# taz.de -- Wälder und Klimawandel: Die Eiche riecht gestresst | |
> Forstwissenschaftler versuchen, die Sprache des Waldes zu verstehen. | |
> Besonders interessieren sie sich dafür, was sein Gerede bewirkt. | |
Bild: Ungestörtes Festmahl: Die Raupe des Eichenprozessionsspinners frisst die… | |
RHINOW taz | Wo bleiben sie nur, Puppenräuber und Erzwespen, Raupenfliegen | |
und Kuckuck? Ganz sicher hat der Wald sie schon benachrichtigt. Maren | |
Grüning will wissen, wie. | |
Darum steht die 27-jährige Doktorandin an einem sonnigen Maimorgen mit | |
einem Bratschlauch, einem Plastikschlauch ähnlich einer Frischhaltefolie, | |
und einer Isomatte in einem Eichenwald. Dass die 120 bis 150 Jahre alten | |
Eichen sich untereinander verständigen und Mitteilungen an Insekten und | |
Parasiten aussenden, wissen die Bodenkundlerin und ihre Kolleginnen. Aber | |
wie genau funktioniert die Kommunikation – und was sagen die Bäume? | |
„Achtung, ich werde angeknabbert“ oder „Hallo, hier gibt’s Raupen zu | |
fressen“? | |
Ein Hilferuf wird es wohl sein, denn der etwa 4,4 Hektar große Eichenwald | |
bei Rhinow im brandenburgischen Havelland ist von dem gefräßigen | |
Eichenprozessionsspinner befallen, und zwar massenhaft. Doch Puppenräuber | |
und Kuckuck, die natürlichen Feinde der Raupe, bleiben aus. Und so kräuseln | |
sich braungrau an Stämmen und Ästen die Nester des vergangenen Jahres. | |
Dazwischen stapfen die Biologen, Forstwissenschaftler und -ingenieure des | |
Forschungsprojekts MOPM umher. „MOPM“ steht für „Modelling Oak | |
Processionary Moth“ und ist ein vom Bundesministerium für Bildung und | |
Forschung gefördertes Projekt der Uni Göttingen. Die Wissenschaftler tragen | |
gelbe Schutzanzüge – denn die Raupen und Nester des Falters haben es in | |
sich. | |
## Hightech und Basteln | |
In Schulterhöhe wickelt Maren Grüning einen Bratschlauch um einen | |
Eichenstamm. Mit einem Heißluftföhn aus dem Baumarkt erhitzt sie den | |
Schlauch am oberen und unteren Rand: Der Kunststoff schrumpelt zusammen und | |
zieht sich fest um den Stamm. „Bei Kiefern müssen wir immer aufpassen, dass | |
wir nichts abfackeln“, sagt Grüning. Zusätzlich dichtet sie die | |
Schlauchränder mit zwei Streifen Isomatte ab, die fest mit Gurten um den | |
Baum gezogen werden. Fertig ist das Vakuum. Mittels eines Ventils, das | |
Grüning in den Schlauch gebastelt hat, leitet sie nun gefilterte Luft | |
hinein. | |
Und jetzt? „Jetzt warten wir“, sagt Grüning. Ihre These: Der Baum sendet | |
ununterbrochen Signale an seine Umwelt aus, und zwar mittels flüchtiger | |
Moleküle, sogenannter Volatile Organic Compounds, kurz VOCs. Zigtausende | |
der Moleküle kennen Biochemiker schon, aber sie ahnen, dass sie die meisten | |
noch nicht entdeckt haben. „Wir stehen hier in einem riesigen | |
Duftstoffgemisch, aber uns fehlen die Sinne, um es wahrzunehmen“, sagt | |
Grüning. Die Bäume besäßen vermutlich Rezeptoren für die Moleküle, auch | |
Insekten könnten die Botschaften entziffern. „Aber wie das genau | |
funktioniert“, die Forscherin zuckt mit den Schultern, „keine Ahnung.“ | |
Nach zwei Stunden zieht sie die Luft unter dem Bratschlauch durch das | |
Ventil in ein spezielles Röhrchen. Das wandert in ein sündhaft teures | |
Massenspektrometer der Uni Freiburg, Kooperationspartner der Göttinger. | |
Hightech meets Selberbasteln, so funktioniert Forschung im Wald. In dem | |
Massenspektrometer werden die Stoffe analysiert, die der Baum ausgeatmet | |
hat. Kolleginnen von Grüning messen auf ähnliche Weise VOCs von Blättern, | |
Wurzeln und Waldboden. Dazu rammen sie ein beschnittenes Abflussrohr in den | |
Boden und dichten es ähnlich der Bratschlauchmethode ab. | |
Nach zwei Stunden wird die Luft abgesaugt und im Labor untersucht. „Uns | |
interessiert nicht der einzelne Baum, sondern der Wald als System“, sagt | |
Grüning. Sie will nicht nur die Sprache des Waldes entschlüsseln, sondern | |
interessiert sich auch dafür, was sein Gerede bewirkt. Denn die VOCs sind | |
Kohlenstoffverbindungen wie die Treibhausgase Kohlendioxid und Methan. | |
Die Göttinger Wissenschaftler nehmen an, dass sich die Luft in einem stark | |
von Schädlingen befallenen Wald anders zusammensetzt als in einem gesunden. | |
„Unsere Wälder wandeln sich von Kohlenstoffsenkern zu Kohlenstoffquellen, | |
wenn der Schädlingsbefall stark und wiederkehrend ist“, sagt Anne Arnold, | |
Leiterin des Göttinger Forschungsprojekts und Chefin von Maren Grüning. | |
Allein in Brandenburg seien von den 1,1 Millionen Hektar Wald etwa 150.000 | |
Hektar betroffen. Almut Arneth erforscht am Institut für Meteorologie und | |
Klimaforschung des Karlsruhe Institute of Technology (KIT) die Wirkungen | |
des Klimawandels in Wäldern. „Dass VOCs eine zentrale Rolle im | |
Kohlenstoffhaushalt spielen“, sagt sie, „darüber habe ich noch gar nicht | |
nachgedacht.“ Bislang spielen sie in der Debatte über die | |
Treibhausgasbilanzen der Wälder kaum eine Rolle. „Es ist interessant, sich | |
das anzuschauen“. | |
## Der Baum wird krank | |
Um das Patent mit den Bratschläuchen genauer anzuschauen, ist Katrin Möller | |
in das Wäldchen nach Rhinow gefahren. Die promovierte Biologin leitet den | |
Fachbereich Waldschutz des Landeskompetenzzentrums Forst in Eberswalde und | |
sorgt sich um die Eichen. | |
Mit hungrigen Raupen kommen die in der Regel gut klar. Schon vor der | |
letzten Eiszeit in Mitteleuropa heimisch, hatten sie lange Zeit, um einen | |
gemeinsamen Lebensraum mit über tausend Insekten zu bilden. Frühlingseulen, | |
Eichenwickler, Eichenkarmin, Großer Goldkäfer, Eichenprachtkäfer, alle | |
leben in und von den Eichen. Die Bäume gehen mit dieser | |
„Eichenfraßgesellschaft“ souverän um: Die Blätter treiben zuerst im Mai | |
aus, dann noch mal im Juni und August. Ab- und angefressene Blätter werden | |
stetig ersetzt, Baum und Schädling leben im Gleichgewicht. In Brandenburg | |
allerdings nicht mehr, sagt Möllers. | |
„Die frisch geschlüpften Raupen des Eichenprozessionsspinners sind sehr | |
empfindlich“, sagt die Biologin, „im kalten, wechselhaften Aprilwetter | |
sterben die meisten.“ Aber im deutschen Nordosten ist der April immer | |
seltener kalt und wechselhaft, sondern warm und trocken. Darum überleben | |
immer mehr Raupen, stürzen sich auf das frische Grün der Eichen und fressen | |
diese Jahr für Jahr kahl. | |
„Zwei, drei Jahre halten die das durch“, sagt Möller, „aber sehen sie | |
das?“, fragt sie, und zeigt auf die vielen dicken, kahlen Äste im | |
Blättermeer. Werden die Eichenblätter zu oft abgeknabbert, fehlen | |
Reservestoffe. Die sind aber nötig, damit auch im neuen Jahresring das | |
geniale Wasserleitsystem im Baum gebildet werden kann. Die Wasserversorgung | |
bricht zusammen, junge Triebe werden immer seltener. Der Baum wird krank. | |
„Wenn dann noch Dürre, Käfer und Pilze hinzukommen“, sagt Möller, „dann | |
stirbt der Wald.“ | |
## Griff zur Giftspritze | |
Soll er doch, meint Tomas Brückmann vom Bund für Umwelt und Naturschutz | |
(BUND). Der Experte für Pestizide und Biodiversität sagt, auch ein | |
Eichenwald sei eine Monokultur. Bayern habe vorgemacht, wie mit solch einer | |
Situation umgegangen werden sollte: „Man lässt den Wald zusammenbrechen“, | |
sagt Brückmann, „und lässt ihn dann wieder austreiben.“ Ganz von allein | |
würden sich dort Bäume ansiedeln, die mit dem Boden, der Feuchtigkeit und | |
dem Klima der Region gut klarkämen. Ein wenig könne der Förster auch | |
nachhelfen, und ökonomisch interessante Bäume unterstützen: Gelenkte | |
Sukzession nennt sich das und ist für Brückmann das beste Mittel gegen | |
gestresste Wälder. | |
Möller findet das kurzsichtig: „In Brandenburg wachsen auf 78 Prozent der | |
Waldfläche noch immer Kiefern“, sagt sie, „da haben Eichen und | |
Eichenmischwälder eine herausragende Bedeutung und sollten unbedingt | |
erhalten werden.“ Die Forstverwaltungen im Land haben erkannt, dass | |
Kiefernmonokulturen dem Klimawandel nicht gewachsen sind. Im Mittelpunkt | |
ihrer Waldumbauprogramme steht die Eiche, und ausgerechnet die schwächelt | |
nun. Um sie zu schützen, hat man nicht nur in Brandenburg auch dieses Jahr | |
wieder zur Giftspritze gegriffen. | |
Maren Grüning kann das nachvollziehen, schließlich hätten die Bäume auch | |
eine ökonomische Bedeutung. Die Eichen in dem Wäldchen bei Rhinow verkauft | |
ihr Besitzer als Schnitt- oder Brennholz; für den Landwirt sind sie ein | |
wesentlicher Teil seines Einkommens. Für Grüning sind sie jetzt aber erst | |
mal Schattenspender. Nachdem sie stundenlang mit Bratschläuchen und Rohren | |
durch den Wald gestapft ist, lässt sie sich für ein Päuschen in einer | |
Lichtung nieder. Es duftet nach Gundermann und Erde, und ganz nah ruft ein | |
Kuckuck. Na immerhin. | |
25 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Heike Holdinghausen | |
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