| # taz.de -- Sommerpause im NSU-Prozess: Die Fragen bleiben | |
| > Der NSU-Prozess macht vier Wochen Pause. Das Urteil verzögert sich weiter | |
| > – nach über drei Jahren Verhandlung. | |
| Bild: Pause in München | |
| BERLIN taz/dpa | Am Dienstag geht es wieder um ein Puzzlestück, ein | |
| weiteres von so vielen. Der NSU-Prozess widmet sich dem Mitangeklagten Ralf | |
| Wohlleben. Er soll den Rechtsterroristen die Ceska-Pistole organisiert | |
| haben, mit dem diese neun Migranten erschossen. Ein Polizeikommissar | |
| schildert die rechtsextreme Karriere Wohllebens, sein Auftauchen in der | |
| Jenaer Szene 1996, die Organisation von Demonstrationen, seine Reden gegen | |
| Ausländer. | |
| Es war bereits der 305. Tag im NSU-Prozess. Seit nun dreieinviertel Jahren | |
| wird in München über die zehn Morde, zwei Anschläge und 15 Überfälle der | |
| Rechtsterroristen verhandelt. Nun geht der Prozess in eine vierwöchige | |
| Sommerpause. Und ein Urteilsspruch verzögert sich immer weiter. | |
| Erst jüngst verkündete Richter Manfred Götzl neue Prozesstermine: bis | |
| September 2017. Rein vorsorglich. Dennoch: Offenbar rechnet auch er nicht | |
| mehr mit einem Urteil bis Januar 2017, wie bisher terminiert. | |
| Dabei ist die Beweisaufnahme zu weiten Teilen abgeschlossen, Hunderte | |
| Zeugen wurden angehört. Und es zeichnen sich bereits Linien für das Urteil | |
| ab. Die späte Einlassung der Hauptangeklagten Beate Zschäpe – erstmals im | |
| Dezember 2015, schriftlich, vorgetragen von ihrem Anwalt – hat ihr wohl | |
| nicht genutzt. Weite Teile der Anklage wurden durch die Aussage bestätigt. | |
| Und bei den teils oberflächlichen Schilderungen hakte Götzl immer wieder | |
| nach, wollte mehr Details erfahren. | |
| Zuletzt richteten auch die Opferanwälte über mehrere Stunden eine Kaskade | |
| von rund 300 Fragen an Zschäpe. Die Prozedur zeigte, dass vieles im | |
| NSU-Komplex noch ungeklärt ist. Und sie sorgte erneut für offenen Streit | |
| unter Zschäpes Verteidigern. Anwalt Wolfgang Heer wies am Montag etliche | |
| der Fragen als „nicht zur Sache gehörig zurück“ – dann intervenierte | |
| Neuverteidiger Hermann Borchert. Es sei erst zu klären, ob dies überhaupt | |
| im Sinne Zschäpes sei. Wieder musste der Prozess unterbrochen werden, eine | |
| angekündigte Erklärung der Angeklagten fiel aus. | |
| ## Kein Befreiungsschlag für Zschäpe | |
| Schon länger herrscht Eiszeit zwischen den Anwälten, Zschäpe redet mit | |
| ihren drei Altverteidigern um Heer seit einem Jahr nicht mehr – genau so | |
| lange wird sie nun zusätzlich von Borchert und einem weiteren Junganwalt | |
| vertreten. Ein Befreiungsschlag für Zschäpe gelang aber auch ihnen nicht. | |
| Düster sieht es für Wohlleben aus. Seine Anwälte kämpften zuletzt besonders | |
| erbittert. Penibel befragten sie Zeugen, attackierten die | |
| Bundesanwaltschaft. Dennoch: Erst vor zwei Wochen bekräftigen die Richter | |
| in einem Beschluss, dass sie die Zeugen der Anklage für glaubhaft halten – | |
| und damit Wohlleben für den NSU-Waffenbeschaffer. Ihm droht nun, | |
| angeklagt wegen Beihilfe zum zehnfachen Mord, eine lange Haftstrafe. Der | |
| jetzige Dienstag, mit der Schilderung von Wohllebens brauner Gesinnung, | |
| dürfte auch nicht hilfreich gewesen sein. | |
| Und die Richter schlugen weitere Pflöcke ein. Reihenweise lehnten sie | |
| zuletzt Anträge ab, weitere Zeugen zu hören, die etwa klären sollten, ob | |
| Zschäpe und ihr Kumpan Uwe Mundlos bei einem Zwickauer V-Mann arbeiteten. | |
| Der Senat sei nicht zu „ausufernder Aufklärung“ verpflichtet. Auch seien | |
| solche Fragen nicht entscheidend für das Urteil – da eine Steuerung der | |
| Terrorzelle durch den Staat nicht erkennbar sei. Zumindest bei der Rolle | |
| des Verfassungsschutzes hatten die Opferanwälte aber immer wieder Zweifel | |
| angemeldet. „Das ist kein Nebenkriegsschauplatz“, sagte Anwalt Mehmet | |
| Daimagüler. „Natürlich ist es relevant, wann welche | |
| Verfassungsschutzbehörde was gewusst hat.“ | |
| Die Richter legten sich aber in noch einem strittigen Punkt fest: Sie | |
| glauben dem früheren Verfassungsschützer Andreas Temme – der beim NSU-Mord | |
| an dem Kasseler Halit Yozgat am Tatort war, einem Internetcafé. Was der | |
| Geheimdienstler dort machte, gehört zu den größten NSU-Mysterien. Sechs Mal | |
| war Temme im Prozess geladen. Seine Aussage sei „plausibel und | |
| nachvollziehbar“ gewesen, befanden die Richter nun. | |
| Temme hatte behauptet, den Mord nicht mitbekommen und sich danach wegen | |
| seiner Ehefrau nicht als Zeuge gemeldet zu haben – weil er auf einem | |
| Flirt-Portal gechattet habe. Thomas Bliwier, Anwalt der Yozgat-Familie, | |
| nannte den Beschluss „nicht nachvollziehbar“. Temme sei „vollständig | |
| unglaubwürdig“. Ein Ende der Aufklärung dieses Falls sei „im Interesse der | |
| Familie Yozgat nicht zu akzeptieren.“ | |
| 2 Aug 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
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