren“. Das gelte vor allem auch für | |
Migranten. Problematisch, so Probst, wird es vor allem für Frauen, die auf | |
mittleren oder hinteren Listenplätzen stehen. „Entweder haben sie sich noch | |
nicht profilieren können oder es nicht verstanden, gezielt um | |
Personenstimmen zu werben.“ | |
Analysen zeigen, dass sich personalisiertes Wahlrecht bundesweit eher | |
zugunsten der Männer auswirkt. „Nicht überall ist es so eklatant wie hier�… | |
sagt Claudia Bernhard (Die Linke), Vorsitzende im Gleichstellungsausschuss. | |
Frauen hätten meist weniger Zeit und Geld. „Der gesamte | |
Geschlechterunterschied schlägt da durch.“ | |
Bernhard widerspricht der Vorstellung, das neue Wahlrecht sei | |
demokratischer: Chancen habe, wer das bessere Marketing für sich mache. „Es | |
geht nicht um Kompetenz oder eine kontinuierliche Arbeit in der letzten | |
Legislaturperiode.“ So produziere das neue Wahlrecht „politischen | |
Qualitätsverlust“. Im Zweifelsfall reichen wenige Stimmen für ein Mandat: | |
Bei Peter Zenner (FDP) waren es nur732 Kreuzchen. Was sich am neuen | |
Wahlrecht ändern muss? „Vieles“, sagt Probst. „Seine Wirkung ist nicht | |
transparent und der Mechanismus der Mandatszuteilung verzerrt den | |
Wählerwillen.“ | |
Jens Böhrnsen etwa hat fast 94.000 Personenstimmen bekommen. Dabei bekäme | |
er eh ein Mandat. 121.397 von 186.374 Personenstimmen für die SPD kommen | |
anderen KandidatInnen zugute, errechnete Probst. Er nennt das | |
„Fremdverwertung“. Das Wahlrecht, so Probst „suggeriert aber, dass jemand | |
wie Böhrnsen dank seiner Personenstimmen gewählt worden wäre“. Ist er aber | |
nicht. Im Zweifelsfall verliert jemand sogar einen sicheren Listenplatz, | |
weil er Personenstimmen bekommt. „Das stellt die Intention des Wahlsystems | |
auf den Kopf“, sagt Probst. | |
Gleichstellungspolitisch naheliegend wäre eine Rückkehr zum reinen | |
Listenwahlrecht: Listen lassen sich quotieren. Hauffe ist diese | |
Schlussfolgerung „viel zu flott“. Probst könnte sich vorstellen, dass – | |
anders als bisher – zuerst Personen, dann Listenmandate vergeben werden, | |
damit es „weniger Fremdverwertung“ gibt. Denkbar wäre, dass ein | |
Personenmandat nur erhält, wer so viele Stimmen hat, wie der | |
durchschnittliche Listenmandatsträger. Dass das Wahlrecht so bleibt, sagt | |
Bernard, ist „indiskutabel“. | |
18 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
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