| # taz.de -- Hamburger Biologe auf der Pirsch: Der Insektenjäger | |
| > Frank Röbbelen zählt Insekten für die Hamburger Umweltbehörde – jedes | |
| > Krabbeltier einzeln. Seine Leidenschaft sind Libellen und Tagfalter | |
| Bild: Jagdobjekt: Biologe Frank Röbelen ist auf der Suche nach Insekten. | |
| Hamburg taz | Natürlich ist es eine Falle: „Was sehen Sie?“, fragt der | |
| Biologe Frank Röbbelen und weist mit dem Arm einen Wanderweg im oberen | |
| Alstertal entlang. Links und rechts stehen Hecken aus unterschiedlichen | |
| Gehölzen. Sieht eigentlich ganz schön aus: Alles dicht und verwachsen – ein | |
| prima Lebensraum für kleine Tiere: Mäuse, Wiesel, Vögel. | |
| Doch Röbbelen ist auf der Suche nach Insekten, insbesondere Tagfaltern – | |
| und für die ist hier nichts zu reißen. Die Grasstreifen sind bis hart an | |
| die Knicks heran gemäht und die Hecken selbst wurden mit der Maschine zu | |
| einer geraden Wand abgehäckselt. „Das führt dazu, dass es keine Übergänge | |
| mehr gibt“, sagt der Insektenforscher, der für die Hamburger Umweltbehörde | |
| erfasst, wie sich der Artenbestand entwickelt. | |
| Das brachiale Mähen hat die Mikro-Lebensräume zerstört, die viele Falter | |
| brauchen, um Nektar zu saugen und um ihre Eier abzulegen. „Viele Insekten | |
| haben ganz bestimmte Ansprüche an das Kleinklima“, sagt Röbbelen. Werden | |
| diese nicht bedient, verschwinden die entsprechenden Arten. | |
| „Wenn das einmal so ein Weg wäre, der so aussieht“, sagt der Entomologe und | |
| lässt den Rest des Satzes in der Luft hängen. Doch der Kampf um | |
| Blühstreifen am Rande von Knicks – Naturschutz gegen effiziente Ausnutzung | |
| der Landschaft – tobt in ganz Norddeutschland. Zurzeit sieht es so aus, als | |
| würde er für die Falter und deren Verwandtschaft verloren gehen. | |
| Im Januar warnte der Naturschutzbund (Nabu) [1][„vor einem neuartigen | |
| Insektensterben mit bislang unbekannten Folgen in Deutschland“.] In | |
| Nordrhein-Westfalen lande in den Fallen der Naturschützer heute bis zu 80 | |
| Prozent weniger Biomasse als vor 15 Jahren. Ähnliche Entwicklungen | |
| befürchten die Naturschützer auch in anderen Regionen – mit fatalen Folgen: | |
| „Wenn uns die Fluginsekten fehlen, gerät die gesamte Nahrungskette in | |
| Gefahr“, warnte der Landesvorsitzende des Nabu Nordrhein-Westfalen, Josef | |
| Tumbrinck. Blumen und Bäume würden nicht mehr bestäubt, Mauersegler und | |
| Schwalben hätten nichts mehr zu fressen. | |
| Warum die Insekten verschwinden, ist unklar. Den Klimawandel oder | |
| Witterungseinflüsse schließt der Nabu aus. „Vieles deutet darauf hin, dass | |
| wir es mit einer weitreichenden Vergiftung der Insekten in unserer Umwelt | |
| zu tun haben“, sagt Leif Miller, der Nabu-Bundesvorsitzende. Um Klarheit zu | |
| bekommen, müsse bundesweit ein Insektenmonitoring aufgebaut werden. | |
| Genau das ist es, womit sich der Hamburger Entomologe Röbbelen seit sechs | |
| bis sieben Jahren beschäftigt. Röbbelen, halblange graue Haare, trägt eine | |
| Khakihose und zwei Cordurataschen an der Hüfte: eine mit Notiz- und | |
| Bestimmungsbuch, die andere mit einem Feldstecher. | |
| Er steht am Rande einer Wiese mit hohem, trockenem Gras und sucht die | |
| wenigen herausstechenden Blüten ab. Wenn sich dort etwas regt, nimmt er den | |
| Feldstecher hoch und das Vieh unter die Lupe. Ein wenig am Rädchen gedreht, | |
| und schon zeichnet sich wie gestochen ein Dickkopffalter auf der lila Blüte | |
| einer Sumpfkratzdistel ab. | |
| Röbbelen geht etwas näher: Es handelt sich um einen Schwarzkolbigen | |
| Braun-Dickkopffalter, erkennbar an den Fühlern, die wie schwarze Keulen | |
| aussehen. Das Fernglas macht die exakte Bestimmung aus fünf oder auch 20 | |
| Metern Entfernung möglich. | |
| Der Falter ist auf der Wiese zu finden, weil er seine Eier in die | |
| Blattscheiden dürrer Gräser legt, wo sie überwintern. Auf der Wiese | |
| unterwegs sind auch drei Weißlinge und ein Brauner Waldvogel. „Es fehlen | |
| die anspruchsvollen Arten“, bedauert der Entomologe. Die Wiese werde | |
| ausschließlich spät gemäht, statt in Streifen mal spät, mal früh. Dadurch | |
| werde die Grasnarbe sehr dicht. Krautige Pflanzen hätten keine Chance, sich | |
| zu behaupten – und auch nicht die Falter, die auf sie angewiesen sind. | |
| Wie so eine Wiese zu pflegen ist, damit möglichst viele und auch seltene | |
| Arten hier eine Heimat finden, ist eine Wissenschaft für sich – „mehrere | |
| Wissenschaften für sich“, wie Röbbelen korrigiert. Denn neben den | |
| Entomologen interessierten sich auch die Botaniker und die Vogelkundler für | |
| die Wiesen, wobei sie sich mit ihrem Wissen ergänzen, aber einander auch in | |
| die Quere kommen können. | |
| „Der Botaniker sagt: Ich möchte schön blühende Wiesen“, illustriert | |
| Röbbelen. „Das erreiche ich, indem ich viel mähe.“ Für den Entomologen s… | |
| aber entscheidend, wann, wie oft und wie gemäht werde. Auch in | |
| Naturschutzgebieten werde oft großflächig gemäht, was den Lebensraum | |
| vereinheitliche. | |
| Und zu wenig Mähen könne ebenfalls schaden. Röbbelen zeigt quer über eine | |
| Wiese auf einen dichten Bestand von Mädesüß, einer hohen Staudenpflanze mit | |
| einem weißen, buschigen Blütenstand. An solchen Beständen fressen sich die | |
| Raupen des Mädesüß-Perlmutterfalters satt. Wachse das Mädesüß jedoch zu | |
| dicht, könnten sich die Raupen nicht entwickeln, sagt Röbbelen. „Das hier | |
| ist eine undurchdringliche Wüste“, sagt er. | |
| Wegen des Monitorings ist der Entomologe im ganzen Stadtstaat unterwegs, | |
| der sich quer über das Elbtal und dessen Einzugsgebiet erstreckt und eine | |
| erstaunliche Vielfalt an teilweise seltenen Lebensräumen bietet: | |
| Sumpfniederungen und Trockenrasen, Moor und Wald, Süßwasserwatt und | |
| Sanddünen. | |
| Auf einem bläulich schimmernden Netbook hat er alle Landkarten dabei. Darin | |
| sind die Flurstücke, die er kartiert, rot markiert. Tagfalter haben hohe | |
| Ansprüche an ihren Lebensraum. Deshalb sind sie ein guter Indikator dafür, | |
| wie es um die Umwelt und die Artenvielfalt bestellt ist. | |
| Dabei werden Insekten, die den weitaus größten Anteil der Arten stellen, | |
| von den Forschern eher stiefmütterlich behandelt. Auf den roten Listen der | |
| bedrohten Arten sind sie unterrepräsentiert – schlicht deshalb, weil nicht | |
| genügend Daten zu ihnen vorliegen. | |
| Traditionell stehen die Pflanzen und Vögel im Blickpunkt der Forscher – | |
| seien es nun Amateure oder Profis. So gibt es in Hamburg seit 1891 einen | |
| „Botanischen Verein“, und der Nabu ist 1899 als „Bund für Vogelschutz“ | |
| gegründet worden. Immerhin hat der Nabu Hamburg seit zwei Jahren wieder | |
| eine Fachgruppe für Insekten. | |
| Für die Falter hat Röbbelen einen ehrgeizigen Plan, das Projekt Aurora: | |
| „Hamburg soll eine Stadt der Schmetterlinge werden“, sagt der Entomologe. | |
| Der Name leitet sich vom Aurora-Falter her, den Röbbelen früher mitten in | |
| der Stadt gefunden hat. Er steht für die aufgehende Sonne, die sich an den | |
| Flügelenden des Schmetterlings zeigt. | |
| Was die Falter brauchen, sind extensiv bewirtschaftete, häufig von kleinen | |
| Gehölzen, Gewässern oder Trockenflächen durchbrochene Fluren. Doch was | |
| früher durch die kleinteilige Bewirtschaftung oder noch früher durch | |
| weidende Wildtiere von selbst entstand, muss heute durch gezielte Eingriffe | |
| hergestellt werden. | |
| Diese Arbeit leisten die Naturschutzverbände mit ihren Ehrenamtlichen und | |
| den Bauern, die von der Stadt dafür bezahlt werden. „Was man im Grunde | |
| bräuchte, wäre ein Landschaftspflegehof“, sagt Röbbelen. | |
| Im Wittmoor pflegen die Leute vom Nabu eine Streuobstwiese. Auf deren nicht | |
| gemähtem Teil wird Röbbelen endlich fündig. Auf einem künstlich angelegten | |
| Stein- und Holzhaufen laben sich zwei Dutzend Falter am Gemeinen Dost, | |
| einer Staude mit buschigen, lila Blüten. | |
| Hier klappen Ochsenaugen mit den Flügeln, Braune Waldvögel und Feuerfalter. | |
| Auch ein Tagpfauenauge düst vorbei. Besonders angetan hat es Röbbelen das | |
| Widderchen, ein Falter mit mantelförmigen grüngrauen Flügeln mit roten | |
| Flecken, deshalb auch Blutströpfchen genannt. Röbbelen ist gerührt: „Ach, | |
| es ist schön!“ | |
| 23 Jul 2016 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.nabu.de/news/2016/01/20033.html | |
| ## AUTOREN | |
| Gernot Knödler | |
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