# taz.de -- Haftbefehl gegen rechten V-Mann: Faule Fahndung | |
> Der umstrittene Ex-Spitzel Ralf Marschner wird gesucht. Dabei ist sein | |
> Aufenthaltsort bekannt. Das bringt die Sicherheitsbehörden in | |
> Erklärungsnot. | |
Bild: NSU-Unterschlupf Zwickau: An dieser Straßenecke betrieb Ralf Marschner s… | |
Geradezu notorisch geriet Ralf Marschner mit dem Gesetz in Konflikt. Mehr | |
als 40 Straftaten listet die Polizei in ihren Dateien zu der einstigen | |
Zwickauer Neonazigröße: Diebstahl, Körperverletzung, Verwenden | |
verfassungsfeindlicher Kennzeichen oder Landfriedensbruch. Nun bestätigte | |
die Staatsanwaltschaft Chemnitz der taz: Bis heute gibt es einen offenen | |
Haftbefehl gegen Marschner. Dabei macht dieser aus seinem Aufenthaltsort | |
keinen Hehl. | |
Die Sache ist heikel, denn Marschner spielt derzeit im NSU-Komplex eine | |
prominente Rolle. Ein Bauleiter behauptet, der Neonazi habe das | |
NSU-Mitglied Uwe Mundlos in seiner Zwickauer Baufirma beschäftigt – in | |
dessen Untergrundzeit. Und Beate Zschäpe soll laut einer Mitarbeiterin in | |
einem Modeladen Marschners aufgetaucht sein. Brisant: Marschner war von | |
1992 bis 2002 unter dem Alias „Primus“ Top-Spitzel des Verfassungsschutzes. | |
Erfolglos versuchten ihn zuletzt Opferanwälte in den NSU-Prozess in München | |
zu laden. Auch vor einem Untersuchungsausschuss sagte Marschner bisher | |
nicht aus. Nun ist klar: Allein schon wegen des Haftbefehls müssten die | |
Behörden ihn nach Deutschland holen. | |
Offen arbeitet der Ex-Spitzel heute in Liechtenstein | |
Warum dieser bis heute offen ist, bleibt nebulös. Denn der Neonazi hält | |
seinen Aufenthaltsort nicht geheim. 2007 hatte er Zwickau verlassen, heute | |
wohnt er in der Schweiz – und betreibt unter seinem Namen einen | |
Antiquitätenladen auf der anderen Seite der Grenze, in Vaduz in | |
Liechtenstein. | |
Der Haftbefehl gegen Marschner ist bereits dreieinhalb Jahre alt. Im Juli | |
2012 erhielt er vom Amtsgericht Chemnitz einen Strafbefehl von 4.500 Euro. | |
Er hatte die Insolvenz seines Modeladens verschleppt. Die Strafe aber | |
zahlte Marschner nie. Am 21. Dezember 2012 schrieb die Staatsanwaltschaft | |
Chemnitz deshalb einen Vollstreckungshaftbefehl aus. | |
Da aber hatte ihn längst das Bundeskriminalamt aufgespürt. Als im November | |
2011 der NSU aufflog, meldeten sich erste Zeugen, die von Kontakten des | |
Trios mit Marschner berichteten. Die Ermittler befragten den Neonazi | |
deshalb im Oktober 2012 im Schweizer Chur – ein Monat vor dem Chemnitzer | |
Haftbefehl. Marschner stritt alles ab: Das Trio habe er nicht gekannt. Im | |
Februar 2013 erfolgte eine weitere Vernehmung. | |
„Weitere Maßnahmen prüfen“ | |
Marschners Aufenthaltsort war also bekannt. Warum also suchen die | |
sächsischen Behörden den Ex-Spitzel bis heute? Ingrid Burghart, Sprecherin | |
der Chemnitzer Staatsanwaltschaft, sagte, für eine internationale | |
Rechtshilfe hätte die Strafhöhe nicht gereicht. „Wir prüfen derzeit aber, | |
ob weitere Maßnahmen möglich sind.“ | |
Irene Mihalic, Grünen-Obfrau im NSU-Ausschuss des Bundestags, sagte, es sei | |
„nicht verständlich, wenn ein straffällig gewordener Neonazi mit solch | |
einer Vorgeschichte unbehelligt in der Schweiz leben darf“. Linken-Obfrau | |
Petra Pau kritisierte, dass der Haftbefehl erst jetzt bekannt wird. „Das | |
Verschweigen und Zurückhalten von Informationen ist symptomatisch für den | |
gesamten NSU-Komplex.“ | |
Der NSU-Ausschuss wird sich am Donnerstag erneut mit dem Fall Marschner | |
befassen. Als Zeuge soll auch ein einstiger Mitarbeiter aussagen: Ralf M. | |
Gut wird er auf Marschner nicht zu sprechen sein. Er war dessen letzter | |
Geschäftspartner in dem insolventen Szenemodeladen, ehe sich Marschner 2007 | |
absetzte – mitsamt der Kasse und den Kontoeinnahmen. | |
Ärger auch mit „Corelli“ | |
Und auch ein zweiter V-Mann bringt den Verfassungsschutz in Erklärungsnot: | |
Thomas „Corelli“ Richter. Der Geheimdienst musste am Mittwoch einräumen, | |
dass er mehrere Handys des Spitzels bis heute nicht ausgewertet hat. Diese | |
soll Richter laut ARD von 2007 bis 2011 genutzt haben – während der | |
Untergrundzeit des NSU. Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen hatte | |
dennoch stets behauptet, es gebe keine NSU-Bezüge „Corellis“ – ohne dies | |
offenbar so genau wissen zu können. | |
Richter war 18 Jahre V-Mann. Er stand auch auf einer Kontaktliste der | |
Terroristen. Dem Verfassungsschutz übergab er schon 2005 eine CD mit der | |
Titeldatei „NSU/NSDAP“. Maaßen war bereits in der Defensive, weil in seinem | |
Amt überraschend ein Handy und Sim-Karten „Corellis“ auftauchten. Die | |
Grünen forderten nun seine Entlassung: Entweder habe Maaßen „völlig die | |
Kontrolle verloren“ oder sein Amt unterdrücke bewusst Beweise. | |
22 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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