# taz.de -- Blütenstreifen gegen das Insektensterben: Ausgesummt | |
> Ihre Biomassse ist in den letzten Jahren dramatisch geschrumpft, viele | |
> Arten sind verschwunden: Was können wir gegen das Insektensterben tun? | |
Bild: Ausgesummt: tote Bienen. | |
Bremen taz | Keiner liebt Insekten. Aber es ist höchste Zeit, das zu | |
lernen, und mit etwas Wohlwollen kann man das Blühstreifen-Programm, das | |
Niedersachsens Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne) am | |
Donnerstag [1][präsentiert] hat, als hilflosen Schritt dahin werten. Denn | |
abgesehen davon, dass der nordwestdeutschen Maiswüste jeder Farbtupfer gut | |
tut, signalisieren dir Blumeninseln ja: Wir müssten mal etwas für Insekten | |
tun. Wobei Blühstreifen gegen das Schwinden der Bestäuber in | |
Nordwest-Europa, laut [2][Welt-Artenvielfalts-Rat] eins der bedrohlichsten | |
ökologischen Probleme der Gegenwart, nicht reichen. | |
Dass die Biomasse- und artenreichste Tierklasse so derart in die Defensive | |
hat geraten können, hat mit der Art, wie wir Insekten wahrnehmen, zu tun. | |
Im gespannten Verhältnis, das Menschen zu Tieren unterhalten, ist zumal die | |
Beziehung zu Insekten durch theologische Codierungen der Abwertung | |
belastet. Katzenliebe ist okay, Hundeliebe, Pferdeliebe, Affenliebe – alles | |
in Ordnung, sogar Zierfische. Aber Käfer, Flöhe, Wanzen – hält man lieber | |
auf Distanz. | |
Das Tierschutzgesetz übergeht sie. Und sie zu würdigen, löste immer den | |
Widerstand der Reaktionäre aus: Der sehr katholische Schriftsteller Gilbert | |
Keith Chesterton kontrastiert in „What’s Wrong With The World“ (1910), da… | |
seine Zeit „a definite adoration of the insect“ an den Tag lege und benennt | |
deren „insectolatry“ als drängendes Problem. Damit erfasst der Vater der | |
ultramontanen Detektivstory instinktiv eine literarische Strömung. | |
Tatsächlich nutzen [3][ab Ende des 19. Jahrhunderts] Autoren das tradierte | |
Ekelpotenzial der Kerbtiere zur Inszenierung eigener Abseitigkeit, das | |
Motiv [4][blüht] in den europäischen [5][Avantgarden]: „Laßt uns den | |
Gottesdienst des Insekts aufrichten!“, [6][fordert] Hugo Ball 1913 – drei | |
Jahre vor Dada. | |
Im theologischen Weltbild bis zur Neuzeit waren die Kerbtiere fest | |
assoziiert mit dem Teufel. In den Texten der Kirchenväter spielen sie zwar | |
keine überragende Rolle, tauchen aber immer wieder als lästige Quälgeister | |
auf, über deren Stellung in Gottes Schöpfung nachzudenken wäre: Augustinus | |
findet auf Noahs Arche keinen eigenen Platz für sie. | |
Bibelübersetzer Hieronymus verdrängt sie sogar ganz ins Reich des Bösen: | |
Wanzen und Flöhe seien perverse, gescheiterte Versuche des Luzifer, kreativ | |
zu werden. Weshalb Insekten ja, das hatte schon Aristoteles festgestellt, | |
spontan aus Schlamm und Fäulnis wachsen. Die Scholastik wird das | |
Hyperlink:=bekräftigen: Klar neigen auch Katzen und Fledermäuse zum Bösen. | |
Aber Insekten sind es. Sie beweisen die Existenz und das Wirken des Teufels | |
in der Welt. | |
Aufklärung ist daher Insektenkunde. Wer Gott in die Ferne verschiebt, macht | |
ihn nur unangreifbarer. Wer aber durchs Zergliedern von Insekten natürliche | |
Prozesse freilegt, löscht den Teufel aus der Welt. Ohne den fehlt der | |
Religion Überzeugungskraft. An sich selbst erlebt hat das Jan Swammerdam, | |
der niederländische Naturkundler: Nachdem er zehn Jahre lang die | |
Eintagsfliege [7][erforscht] hat, stürzt er in eine Glaubenskrise. | |
Deshalb reist er 1675 nach Dithmarschen: Auf Nordstrand hatte die | |
Mystikerin Antoinette Bourignon, die Ignoranz als Weg zur Gotterkenntnis | |
lehrte, eine Kolonie gegründet. Swammerdam zu obskurieren gelingt nicht: | |
Zurück in Amsterdam nimmt er die Forschung wieder auf. Er stirbt mit 43 | |
Jahren – an den Folgen eines Moskitostichs. | |
Keiner aber hat mitreißender das Hohe Lied der Empirie gesungen als | |
Swammerdam in seinen entomologischen Forschungsberichten, keiner hat die | |
Hierarchie der Welt gründlicher erschüttert: Er findet Ordnung und | |
Fortpflanzung, wo laut Kirchenvätern nur schlammgeborenes Teufelszeug sein | |
darf. „Wenn ich die Art und den Bau der aller-geringsten Creaturen gegen | |
der aller-größten ihren halte […]: so werde ich genöthiget, jene nicht | |
allein in gleichen Grad von Würde mit diesen, sondern auch selbst noch über | |
sie zu setzen“, heißt es in seiner „Bibel der Natur“. | |
Die [8][erscheint] erst 60 Jahre nach seinem Tod. Trotz der | |
Theologisierung, die Swammerdam seinen Erkenntnissen darin angedeihen | |
lässt, bleiben sie zu revolutionär: „Meine Thiergen“ nennt er die Insekten | |
immer wieder. Liebevoll. Diese Aufwertung aber erlaubt dem Menschen, sich | |
als Naturwesen zu verstehen – enger verwandt mit einer Eintagsfliege als | |
mit Gott, dessen Söhnen oder einem Geist. | |
Mehr über das Insektensterben, die Schönheit der Krabbeltiere und die | |
Sinnlosigkeit von Insektenhotels lesen Sie in der gedruckten taz.am | |
wochenende oder [9][hier im e-paper. ] | |
22 Jul 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.ml.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=1810&artic… | |
[2] http://www.ipbes.net/ | |
[3] http://www.ccel.org/ccel/chesterton/whatwrong.i_6.html?highlight=insect#hig… | |
[4] https://textyles.revues.org/1290 | |
[5] http://www.ritsumei.ac.jp/acd/re/k-rsc/lcs/kiyou/pdf_26-3/RitsIILCS_26.3pp2… | |
[6] http://gutenberg.spiegel.de/buch/hugo-ball-gedichte-4680/37 | |
[7] https://books.google.de/books?id=sDsPAAAAQAAJ&printsec=frontcover&d… | |
[8] https://books.google.de/books?id=69o-AAAAcAAJ&printsec=frontcover&d… | |
[9] /!p4350/ | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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