| # taz.de -- Die Grünen und die Staatsgewalt: Wir ham Polizei | |
| > Jahrzehntelang hatten die Grünen ein Feindbild: die Polizei. Jetzt | |
| > gehören sie zum Establishment – und setzen auf Dialog und Innere | |
| > Sicherheit. | |
| Bild: Freund und Helfer – auch der Grünen: die Polizei | |
| Berlin taz | Es ist eine noch etwas ungewohnte Rolle, in die Katharina | |
| Schulze am Samstag schlüpfen wird. Jahrelang hatte die junge grüne | |
| Innenpolitikerin aus München vor allem ein Bild von der Polizei: behelmt, | |
| in schwerer Montur. Einsatzhundertschaften, die ihren Gegenprotest von | |
| Neonazi-Aufmärschen fernhielten. Nun lädt Schulze in ihrer Heimatstadt zu | |
| einer anderen Begegnung: zum „grünen Polizeikongress“, dem ersten im Süden | |
| der Republik. | |
| Der Vizepräsident der Münchner Polizei wird kommen, eine Kriminalrätin aus | |
| dem LKA, der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. „Superhappy“ | |
| sei sie über die Resonanz, sagt Schulze. Und gibt sich als freundliche | |
| Gastgeberin. „Polizei am Limit?“, ist die Tagung überschrieben. Der Titel | |
| könnte auch einen Kongress von Polizeigewerkschaftern zieren. Frühere | |
| Grünen-Aufreger wie Polizeigewalt, Kennzeichnungspflicht, Racial Profiling? | |
| Nicht im Programm. | |
| Keine Sorge, sagt Schulze, es werde schon Kritisches angesprochen. Die | |
| Mission der 27-jährigen Innenpolitikerin ist aber eine andere. Den Dialog | |
| mit den Uniformierten ausbauen, die „Abwehrreflexe“ auf beiden Seiten | |
| lockern. „Wenn der Kongress da Vorurteile abbaut, bin ich zufrieden.“ | |
| Neue Töne bei den Grünen. Und nicht nur in München. Auch die grüne | |
| Bundestagsfraktion veröffentlichte jüngst ein Strategiepapier zur Inneren | |
| Sicherheit. „Wir setzen auf eine starke Polizei“, heißt es dort. Diese | |
| brauche eine „personelle Stärkung, modernste Ausstattung“. Die Beamten | |
| müssten sofort von Verwaltungsaufgaben entlastet werden. Die von der | |
| Bundesregierung geplanten 3.000 Neustellen bei der Bundespolizei „reichen | |
| nicht“. So viel Fürsorge für die Polizei gab es bei den Grünen wohl noch | |
| nie. | |
| Dabei galten die Uniformierten vielen Grünen lange als diejenigen, die sie | |
| von Castor-Gleisen zerrten. Spätestens mit den Schüssen auf Benno Ohnesorg | |
| 1967 avancierte die Polizei für die Alternativen zum Feindbild. Joschka | |
| Fischer, grüner Außenminister, warf vor seiner Parteikarriere noch mit | |
| Steinen auf „Bullen“. Im ersten Grünen-Programm 1980 war die Rede von | |
| „Tendenzen zu einem Polizeistaat“ in Deutschland. Die einzige Forderung | |
| damals: eine „schusswaffenlose“ Polizei. | |
| ## Der Wandel der Grünen | |
| Lang ist’s her. Inzwischen ist die innenpolitische Sprecherin der Grünen im | |
| Bundestag Irene Mihalic – eine frühere Polizistin. Mehr als zwei Jahrzehnte | |
| war die Gelsenkirchnerin im Dienst, jagte bei der Autobahnpolizei Raser, | |
| arbeitete im Kölner Polizeipräsidium. In Mihalics Bundestagsbüro hängt bis | |
| heute ihre alte Polizeiuniform. | |
| An Mihalic lässt sich der Wandel der Grünen ablesen. Umweltpolitik brachte | |
| sie in die Partei, schnell landete sie wieder beim Thema Sicherheit. Die | |
| 39-Jährige gehört zu einer neuen, undogmatischen Generation bei den Grünen, | |
| die ideologisch abrüstet. Mihalic will das auch im Umgang mit der Polizei. | |
| „Wir müssen heute nicht mehr alte Feindschaften pflegen“, sagt sie. Die | |
| jetzigen Polizisten hätten mit den Kollegen von vor 30 Jahren wenig gemein. | |
| „Die Polizei ist bürgernäher geworden, viel kommunikativer. Das muss man | |
| anerkennen.“ | |
| Es sind Sätze wie dieser, die viel sagen über die Grünen. Die große | |
| Mehrheit der Mitglieder und Wähler kämpft schon lange nicht mehr gegen das | |
| Establishment – sie ist ein Teil davon. Das Verhältnis zur Polizei? | |
| Entspannt. Die Partei ist in die politische Mitte gerückt, hat Bündnisse | |
| mit der CDU geschmiedet. Sie hat in den Ländern über Polizeihaushalte | |
| mitentschieden und nach den 9/11-Anschlägen die scharfen Sicherheitsgesetze | |
| von SPD-Innenminister Otto Schily mitgetragen. | |
| ## Man setze auf eine moderne, starke Polizei | |
| Nun diskutiert das Land wieder über Terrorgefahr und über Gewaltausbrüche | |
| wie in der Kölner Silvesternacht. Und auch die Grünen-Wählerschaft ist | |
| verunsichert. „Wir dürfen uns nicht wegducken, auch bei Themen wie | |
| Verbrechensbekämpfung nicht“, sagt Irene Mihalic. „Wenn wir als | |
| Bürgerrechtspartei auftreten wollen, müssen wir auch in diesem Bereich | |
| sagen, wie es geht.“ Und man setze ja nicht auf scharfe Sicherheitsgesetze, | |
| sondern auf eine moderne, starke Polizei und neue Instanzen wie einen | |
| unabhängigen Polizeibeauftragten. | |
| In den Ländern wird es bereits praktisch. In Nordrhein-Westfalen entdecken | |
| die Grünen gerade die Innere Sicherheit als Wahlkampfthema. Mit der SPD | |
| beschlossen sie zu Jahresbeginn 500 Stellen mehr für die Polizei, Beamte | |
| sollen künftig auch mit Schulterkameras zu Einsätzen ausrücken können. In | |
| Baden-Württemberg vereinbarte der grüne Ministerpräsident Winfried | |
| Kretschmann mit der CDU, 1.500 Polizisten neu einzustellen, die Polizei | |
| soll präventiv Vorratsdaten erheben und Alkoholverbote durchsetzen dürfen. | |
| Dazu kommt eine Absage an ein einstiges Lieblingsprojekt der Grünen: die | |
| Kennzeichnung von Polizisten. | |
| Lassen sich Prinzipien so leicht abschütteln? Anruf bei einem | |
| Parteirebellen: Hans- Christian Ströbele. Der Grüne aus Berlin-Kreuzberg, | |
| einst RAF-Anwalt, heute Bundestagsabgeordneter, ist bis heute steter | |
| Begleiter von linken Demos – und scharfer Kritiker, wenn Polizisten mit | |
| Pfefferspray und Schlagstöcken zulangen. | |
| Das werde er auch in Zukunft sein, sagt Ströbele. Und das mit der Absage an | |
| die Kennzeichnungspflicht sei „überhaupt nicht okay“. „Da bin ich ein ga… | |
| vehementer Befürworter.“ Geht es aber um das Sicherheitspapier, klingt | |
| Ströbele fast staatstragend. „Es geht nicht um Annäherung, sondern um | |
| Sicherheitsaufgaben, die erledigt werden müssen. Die Gefahren sind da, das | |
| ist ja unübersehbar.“ Die Frage aber sei: Wer soll sich darum kümmern, wenn | |
| nicht die Polizei? Die Geheimdienste? Die Bundeswehr? Private | |
| Sicherheitsfirmen? | |
| „Jede Alternative wäre falsch und viel weniger kontrollierbar“, sagt | |
| Ströbele. Also habe man sich für die Polizei entschieden – und für deren | |
| Stärkung. Für die Geheimdienste heißt es dagegen im Grünen-Papier: Der | |
| Verfassungsschutz gehöre „aufgelöst“ und „stark reduziert“, der BND | |
| „grundlegend reformiert“. Damit kann Ströbele gut leben. Am Ende gab auch | |
| er seinen Segen für das Sicherheitspapier. | |
| ## Die Polizei hofft auf Entspannung | |
| Bei der Polizei hat man den Wandel der Grünen sehr wohl bemerkt. „Ich nehme | |
| eine gewisse Kehrtwende wahr“, sagt Oliver Malchow, Bundeschef der | |
| Gewerkschaft der Polizei. Seit 33 Jahren ist Malchow im Dienst, bis heute | |
| fallen ihm vor allem die Verletzungen ein. „Diese ständigen Vorwürfe: Wir | |
| schnüffelten rum, wir begingen Übergriffe.“ Nun hofft auch Malchow auf | |
| Entspannung. Das Grünen-Papier weise in die richtige Richtung, zu Leuten | |
| wie Irene Mihalic habe er „einen guten Draht“. | |
| Und auch in Malchows Reihen tut sich etwas. Seit 2013 organisieren sich | |
| dort Polizisten mit Grünen-Parteibuch im Verein „Polizeigrün“. Auch sie | |
| wollen das Verhältnis zwischen Ordnungshütern und der Partei entkrampfen. | |
| Nur wenige Dutzend Polizisten sind es, aber auch sie illustrieren den | |
| Kulturwandel. Malchow begrüßt das Engagement. „Ich hoffe, dass das wirklich | |
| eine neue Denke ist bei den Grünen, nicht nur wahltaktisches Verhalten.“ | |
| Möglich ist auch das: der neue grüne Sicherheitskurs – eine Vorbereitung | |
| auf Schwarz-Grün? Irene Mihalic weist das zurück. Auch Ströbele sagt, das | |
| könne man ja wohl gerade ihm nicht unterstellen. Ihren möglichen | |
| Koalitionspartnern, Union und SPD, werfen beide Sicherheitsrezepte „aus dem | |
| letzten Jahrhundert“ und „Massenüberwachung“ vor. | |
| Diese Dialektik – Sicherheitspolitik für die Besorgten, markige Kritik für | |
| die Idealisten – ist auch bei einem weiteren Gastredner auf dem Münchner | |
| Polizeikongress angekommen: Anton Hofreiter, Grünen-Fraktionschef und | |
| vorderster Parteilinker. Auch er lobt dieser Tage den neuen Kurs seiner | |
| Partei. | |
| „Eine gut ausgestattete Polizei ist der Gegenentwurf zu reflexhaften | |
| Sicherheitsverschärfungen“, sagt Hofreiter. Man wolle schließlich keine | |
| Maßnahmen wie anlasslose Vorratsdatenspeicherung, sondern Ermittler, die | |
| gezielt Straftaten aufklärten. „Und dazu braucht es dann auch das Personal, | |
| um das umzusetzen.“ | |
| 3 Jun 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
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