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# taz.de -- Zschäpe-Aussage im NSU-Prozess: Alles aus Liebe
> Zweieinhalb Jahre schwieg Beate Zschäpe vor Gericht. Nun tat sie über
> ihren Anwalt ihre Sicht auf die Terrorserie kund.
Bild: Hat eine Brandstiftung gestanden: Beate Zschäpe mit Anwalt (Archivbild).
München taz | Mit schnellem Schritt betritt Beate Zschäpe am Mittwoch den
Saal A101 des Oberlandesgerichts München, dreht sich erstmals nicht von den
Kameras weg. Der 249. Verhandlungstag beginnt nicht wie die anderen. Dieser
Tag soll ein besonderer werden.
Nach zweieinhalb Jahren Prozess bricht Zschäpe ihr Schweigen. Ihre Stimme
ist dennoch nicht zu vernehmen. Kurz vor 10 Uhr beginnt Anwalt Mathias
Grasel eine Einlassung in ihrem Namen zu verlesen. Die immer wiederkehrende
Aussage des 53-seitigen Papiers: Es seien die „beiden Uwes“, Böhnhardt und
Mundlos, gewesen, die die zehn Morde des NSU planten und verübten, sowie
die zwei Bombenanschläge und 15 Banküberfälle. Sie alleine. Dennoch fühle
sie sich moralisch schuldig, nicht genug auf Mundlos und Böhnhardt
eingewirkt zu haben. „Ich entschuldige mich aufrichtig bei den Opfern“,
trägt Grasel vor.
Im Saal A 101 sind alle Plätze für Zuschauer und Presse belegt. Vor dem
Gebäude warteten weitere Besucher, die nicht mehr in den Saal gelangten.
Ruhig und ohne Hetze versucht Grasel mit Zschäpes Worten die gesamte
Anklage der Bundesanwaltschaft zu widerlegen. Keine Annahme würde stimmen,
macht die Einlassung klar.
Von den Morden habe sie erst im Nachhinein erfahren, ebenso von beiden
Anschlägen in Köln, behauptet Zschäpe. Nach dem ersten Mord an Enver Simsek
am 9. September 2000 will sie völlig geschockt gewesen sein, sich gar mit
beiden „Uwes“, die sie „ihre Familie“ nennt, heftig gestritten haben. M…
keinem Wort hätten die beiden gesagt, das Simsek sterben musste, „weil er
Ausländer war“, behauptet Zschäpe. Diese hätten nur gesagt, dass „eh sch…
alles verkackt sei“, das habe man „zum knallenden Abschluss bringen“
wollen.
## Die große Verbundenheit
Erst später hätten Böhnhardt und Mundlos rassistische Motive für die Morde
und Bombenanschläge ihr gegenüber angeführt. Einmal brüsteten sie sich,
vier weitere Ausländer „umgelegt zu haben“. Jedes Mal, so Zschäpe, habe s…
mit Entsetzen reagiert. Schon nach dem ersten Mord hätte sie angekündigt,
sich der Polizei stellen zu wollen, doch Böhnhardt und Mundlos eröffneten
ihr, sich geschworen zu haben, sich im Falle einer drohenden Festnahme „die
Kugel zu geben“, sich also selbst zu erschießen. Diese Last, für ihren Tod
verantwortlich zu werden, und die Angst, selbst eine hohe Haftstrafe zu
erhalten, habe sie letztlich über Jahre vom Aussteigen abgehalten.
Zudem betont Zschäpe wiederholt, wie eng sie mit Mundlos verbunden war, wie
lange sie Böhnhardt geliebt habe. Ein Leben ohne sie habe sie sich nicht
vorstellen können. Die beiden hätten sie nicht gebraucht, sie selbst hätte
aber ohne sie nicht leben können.
Die Taten hätte das Zusammenleben in den fast 14 Jahren im Untergrund
dennoch belastet. Nachdem ihr „Ausflippen“ nicht fruchtete, will Zschäpe
die Männer angeschwiegen, drei bis vier Flaschen Sekt täglich getrunken und
„sogar“ die Katzen vernachlässigt haben. Mundlos und Böhnhardt hätten sie
immer mehr außen vor gelassen – sie trauten ihr irgendwann nicht mehr zu
hundert Prozent. Sie wiederum habe sich irgendwann eingestehen müssen, mit
zwei Männern zusammenzuleben, die einerseits tierlieb und zuvorkommend
waren, andererseits aber auch eiskalt Menschen töteten.
## Aussage über Brand
Zschäpe wiederum bestritt auch, am 4. November 2011 durch die
Inbrandsetzung der letzten gemeinsamen Wohnung in Zwickau den Tod einer
89-jährigen Nachbarin und zweier Handwerker in Kauf genommen zu haben.
Vielmehr will sie mehrmals bei der Nachbarin geklingt haben, um diese aus
dem Haus zu holen. Im Radio habe sie von einem brennenden Wohmobil und zwei
Toten gehört. Sie habe sofort gewusst, dass es sich um Mundlos und
Böhnhardt handelt, die zuvor zu einem weiteren Bankraub losgefahren seien.
Tatsächlich hatten sich Böhnhardt und Mundlos nach dem gescheiterten
Überfall selbst erschossen.
Es sei der letzte Wille der Uwes gewesen, lässt Zschäpe mitteilen, nach
ihrem Tod alle Spuren deren Lebens zu vernichten und die Bekenner-DVD zu
verschicken. Dies habe sie den beiden versprochen – und dann eingelöst. Den
Inhalt der DVD will sie erstmals in der Verhandlung in München gesehen
haben. Auch diese sei allein von Mundlos erstellt worden. Der habe sich
auch das Kürzel NSU überlegt. Eine wirklich Gruppengründung habe es nie
gegeben.
Alles abstreiten, was die Anklage gegen sie auflistet – das scheint
Zschäpes Devise. Es sind keine neuen Helfer, die Zschäpe offenbart, keine
neuen Sachstände. Einzig das Motiv für den bis heute rätselhaften, letzten
Mord des NSU lüftet sie: den an der Polizistin Michele Kiesewetter. Diese
sei 2007 nur erschossen worden und ihr Kollege lebengefährlich verletzt,
weil Böhnhardt und Mundlos neue, funktionsfähige Waffen suchten.
Nach anderthalb Stunden beendet Grasel die 53-seitige Einlassung.
Wochenlang hatte er diese mit Zschäpe und ihrem neuen Wahlverteidiger
Hermann Borchert ausgearbeitet. „Alles, was in dieser Erklärung steht,
steht auf ihren Wunsch da drin“, hatte Grasel im Vorfeld angekündigt. Ihre
alten Rechtsbeistände Wolfgang Herr, Wolfgang Stahl und Anja Sturm hatten
vor der Aussage dagegen gewarnt. Diese könnte zu einem prozessualen
Selbstmord führen. Am Mittwoch verfolgen sie stumm die Verlesung – fast wie
Komparsen in einem Stück, das sie selbst mal dirigieren wollten. Und auch
Zschäpe schweigt.
Ob dies ihre Erklärung sei, will Richter Manfred Götzl am Ende wissen. Sie
nickt nur. Das war‘s.
9 Dec 2015
## AUTOREN
Konrad Litschko
Andreas Speit
## TAGS
Beate Zschäpe
Schwerpunkt Rechter Terror
Rechtsextremismus
Terrorismus
NSU-Prozess
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
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