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# taz.de -- Kampf für Kinderrechte: Der allerschönste Tag im Jahr
> Im Westen wurde der Kindertag eher ignoriert, im Osten war er ein
> wichtiger Termin. Gefeiert wird nun Samstag, Sonntag und auch noch
> Mittwoch.
Bild: Am Kindertag sind die Kleinen das Größte
Kindertag im 1. Juni? Ist der nicht irgendwann im September? Das wird sich
wohl so mancher fragen, der in die Veranstaltungsprogramme der nächsten
Tage schaut und dabei über die Kinderrubrik stolpert. Denn er wird merken:
In Deutschland wird der Kindertag – wahlweise Weltkindertag,
internationaler Kindertag oder internationaler Tag des Kindes genannt – an
zwei Terminen begangen. Im Westen am 20. September. Und im Osten, also auch
in Ostberlin, am 1. Juni.
Die Idee, einen solchen Tag einzurichten, entstand wohl im Jahr 1923.
Damals schickte eine englische Grundschullehrerin mit dem großartigen Namen
Eglantyne Jebb ein Fünf-Punkte-Programm für die Interessen der Kinder an
den Völkerbund in Genf. Es entstand eine Charta, besser bekannt als Genfer
Erklärung, die erstmals die Kinderrechte als Anliegen der internationalen
Gemeinschaft formulierte. Hintergrund war das Elend, das der Erste
Weltkrieg auch unter den Kindern angerichtet hatte. Trotzdem lautete der
fünfte Punkt der Charta wie folgt: „Das Kind soll in dem Gedanken erzogen
werden, seine besten Kräfte in den Dienst seiner Mitmenschen zu stellen.“
Vielleicht ist es dieser Punkt, der den Kindertag sozialistisch prägte und
in der DDR wichtiger machte als in der BRD. Denn während der Tag in vielen
westlichen Ländern erst 1954 auf Empfehlung der UNO eingerichtet wurde, gab
es den Tag in vielen sozialistischen Staaten seit 1950 – und zwar als
„Kampftag für die glückliche und friedliche Zukunft aller Kinder“, wie es
die DDR-Lexika auf den Punkt brachten. So ist es zu erklären, dass etwa
Albanien, China, Polen und Russland den Kindertag am 1. Juni feiern und
andere der insgesamt 145 Länder mit Kindertag irgendwann anders: Bolivien
zum Beispiel am 12. April, Brasilien am 12. Oktober, Finnland am 20.
November, Tunesien am 11. Januar.
Während der Tag in den alten Bundesländern im Leben der meisten Kinder eher
einfach verstreicht und es nur hier und da größere Partys gibt – die
angeblich größte findet alljährlich am Potsdamer Platz statt –, wurden die
Kinder in der DDR auch zu Hause und in der Schule als Träger der
zukünftigen Gesellschaft gefeiert und beschenkt. Es gab Leitartikel in den
Tageszeitungen, Umzüge, und es wurden viele Lieder gesungen, zum Beispiel
das wunderbare „Immer lebe die Sonne“. Manchmal soll sogar Unterricht
ausgefallen sein.
Auch tatsächliche Errungenschaften des Sozialismus wie die viel frühere und
konsequentere Abschaffung der Prügelstrafe in der DDR waren Thema – dort
wurde diese 1949 verboten, in einigen westlichen Bundesländern stand sie
bis 1973 nicht unter Strafe. So ist es möglicherweise zu erklären, dass
sich in die Stimmen jener, die in der DDR aufgewachsen sind, eine gute
Portion Verklärung mischt, wenn sie erzählen. „Wir ließen die Kuh fliegen�…
sagt etwa ein Bekannter, der im Ostberlin der 70er Kind war. Sein Unterton
klingt allerdings ein wenig ironisch: „um danach wieder für Frieda und
Sozialismus immer breit zu sein“, fügt er an.
„Es gab Spiel, Spaß und Freude“, berichtet eine Kollegin, die im Ostberlin
der 80er Kind war, und berichtet von kleinen Geschenken der Eltern und
Schokolade zum Nachtisch in der Schule.
Eine andere Kollegin, die ihre Kindheit auf Rügen erleben durfte, kann sich
nicht an Schokolade erinnern, sondern ans Café Arkona, wo sie mit ihren
Eltern einkehrte. Hier gab es ausnahmsweise Löffel, die mit Namen bedruckt
waren – wenn auch nicht mit ihrem. Vor allem aber wurde dort sonst immer
nur eine Sorte Eis im Wechsel verkauft, also an einem Tag Vanilleeis und am
anderen Tag Schokoladeneis. Am Internationalen Kindertag am 1. Juni
hingegen gab es Vanille UND Schokolade.
„Das war unser Tag“, sagt sie.
28 May 2016
## AUTOREN
Susanne Messmer
## TAGS
DDR
Feiertage
Schwerpunkt Thüringen
Kinderrechte
Klimakonferenz in Dubai
Flüchtlinge
Brandenburg
Schwerpunkt AfD
Literatur
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