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# taz.de -- NSU-Prozess in München: „Grober Unfug“
> Der einstige Thüringer V-Mann Tino Brandt sagt im NSU-Prozess aus.
> Richter und Ankläger drängen auf ein baldiges Ende.
Bild: Tino Brandt beim NSU-Prozess, Archivbild aus dem Jahr 2014
München taz | Blass sieht Tino Brandt aus, als er im schwarzen
Kapuzenpullover am Dienstagmorgen in den Saal geführt wird. Der 41-Jährige
kommt direkt aus der Haft, sitzt eine Strafe wegen Kindesmissbrauchs ab.
Nun muss er schon zum vierten Mal im NSU-Prozess vorsprechen.
Brandt ist eine Schlüsselfigur im NSU-Komplex. In den neunziger Jahren
führte er den rechtsextremen „Thüringer Heimatschutz“, in dem sich das
NSU-Trio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt radikalisierte. Nach
deren Abtauchen sammelte Brandt Spenden für die Drei, telefonierte mit
Böhnhardt. Gleichzeitig war Brandt Topspitzel des Thüringer
Verfassungsschutzes – und brachte das Amt doch nicht auf die Spur der
Terroristen.
Nun wollen ihn die Verteidiger des Mitangeklagten Ralf Wohlleben noch
einmal hören. Wohlleben ist angeklagt, dem NSU die Ceska-Pistole besorgt zu
haben, mit der die Rechtsterroristen neun Migranten erschossen. Der Jenaer
aber bestreitet den Vorwurf: Nicht er, sondern der Mitangeklagte Carsten S.
habe die Waffe organisiert – und Brandt das Geld dafür bezahlt.
Brandt antwortet darauf vage. Waffen seien in seinem Umfeld „nie ein Thema
gewesen“, sagt er. Auch sei ihm „nicht erinnerlich“, Carsten S. damals Ge…
gegeben zu haben. Aber: „Ausschließen kann ich es nicht.“ Schließlich habe
er damals „sehr viel Geld“ weitergegeben, dass er vom Verfassungsschutz
bekam.
## 200.000 D-Mark an Salär
Brandts Auftritt ist gerissen. Schon bei seinen Prozessauftritten 2014
hatte er die Verantwortung weg von den einstigen „Kameraden“ Richtung
Verfassungsschutz geschoben. Geld für politische Aktionen habe das Amt ihm
gegeben, ihn vor Durchsuchungen gewarnt oder Informationen über die
Antifa-Szene geliefert.
Ohne den Verfassungsschutz, sagte Brandt, hätte seine Kameradschaft „nicht
diese bundesweite Bedeutung bekommen“. Dem Neonazi zahlte der VS über die
Jahre 200.000 D-Mark an Salär.
Wohlleben dürfte die erneute Aussage Brandts gefallen. Lässt sie doch
offen, ob nicht tatsächlich das Geld für die NSU-Mordwaffe vom
Verfassungsschutz kam – was mehr als ein Skandal wäre. Der Mitangeklagte
Carsten S. hatte im Prozess freilich widersprochen: Das Geld habe definitiv
Wohlleben gezahlt. Auch das Gericht scheint das zu glauben. Die Entlassung
Wohllebens aus der U-Haft lehnte es bisher ab – wegen des weiter
bestehenden Tatverdachts.
## Urteil noch in diesem Jahr?
Zuletzt hatte Richter Manfred Götzl zudem angedeutet, den Prozess nach mehr
als drei Jahren zum Ende bringen zu wollen. Brandts Aussage könnte damit
einer der letzten prominenten Auftritte gewesen sein. Schon im Mai hatte
Götzl die Prozessbeteiligten gefragt, ob die bisher geladenen Zeugen,
endgültig „verabschiedet“ werden könnten. Die Ladung weiterer V-Leute oder
Verfassungsschützer, wie es Opferanwälte beantragten, lehnte er ab.
Am Dienstag sprang die Bundesanwaltschaft den Richtern bei. Es sei ein
„Missverständnis“, dass alle Fragen des NSU-Komplexes im Münchner Verfahr…
geklärt werden müssten, sagte Bundesanwalt Herbert Diemer. Die jüngsten
Anträge der Opferanwälte nannte er „groben Unfug“. „Das Gericht ist nic…
zu ausufernder Beweiserhebung verpflichtet.“ Seine Kollegin Annette Greger
sagte, bisher gebe es auch „keine tragfähigen Anhaltspunkte“, dass die
Verfassungsschutzbehörden vor der NSU-Enttarnung von Tathintergründen oder
Aufenthaltsorten des Trios wussten.
Das Prozessende dürfte trotzdem noch dauern: Allein die Plädoyers aller
Prozessbeteiligten werden Wochen füllen. Um den Jahreswechsel herum aber
könnte ein Urteil fallen.
7 Jun 2016
## AUTOREN
Konrad Litschko
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