# taz.de -- Wohlleben im NSU-Prozess: Der ahnungslose Freund | |
> Ralf Wohlleben bestreitet die Anklagevorwürfe. Der ideologisch | |
> ungeläuterte Neonazi beschuldigt seine Mitangeklagten – und entlastet | |
> Beate Zschäpe. | |
Bild: Ralf Wohlleben (im blauen Hemd) bei einer NPD-Demonstration im Jahr 2007. | |
MÜNCHEN taz | Es ist kein Zufall, dass am Mittwochmorgen ein knappes | |
Dutzend Neonazis auf der Tribüne im Saal A101 des Oberlandesgerichts Platz | |
nehmen. Dass sie freundlich nach unten grüßen, als sich Ralf Wohlleben auf | |
die Anklagebank setzt, unauffällig gekleidet wie immer, grauer | |
Streifenpullover, das Haar artig gescheitelt, daneben seine Frau Jaqueline, | |
die seine Hand hält. | |
Am Mittag schaltet Wohlleben dann das Mikro vor sich an und verliest seine | |
Erklärung. Es ist seine erste Äußerung im NSU-Prozess, nach zweieinhalb | |
Jahren Schweigen, selbstbewusst vorgetragen, zwei Stunden lang. Wohlleben | |
wird seine Kameraden nicht enttäuschen. | |
Für den NSU-Prozess ist es der zweite Paukenschlag. Vor genau einer Woche | |
hatte sich die Hauptangeklage Beate Zschäpe eingelassen, auch sie nach | |
langem Schweigen. Dass nun auch Wohlleben spricht, ist kein Zufall. Ihre | |
Aussagen sind letzte Versuche, Höchststrafen abzuwenden. | |
Die Anklage wirft dem 40-Jährigen Beihilfe zum neunfachen Mord vor. Er soll | |
die Waffe organisiert haben, mit der der NSU neun Migranten erschoss: die | |
Ceska Zbrojovka 83 samt Schalldämpfer. Im Prozess wurde Wohlleben schwer | |
belastet. Der Mitangeklagte Carsten S. warf ihm vor, ihn beauftragt zu | |
haben, die Pistole in einem Jenaer Szeneladen zu kaufen, und dafür 2.500 | |
D-Mark gezahlt zu haben. Holger G., auch er als NSU-Helfer angeklagt, will | |
von Wohlleben den Auftrag für eine weitere Waffenübergabe erhalten haben. | |
## Nichts gewusst | |
Am Mittwoch nun schlägt Wohlleben zurück. Die Ceska habe nicht er, sondern | |
Carsten S. dem Trio überbracht – auf eigene Faust. Er selbst habe den | |
Wunsch Uwe Böhnhardts ausgeschlagen, weil er von Waffen keine Ahnung habe | |
und sich bereits überwacht fühlte. „Erschrocken“ sei er gewesen, als S. | |
plötzlich mit der Pistole in seiner Wohnung aufgetaucht sei. | |
Dem Trio habe er bei der Flucht nur sein Auto gestellt, später lose Kontakt | |
mit ihm gehalten und Botschaften der Untergetauchten an ihre Eltern | |
überbracht – alles nur auf deren Wunsch. Von den Morden, Anschlägen und | |
Raubüberfällen des NSU habe er nie etwas gewusst. Böhnhardt selbst habe | |
behauptet, er brauche die Waffe, um sich im Fall einer Festnahme erschießen | |
zu können. Holger G.s Vorwurf einer weiteren Waffenlieferung tut er | |
schlicht als „Lüge“ ab, diskreditiert diesen vielmehr als einst | |
spielsüchtig und drogen-konsumierend. | |
Der Thüringer folgt dem Tenor von Zschäpes Erklärung: Ich war’s nicht, ich | |
habe nichts gewusst. Dabei gehört er bis heute zu den zentralen Figuren der | |
rechten Szene. Schon in den neunziger Jahren war er mit Zschäpe, Böhnhardt | |
und Mundlos in der „Kameradschaft Jena“, in „führender Rolle“, wie der | |
Geheimdienst bemerkt. Später wird er erst NPD-Kreisvorsitzender, dann | |
Vizelandeschef. | |
Das Berufsleben bleibt auf der Strecke. Mal jobbt Wohlleben als | |
Elektroniker, mal beim „Teppich-Freund“. Meist ist er arbeitslos, | |
organisiert Schulungen und Demonstrationen, zieht ins Jenaer „Braune Haus“, | |
eine „nationale“ Wohngemeinschaft. Und sammelt Vorstrafen, wegen | |
Körperverletzung, übler Nachrede, Verwendung von NS-Propaganda. Noch in der | |
U-Haft muss er verlegt werden. Er soll versucht haben, weiter Strippen in | |
der Szene zu ziehen. | |
## Keine Erinnerung | |
Die Anklage sieht in Wohlleben nicht nur den Beschaffer der Mordwaffe, | |
sondern die „Zentralfigur“ aller NSU-Helfer. Bis mindestens 2001 soll er | |
Unterstützer koordiniert und Spendengelder an das Trio weitergeleitet | |
haben. Für die Untergetauchten vertrieb er deren „Pogromly“-Spiel für 100 | |
DM pro Stück. Zu Wohlleben hatte das Trio offenbar Vertrauen: 10.000 DM | |
sollen Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos ihm einmal zur Verwahrung gegeben | |
haben. | |
Auch das stimme alles nicht, sagt Wohlleben. An die 10.000 DM könne er sich | |
nicht erinnern. Alle Helfer hätten eigenständig gehandelt. Einen davon | |
rückt er in den Fokus: Tino Brandt, einst Chef des „Thüringer | |
Heimatschutzes“ – und V-Mann. Der habe die Spiele aufgekauft, die 500 DM | |
gespendet – und auch das Geld für die Waffe bezahlt. Auch Zschäpe hatte | |
Brandt belastet. Es ist der Versuch, über dessen V-Mann-Tätigkeit auch den | |
Staat wieder in die NSU-Affäre hineinzuziehen. | |
Auffällig freundlich geht Wohlleben dagegen mit Zschäpe um. Anders als von | |
Zeugen geschildert sei diese beim Aufhängen eines Puppentorsos mit | |
Judenstern an einer Autobahnbrücke nicht dabei gewesen. Auch die von | |
Zschäpe gemietete Garage, bei der die Polizei vor dem Untertauchen TNT und | |
Rohrbomben fand, habe Böhnhardt gehört, Sprengstoff habe er dort nie | |
gesehen. Später im Untergrund, so Wohlleben, hätten immer nur die Männer | |
mit ihm kommuniziert. | |
Bereits in den letzten Wochen hatten sich Wohllebens Anwälte auffällig oft | |
mit Zschäpes Verteidiger Mathias Grasel besprochen. Und tatsächlich | |
erwähnte Zschäpe Wohlleben mit keinem Wort in ihrer Erklärung. Abgesprochen | |
seien die Aussagen nicht, behauptet Grasel. | |
## Propaganda im Gericht | |
Anders als Zschäpe aber lässt Wohlleben keinen Zweifel: Von seiner | |
Gesinnung ist er nicht abgerückt. Seinen Aufenthalt in der JVA beklagt er | |
als „Isolationshaft“. Damals wie heute habe er „nichts gegen Ausländer, | |
sondern gegen eine Politik, die massenhaft Zuzug nach Deutschland fördert“. | |
Dann setzt der Angeklagte zur Propagandashow an. Er verliest einen Aufruf | |
des von ihm organisierten „Fests der Völker“ in Thüringen, in dem es hei�… | |
„Wir werden nicht alles unwidersprochen hinnehmen, was uns versucht wird | |
aufzwingen.“ Er lässt ein Propagandavideo zeigen, in dem Neonazis gegen | |
„das Großkapital“ wettern. Die Gesinnungsgenossen auf der Tribüne werden | |
wieder wacher. | |
Gewalt, betont Wohlleben freilich, lehne er bis heute ab, deshalb gehöre | |
den NSU-Opfern sein „Mitgefühl“. Nur passt das nicht zu seinem Auftritt | |
hinter den Kulissen. So äußerte er sich etwa in einem internen Szeneforum | |
2009 über den Plan von Kumpanen, eine Dresdner Polizeiwache „anzugreifen | |
und abzufackeln“. „Das findet bei uns bestimmt breite Zustimmung. Darüber | |
verliert Wohlleben am Mittwoch kein Wort. | |
Am Donnerstag will Richter Manfred Götzl nachhaken, vorerst nur zu | |
Wohllebens Biografie. Götzl hatte am Vortag schon Zschäpes Erklärung | |
auseinandergenommen. Zu Wohlleben gab er bereits vor Wochen einen | |
Fingerzeig. Den Antrag seiner Anwälte, ihren Mandanten aus der U-Haft zu | |
entlassen, lehnte er ab: Der Tatverdacht gegen Wohlleben habe sich | |
keinesfalls erübrigt, so Götzl damals. | |
16 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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