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# taz.de -- Debatte Islam und Feminismus: Schafft Vorbilder!
> Religiöse Interpretation ist menschengemacht und nicht unantastbar. Wie
> können Islam und Feminismus zusammen funktionieren?
Bild: Patriarchale Interpretation: Der Koran wurde über Jahrhunderte von Männ…
So viel Rechtsruck in diesen Tagen, einerseits; zugleich wird nun
allenthalben von Feminismus geredet. Sogar von islamischem Feminismus! Die
Friedrich-Ebert-Stiftung veranstaltet heute eine Tagung zu diesem Begriff,
es ist bereits die zweite, gemeinsam mit dem Aktionsbündnis muslimischer
Frauen.
In der erstickenden Atmosphäre unserer Tage muss man dankbar sein, von
einer Institution des politischen Mainstreams solches zu hören: „Es gibt
sowohl eine islamische Tradition des Kampfes für Frauenrechte als auch
heutige Musliminnen, die sich als Feministinnen verstehen.“
Die Frage, ob und wie Islam und Feminismus zusammenpassen, ist damit nicht
beantwortet. In der weltweiten Szene der Aktiven wurde früher lange
diskutiert, welche Implikationen sich mit den unterschiedlichen
Selbstbezeichnungen als muslimische oder islamische Feministin verbinden –
bis hin zu dem Vorwurf, Letztere seien verkappte Islamistinnen, da sie
offenkundig alle Probleme von Frauen allein mit Islam bewältigen wollten.
Fällt uns da eine Parallele auf? Gewiss: Die unselige Diskussion, ob der
Islam oder vielleicht nur die Muslime zu Deutschland gehören. Es ist Zeit,
sich Wichtigerem zu widmen. Also stellen wir die Frage anders: Was kann
Feminismus im Islam bedeuten?
## Männliche Exegese
Seit einigen Jahrzehnten arbeiten muslimische Theologinnen an neuen
Interpretationen islamischer Quellen. Das ist neben dem Koran die Sunna,
die überlieferten Aussagen und Taten des Propheten Mohammed. Das Konvolut
von Rechtsprechung, Exegese und Kommentar, das daraus über Jahrhunderte
entstanden ist, stammt fast ausschließlich von Männern; sie waren als
Gelehrte den Normen und Patriarchalismen ihrer Zeit verhaftet. Hier rückt
unweigerlich in den Blick, dass alle religiöse Interpretation
menschengemacht ist und keine Unantastbarkeit beanspruchen kann – ein
zentraler Punkt für jedwede Identitätssuche moderner Menschen, die glauben.
Trotz der Dominanz patriarchaler Theologie hat es in früheren Zeiten
geachtete weibliche Gelehrte gegeben; sie werden heute wieder der
Vergessenheit entrissen. Ähnlich wie wir es aus der Kunstgeschichte kennen,
hat männliche Geschichtsschreibung im Islam viel von weiblicher Leistung
und weiblichem Genie aus dem Bewusstsein getilgt. Solche neuen Wege von
Interpretation und geschichtlicher Aufarbeitung verlangen ein immenses
Fachwissen. Daran arbeiten internationale Netzwerke, aber auch Gruppen und
Einzelpersonen in Deutschland. Einige einschlägig versierte Expertinnen
konnten bei den Instituten für Islamische Theologie andocken, etwa in
Osnabrück.
Allerdings findet all dies in einer Atmosphäre verschärften Kulturkampfes
statt. Welch ein Widerspruch: Nie zuvor gab es so viele Bemühungen der
weiblichen Neuaneignung des Islams – zugleich drängt ein zunehmend
islamophobes Europa gerade die gebildeten und emanzipierten Musliminnen in
die Rolle von Kronzeuginnen gegen ihren eigenen Glauben.
Sich dieser Rolle zu verweigern, ist eine Grundvoraussetzung dafür, sich
als islamische Feministin verstehen zu können.
## Talkshow-taugliche Restposten
Die Palästinenserin Lana Sirri, von der im Herbst ein Buch über islamischen
Feminismus auf Deutsch erscheint, verwendet den Ausdruck „glaubensbasierter
Einspruch“: So beschreibt sie ihren Umgang mit Koranpassagen, die
herabsetzend gegenüber Frauen klingen. Das heißt: Die Annahme, dass der
Islam insgesamt eine auf Gerechtigkeit, auch Geschlechtergerechtigkeit,
zielende Interpretation ermöglicht, wird durch solche Passagen nicht
infrage gestellt, aber sie werden auch nicht übergangen.
„Glaubensbasierter Einspruch“ ist damit das Gegenteil von dem, was
Musliminnen öffentlich oft abverlangt wird: ihren Glauben um des Einspruchs
willen zu verwerfen oder auf einen Talkshow-tauglichen Restposten
abzuschmelzen.
Eine islamische (oder muslimische) Feministin hat mehr Gegner, als man hier
nennen kann: die Rechtspopulisten ohnehin, dazu die meisten Salafisten,
also die muslimische Rechte; eine religionsferne deutsche Linke, die
Gläubige nicht als Subjekte emanzipatorischer Politik wahrnimmt. Und wie
sich Alice Schwarzer den Islam zurechtsortiert, mit „Scharia-Islam“ als
süffigem Feindbild, das ist für eine praktizierende Muslimin auch kein
Bündnisangebot.
## Frauen-Geschichte schreiben
Was sich heute Feminismus nennt, muss sich von einem weißen Eurozentrismus
befreien, der latent islamophob macht. Tuba Işik, Vorsitzende des
Aktionsbündnisses muslimischer Frauen, schrieb kürzlich: „Der westliche
Feminismus ist Ausdruck einer europäischen Moderne, die andere Kulturen
generell als rückständige Vorstufen der eigenen deutet.“ Das ist halb
richtig, halb falsch. Die Mütter des Feminismus hatten noch eine Idee von
genereller Herrschaftskritik, und einige, wie Simone de Beauvoir, waren
Antikolonialistinnen. Lange her? Nun outet sich die Chefin des
Internationalen Währungsfonds, sie sei früher sexuell belästigt worden; das
wird Frauen des Südens, die gegen die Politik des IWF kämpfen, wenig
beeindrucken.
Vieles muss jetzt neu gedacht werden. Unter denen, die erklärtermaßen
Feminismus im Islam praktizieren, tragen viele Kopftuch. Andere gehen
andere Wege, jüngstes Beispiel: die neue Landtagspräsidentin in Stuttgart,
Muhterem Aras, Tochter einer anatolischen Analphabetin. Muslimische
Migrantinnen schreiben gerade Geschichte für alle Frauen, sie durchbrechen
die berühmte „gläserne Decke“.
Feminismus und Empowerment müsste heißen: Auf alle stolz zu sein, die
Herausragendes schaffen – und nicht zuerst auf das Trennende starren, wie
es leider in der hiesigen muslimischen Szene zu oft geschieht. Ob fromm
oder liberal, ob Alevitin, Ahmadiya oder sogenannte Konvertitin – schafft
drei, vier, viele Vorbilder!
Auch dies ist übrigens muslimischer Feminismus: Die US-Amerikanerin Kulsoom
Abdullah hat durchgesetzt, dass die Internationale Gewichtheber-Föderation
Musliminnen bei Wettkämpfen mit Kopftuch und langen Ärmeln antreten lässt.
Gewichtheben, irgendwie symbolisch.
28 May 2016
## AUTOREN
Charlotte Wiedemann
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