# taz.de -- Insekten-Rassismus trifft Wanzen: Warum wir die Schönen schützen | |
> Insektenhotels in Eigenhausoptik boomen. Doch die wenigen | |
> funktionierenden locken Arten an, die eigentlich gar nicht bedroht sind | |
Bild: Wird nicht mal von Superökos geschützt: Feuerwanze. | |
Hamburg taz | Und wer rettet die Wanze? Kakerlak, Küchenschabe, | |
Mehlwurmlarve? Jene unschönen Insekten, die einem Würg- und Schuldgefühle | |
machen, wenn man sie in der eigenen Wohnung trifft, weil sie ein | |
untrüglicher Beweis mangelnder Hygiene sind? | |
Um diese Tierchen sorgt sich kein Mensch. Weil ihr Nutzen schwer zu | |
eruieren ist. Weil sie zwar für Horrorfilm-Werbung, nicht aber für | |
großformatige Artenschutz-Plakate taugen. Dabei sind einige von ihnen | |
durchaus gefährdet. Fast ein Drittel der niedersächsischen und Bremer | |
Wanzenarten stehen zum Beispiel auf der Roten Liste, doch der Aufschrei | |
bleibt aus. | |
Nicht einmal der aufgeklärte Öko-Gutmensch ist frei von subtilem | |
Insekten-Rassismus. Irgendwo muss schließlich Schluss sein mit der | |
Hässlichkeit. Und so nehmen wir, wenn es um die öko-biologische Bildung der | |
Kinder geht, lieber die Biene Maja zur Hand, die Flausch-Hummel, die man | |
fast schon streicheln kann. Oder den Schmetterling, seit der Antike Symbol | |
von Seele, Freiheit, Auferstehung; der darf gern im heimischen Garten | |
überwintern. Den glücksbringenden Marienkäfer lieben wir sowieso. Und die | |
Florfliege haben wir allein deshalb als schutzwürdig akzeptiert, weil ihre | |
Larven durch effektiven Blattlaus-Verzehr überzeugten. | |
So ist man unversehens in einem Diskurs angekommen, der zwischen Ästhetik | |
und Nutzen verläuft, selbstverständlich aus Sicht des Menschen. | |
Entsprechend anthropozentrisch gestaltet sich das Schutzverhalten den | |
Winzlingen gegenüber: „Insektenhotel“ heißt der neue Boom. Landauf, landab | |
gibt es die kleinen, an die Zier-Setzkästen der 1970er-Jahre erinnernden | |
Häuslein zu kaufen, die mit allerlei Hölzchen, Röhrchen, Zapfen, Ziegeln | |
ausgekleidet sind und als Super-Arten- und Naturschutz-Aktion propagiert | |
werden. | |
Wobei schon der Begriff „Hotel“ nicht stimmt, denn nur die Biene, der | |
Schmetterling, der Marienkäfer und die Florfliege– ja, nur diese vier | |
Arten! – sollen dauerhaft dort siedeln und mehrere Generationen Larven | |
hegen. Aber „Hotel“ klingt so fürsorglich, dass einem ganz warm ums Herz | |
wird. Andererseits so herrlich unverbindlich: Unliebsam gewordene Gäste | |
kann man jederzeit hinauswerfen, und man verpflichtet sich zu nichts. | |
Damit der Insektenschützer nicht zu sehr aus der Gewohnheit kommt, hat er | |
die „Hotels“ übrigens wahlweise als Einfamilienhäuser – mit | |
konservativ-heimeligen Spitzgiebeln – oder als super-urbane Hochhaus-Kästen | |
gestaltet. Denn ein Wohnen in asymmetrischen Höhlen oder unübersichtlichen | |
Laubhaufen kann und will sich er sich nicht einmal für Insekten vorstellen. | |
Also folgt er jenem Ordnungs- und Kontrolltrieb, der den Lebensraum der | |
Tiere einst mit zerstörte. Aber auch eine Puppenstube könnte gute Dienste | |
tun, wenn sie den Tierbedürfnissen angepasst ist. Die meisten | |
handelsüblichen „Insektenhotels“, die korrekt Nisthilfen heißen müssten, | |
sind allerdings vor allem dekorativ. Außerdem prima geeignet, die | |
ökologische Gesinnung des Besitzers zu demonstrieren. | |
Tatsächlich sind die meisten Insektenhotels unbrauchbar. Da sind die Löcher | |
entweder zu schmal für den Haupt-Adressaten, die Wildbiene. Oder so | |
unsauber gesägt, dass sie deren empfindliche Flügel verletzen. Anderswo hat | |
man die Röhren, die die Bohrgänge der Tiere imitieren, in noch feuchtes | |
Holz gesägt. Das bildet beim Trocknen Risse, durch die Parasiten eindringen | |
und die Larven fressen. Dann wieder steht das Kästchen so kühl und zugig, | |
dass niemand einziehen mag. | |
Aber selbst wenn alles stimmt: Jede Mutter wird beim Umzug nicht nur auf | |
ein kuscheliges Kinderzimmer achten, sondern auch auf den nahen Supermarkt. | |
„Und wenn Bienen in der Nähe keine geeigneten Blumen finden, mit deren | |
Nektar sie ihre Larven versorgen können, sagen sie sich: Hier haben wir | |
keine Chance zu überleben“, sagt Julian Heiermann, Insektenspezialist beim | |
Naturschutzbund Deutschland (Nabu). | |
Dabei geht es nicht um irgendwelche beliebigen Blumen: Viele Zierpflanzen – | |
Forsythie und Stiefmütterchen etwa – seien so überzüchtet, dass sie keinen | |
Nektar gäben, sagt Heiermann. Ein „Bauerngarten“ müsse vielmehr her, ine | |
naturnahe Anlage mit heimischen Stauden und Blumen – wenigstens in einer | |
Ecke des Gartens. Und so käme, wenn es gut läuft, eins zum anderen: | |
Insektenhotel und Bauerngarten. Alle könnten zufrieden sein. | |
Doch leider: Artenschutz im engeren, effektiven Sinne ist das nicht. Im | |
Insektenhotel siedeln ausschließlich häufig vorkommende Arten. Das ist auch | |
logisch, denn die bedrohten, seltenen Spezialisten finden sich im | |
Feuchtbiotop irgendwo da draußen. Und nicht im heimischen Garten. | |
Könnte es also sein, dass vor lauter Schutz irgendwann zu viele Wildbienen, | |
Falter, Marienkäfer existieren, dass der Mensch ein neues Problem erzeugt? | |
Nabu-Experte Heiermann glaubt das nicht. Außerdem, sagt er, könnten heute | |
noch häufige Arten in fünf Jahren selbst bedroht sein. Ein funktionierendes | |
Insektenhotel sei in jedem Fall sinnvoll. „Man muss auch an die Zukunft | |
denken.“ | |
Trotzdem hat es etwas seltsam Kontrollierendes, wenn eine Gesellschaft | |
einerseits jeden toten Baum fällt, in dem Bienen hätten siedeln können – | |
und dann „Insektenhotels“ aufstellt, um das Gewissen zu beruhigen. Oder | |
einen „Igel-Unterschlupf“ baut, anstatt das Tier anarchisch, heimlich und | |
autark im Komposthaufen wühlen zu lassen. | |
Aber da ist der Mensch eben nicht live dabei, kann nicht sortieren, locken, | |
steuern. Und auch nicht stolz sein, wenn Igel, Biene, Falter extra | |
seinetwegen kommen, wenn es quasi des Menschen Leistung ist. Wenn der Homo | |
sapiens sapiens wenigstens exemplarisch beweist, dass er heilen kann, was | |
er zuvor zerstörte. | |
Da lügt sich der Tierschützer gehörig in die Tasche, aber diese Unschärfe | |
nimmt auch der Nabu in Kauf. „Wir wissen, dass viele der gängigen Kästen | |
nicht perfekt sind“, sagt Heiermann. „Aber es ist oft besser als nichts.“ | |
Dabei leugnet er nicht, dass die Einteilung in Nütz- und Schädlinge auf | |
einem zweifelhaften Leistungsprinzip beruht: Nur wer dem Menschen hilft und | |
zum Beispiel Pollen essbarer Pflanzen bestäubt oder deren Schädlinge | |
frisst, wird geschützt. Aber das ist leider der Trend. Mit niedlichen | |
Tieren lässt sich leichter Kampagne machen. „Versuchen Sie mal, Menschen | |
zum Schutz von Nacktschnecken zu bewegen – etwa des Bierschnegels im | |
eigenen Garten“, sagt er. „Da gibt es viele Vorurteile, und die sind zäh.�… | |
Und weil das so ist, wirbt man eben mit einem attraktiven Tier als | |
Flaggschiff und setzt darauf, dass auch die unscheinbaren profitieren. Wer | |
zum Beispiel für seine Insektenhotel-Bienen Blumen pflanzt, fördert | |
indirekt auch Wanzenarten, die sich von deren Blättern ernähren. | |
Und trotzdem: „Gegen das durch landwirtschaftliche Monokulturen, Pestizide | |
und Überdüngung erzeugte Artensterben sind Insektenhotels ein Tropfen auf | |
den heißen Stein“, räumt Heiermann ein. Aber untätig herumzusitzen sei ja | |
auch keine Lösung. | |
24 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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