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# taz.de -- Der Traum vom Leben im Grünen: Villa und Vorstellung
> Keine Stadt wächst so schnell wie das brandenburgische Teltow. Vor allem
> durch den Zustrom aus Berlin schwillt der Ort an und wird zugebaut.
Bild: In Teltow entsteht eine Neubausiedlung nach der anderen. Die Mittelschich…
Berlin taz | Im Paradies bricht ein trüber Montagmorgen an. Schiefergraue
Wolken hängen über leeren, gefegten Straßen, ringsum Doppelhaushälften,
Carports, streng geschnittene Buchsbaumhecken, eine Idylle mit rechten
Winkeln. Die Tulpen blühen, eine Autotür klappt.
Nichts regt sich auf in der Neubausiedlung Mühlendorf. Nur eine ältere Frau
läuft in kurzen, zaghaften Schritten über das Pflaster, an der Leine ein
Hund. Sie sehen aus wie die Figuren, die Architekten in ihre Entwürfe
zeichnen, um Leben vorzutäuschen. „Ich pass’ auf den Hund auf, das ist mein
Job“, sagt sie. Morgens, wenn sich die Pendler in Teltow auf den Weg zur
Arbeit machen, bricht die Frau in die Gegenrichtung auf, raus aus Berlin,
dorthin, wo die städtische Mittelschicht ihre Träume vom Leben im Grünen
verwirklicht. Als Dogsitter bessert die Frau ihre Rente auf. Und die
Besitzer des Hundes? „Die arbeiten.“ Dann geht sie weiter und verschwindet
zwischen einförmigen Häusern in mediterranen Ockertönen.
Die niedrigen Zinsen haben in Deutschland einen Bauboom ausgelöst. In
Teltow, Brandenburg, irgendwo zwischen Berlin und Heide, lassen sich die
Folgen dieser Dynamik bestaunen. Zwischen 2008 und 2013 ist Teltow um knapp
15 Prozent größer geworden. So stark wächst bundesweit keine andere Stadt
über 20.000 Einwohnern. Zu Wendezeiten lebten dort 15.000 Menschen. Heute
sind es fast 27.000.
## Zehn Euro Kaltmiete
Das Viertel Mühlendorf hat ein kanadischer Investor gebaut. Deshalb sind
die Straßen nach kanadischen Städten benannt, Ottawa-Straße,
Montréal-Platz. Um kurz vor neun kommt ein Mann im Anzug aus einer
blaßgelben Doppelhaushälfte. Steffen Scherwa, Versicherungsvertreter, fährt
„antizyklisch“ zur Arbeit. Sonst stünde er mit den anderen Pendlern im
Stau. Scherwa ist mit seiner Frau aus Berlin hergezogen, als die beiden
Kinder kamen. Weil es günstig ist? Mitnichten, sagt er: „Es ist die beste
Lage außerhalb von Berlin.“ Dafür zahlt er zehn Euro Miete pro
Quadratmeter. Kalt. „So“, sagt er, „nun muss ich wirklich los.“ Er stei…
in seinen Kombi und fährt an. Oben am Himmel zeichnet sich die Silhouette
eines Baukrans ab.
„Ich könnt’ jeden Tag in Teltow Grundstücke verkaufen – es fehlt aber d…
Material“, sagt Martin Feldt, Geschäftsführer der Maklerfirma IB Feldt im
Nachbarort Stahnsdorf. Er schnappt nach Luft und ruft: „Suchen Sie mal auf
den Immobilienportalen! Drei, vier Gurken werden Sie finden, aber die
wirklich guten Grundstücke sind alle in fester Hand.“
Feldt sitzt im Besprechungszimmer, das gerade groß genug ist für einen
Tisch und ein Flipboard. Die Grundstückspreise in Teltow, sagt er, steigen
jedes Jahr im niedrigen zweistelligen Bereich. Inzwischen zahlt man für den
Quadratmeter 200 bis 300 Euro, aber das ist immer noch weit weniger als in
den Berliner Vororten, wo die Preise zwischen 400 und 600 Euro liegen. Der
Makler greift sich einen Block und malt einen Kreis, das ist das Umland von
Berlin, dann verteilt er Noten. Nordwesten und Südosten kriegen eine Drei,
der Nordosten eine Vier, der Südwesten eine Eins bis Zwei. „Berlin wächst
ja in erheblichem Maße“, sagt er, „und das Wachstum, das geht ja irgendwo
hin. Da kommt die Bauaktivität innerhalb der Stadt nicht nach.“
## Historischer Ortskern
Für Teltow spricht, dass die Stadt ans Berliner S-Bahn-Netz angeschlossen
ist, die Fahrt zum Potsdamer Platz dauert 20 Minuten. Es gibt genug Ärzte,
die Schulen haben einen guten Ruf. „In Berlin gibt es ja Viertel, wo der
Mittelstand nicht mehr wohnen will“, sagt Feldt, „das hat man ja im Umland
nicht, dass das eigene Kind an der Schule in der Minderheit ist.“
Rings um den Marktplatz liegen die alten Gutshöfe gewürfelt. Ein lauwarmer
Wind fährt in die Bäume, die Äste wippen vor cremeweißen Mauern. Der
Bürgermeister sitzt in seinem Büro, er blickt durch die offenen Fenster
über ein Panorama, das wie gemacht ist für Postkarten. „Über was könnte i…
jammern? Lassen sie mich mal überlegen“, Thomas Schmidt, SPD, lächelt wie
eine zufriedene Katze. Es läuft ja alles in Teltow: Die Arbeitslosigkeit
liegt unter 3 Prozent, Schulden hat die Stadt kaum. Eine ganze Reihe von
Firmen hat sich angesiedelt.
Doch Schmidt hat nicht vergessen, dass es einmal anders war: Zu DDR-Zeiten
war Teltow ein wichtiger Standort der Feinmechanik. Dann kam die Wende.
9.000 Menschen verloren ihre Arbeit. Die Altstadt stand kurz vor dem
Abriss. „Man erschrickt, wenn man die Bilder von damals sieht“, sagt
Schmidt. Aber dann ging es wieder aufwärts mit Teltow. Inzwischen ist die
Frage, wie sich das Wachstum begrenzen lässt. Bei 30.000 Einwohnern, sagt
Schmidt, sollte allmählich Schluss sein, „damit die Wohnqualität erhalten
bleibt“.
## Kein Villenort, sondern Neubausiedlung
Manfred Pieske lacht leise, wenn er die Zahl hört; er erinnert sich, wie
die Stadtverwaltung Obergrenzen von 24.000 und 28.000 gesetzt hat. „Ich hab
damals schon gesagt: Das wird nicht reichen.“ Pieske ist pensionierter
Autor und ehemaliger Verleger des Teltower Stadt-Blattes, ein zierlicher
alter Mann mit blaßblauen Augen. Er hockt auf der Terrasse des Restaurants
neben dem Rathaus. „Die Stadt hat viel Zulauf, aber ich kann nicht sagen,
dass sie etwas ganz Besonderes hat.“
Er meint das nicht böse, Pieske sagt das ganz warmherzig. Teltow ist
geprägt von Technik und Industrie; kein Villenörtchen wie Kleinmachnow
nebenan. Trotzdem schießen ständig neue Siedlungen aus dem Boden. „Die
sehen ja immer aus wie Legoland, damit müssen wir leben“, sagt er. Ringsum
auf dem Marktplatz ist nichts los; es gibt eine Druckerei, einen Bäcker,
sonst nichts. Selbst hier, im historischen Kern, wirkt Teltow leblos. Was
die Leute anspricht, ist etwas anderes, sagt Pieske: „Es ist intakt – das
macht den Reiz der Stadt aus.“ Es gibt wenig Kriminalität, keine sozialen
Brüche.
Ganz in der Nähe hat Vanessa Arend-Martin einen kleinen Buchladen
eingerichtet. Sie und ihr Mann zählten vor rund 15 Jahren zu den Ersten,
die aus Berlin hergezogen sind. Sie kauften ein Haus, ihr Grundstück misst
1.600 Quadratmeter, damals waren die Preise nur halb so hoch wie heute. Sie
haben es selbst saniert und das Fachwerk freigelegt. Doch jetzt, sagt sie,
donnern dauernd Baufahrzeuge vorüber. „Unser Haus hat deswegen Risse, wir
könnten schon wieder sanieren.“
## Früher waren da Äcker
Die Buchhändlerin ist eine schmale Frau mit dunklem Pagenkopf. Teltow, sagt
sie, war das Ergebnis eines Kompromisses zwischen ihr und ihrem Mann: „Ich
wollte in Berlin bleiben, er wollte ins Grüne“, sie lächelt; ihr gefällt
das ruhige Leben, vor allem, weil es leicht ist, Berlin zu erreichen, ihre
Kinder besuchen eine Privatschule in Zehlendorf. Aber sie spürt, wie sich
die Idylle verändert. „Alles ist überfüllt“, sagt sie, „man merkt es, …
man in Richtung Ruhlsdorf fährt – da waren früher Äcker. Jetzt stehen da
Häuser.“
Teltow, das ist vor allem eine lose Ansammlung von Vororten, dazwischen
Plattenbauten. Nahe des Kanals breitet sich ein Gewerbegebiet aus,
Supermärkte, Gartencenter, Hallen, die aussehen wie aus groben Stücken
vernietet. Eine Frau schiebt eine Aphrodite-Statue im Einkaufswagen über
den Parkplatz. Bei Rewe sind Geranien im Angebot.
Von dort ist es nicht weit bis in das Viertel Seehof; an Straßen, die zum
Teil noch nicht asphaltiert sind, drängen sich Häuser so makellos wie
frisch aus der Folie gewickelt, hölzerne Schwedenhäuser, Trutzbauten aus
Naturstein, Bauhaus, Säulenportale, Krüppelwalmdächer.
In einer Sackgasse parkt ein Mann seinen Audi; er steigt aus, seine beiden
Söhne bleiben auf der Rückbank. „Sehr gut wohnt man hier“, sagt Matthias
Knoll, 50 Jahre, Außendienstler von Beruf. Bis vor drei Jahren wohnten er
und seine Familie in Berlin-Steglitz. Dann wurde ihre Wohnung verkauft,
Knoll machte sich auf die Suche nach etwas Neuem, und als er die Mietpreise
sah, dachte er sich: „Für das Geld kann man auch bauen.“ Die Jungen
langweilen sich; einer dreht das Autoradio auf. „Karl-Ludwig!“, schreit
Knoll, dann ist wieder alles still. Vor allem für die Kinder sei es ein
Glück, in Teltow zu leben, sagt er: „Die Freiheit wie hier, die hätten sie
nie in Berlin, da hätten wir sie nie einfach allein rausgelassen.“
## „Die rennen einem die Bude ein“
An einer Hauptstraße im Zentrum tut sich eine Baustelle auf, rechts steht
ein Rohbau, gegenüber wühlt ein Bagger im Boden. Die Potsdamer Firma Fibav
baut hier vier Mehrfamilienhäuser und vier Doppelhäuser. Zwischen Stapeln
von Steinplatten läuft Immobilienverkäufer Patrick Jasper auf und ab:
„Kleinmachnow ist zugebaut“, sagt er, „jetzt greifen alle Teltow und
Stahnsdorf an.“ Die Wohnungen werden teils zum Kauf, teils zur Miete
angeboten; ein Haus ist als Anlageobjekt gedacht. Vor allem bei den
Mietwohnungen sei das Interesse gewaltig, trotz Mieten zwischen 9,50 und 11
Euro pro Quadratmeter. „Die rennen einem die Bude ein“, sagt Jasper, „das
ist echt Wahnsinn.“
Ein paar Kilometer entfernt schlendert ein drahtiger Mann mit Locken über
eine Wiese, er öffnet die Tür eines Bauwagens, eine Gans tappt über eine
Stiege ins Gras. „Wohnen im Grünen“, Axel Szilleweit schnaubt, „die werb…
ja sogar damit.“
Szilleweit ist Biobauer und Chef der Fraktion Linke/Umweltaktive/Piraten in
der Stadtverordnetenversammlung. Wie er es sieht, ist der Traum vom Leben
im Grünen dabei, sich selbst zu kannibalisieren. „Das ist das
Hauptproblem“, sagt er, „es wird so dicht gebaut, dass der Wohnraum im
Grünen auf der Strecke bleibt.“ Ein Beispiel: Im Musikerviertel im Süden
gibt es ein Waldstück, etwa fünf Hektar groß. Das soll nun Bauland werden.
Szilleweits Fraktion hat gegen den Beschluss gestimmt. Viel Grünland ist
bereits verloren gegangen; er selbst musste zwei Hektar Land aufgeben, als
das Baugebiet Mühlendorf ausgeweitet wurde. „Ursprünglich war das hier mal
eine Acker- und Bauernstadt“, sagt Szilleweit, das ist lange her.
Der Nachmittag geht langsam in den Abend über, an der Mahlower Straße wird
noch gebaggert. Die Pendler fahren heim, auf dem Teltower Damm stockt der
Verkehr. Auf dem Werbeposter eines Fertighausherstellers steht: „Endlich zu
Hause.“
28 May 2016
## AUTOREN
Gabriela Keller
## TAGS
Brandenburg
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