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# taz.de -- Debatte Geschlechterverhältnis im Islam: Die Ehre der Frauen
> Wie wichtig ist ein verweigerter Handschlag? Im Islam gibt es keine
> einheitliche Konvention. Die Debatte schürt islamfeindliche
> Ressentiments.
Bild: Ob Handschlag, Verbeugung oder Nicken – Hauptsache, die Begrüßung ist…
Kleine Konflikte ziehen in diesen Tagen große Kreise. Zwei syrische Schüler
verweigern ihrer Schweizer Lehrerin den Handschlag, und Europa echauffiert
sich. Alles, was mit der Stellung der Frau und dem Islam zu tun hat (oder
zu haben scheint), wird im gegenwärtigen Kulturkampf zur Munition. Und
immer häufiger zieht es Frauen aus Sorge um ihre Selbstachtung auf eine
Seite, die ich als die falsche betrachte.
Dabei ließe sich in solch symbolträchtigen Konflikten ein Feminismus
entwickeln, der sich von islamfeindlichen Denkmustern befreit. Das Beispiel
des verweigerten Handschlags ist dafür besonders interessant. Weil hier nur
das Verhalten muslimischer Männer wahrgenommen wird, obwohl auch ein Teil
der muslimischen Frauen den Handschlag ablehnt. Und weil es ausschließlich
um ein Problem des Islam zu gehen scheint, obwohl sich Islam und Judentum
in dieser Hinsicht sehr ähnlich sind.
Der Vollständigkeit halber also ein Hinweis, der gerade in der Jüdischen
Allgemeinen erschien: „Viele religiöse Jüdinnen und Juden befolgen das
Konzept ,Schomer Negia’ (wortwörtlich ,Achtsamkeit bezüglich Berührung oder
Kontakt’) und vermeiden grundsätzlich möglichst jegliche Berührung des
anderen Geschlechts.“ Ob dies auch für den Handschlag gelten solle, sei
unter Gelehrten umstritten.
So viel anders ist es im Islam nicht. Zwar lässt sich ein generelles
Berührungsverbot zwischen Unverheirateten durch einige Prophetenworte
normativ herleiten, aber Millionen muslimische Männer und Frauen auf der
Welt geben dem anderen Geschlecht trotzdem die Hand. Die Bandbreite des
Verhaltens ist dabei enorm, wie so oft im Islam.
## Prüderie oder Rücksichtnahme?
Manche Geistliche strecken mir die Hand entgegen; das würde ein frommer
Bauer eher nicht tun. Ein religiöser Unternehmer, der mir seine Firma
zeigte, gab mir draußen die Hand und sagte dabei: Gib drinnen niemandem die
Hand. Er wusste, dass seine Angestellten weniger flexibel waren als er. In
einem iranischen Regierungsbüro machte man sich hingegen kollektiv lustig
über den einzigen Beamten, der mir nicht die Hand reichen mochte.
Nicht die Art des Grüßens, sondern eine dahinterstehende Idee mag man als
typisch islamisch ansehen: Alles zu unterlassen, was den Eindruck einer
Anzüglichkeit erwecken könnte. In muslimischen Ländern bleibt die Tür
meines Hotelzimmers stets offen, wenn ein Mann dort etwas repariert,
während ich im Raum bin. Und wenn ein Aufzug sehr eng ist, dann warten ein
Mann oder eine Frau lieber etwas länger im Flur, als sich neben eine Person
des anderen Geschlechts zu drängen. Westler empfinden das leicht als
übertriebene Prüderie. Man kann es auch Rücksichtnahme nennen.
Konflikte lauern überall dort, wo sich zwei Seiten gegenüberstehen, deren
kulturelle Bildung sich auf das je eigene Milieu beschränkt. Also etwa ein
syrischer Junge, der nur die Sitten seiner konservativen Familie kennt, und
eine europäische Lehrerin, die nicht weiß, dass sich der orientalische Teil
der Welt mit der rechten Hand auf dem Herzen grüßt – und dies nicht weniger
Respekt bedeutet.
Fremdkulturelle Bildung ist ja in anders gelagerten Fällen durchaus
vorhanden; wie akzeptiert, sogar schick sind buddhistische Gesten des
Grüßens geworden. Durch männliche Muslime fühlen sich hiesige
nichtmuslimische Frauen hingegen fast reflexartig angegriffen, weil es für
deren Verhalten nur ein einziges Interpretationsschema gibt: Der Islam ist
frauenfeindlich. Dieses Image ist mittlerweile so manifest, dass es
andauernd zur Selffulfilling Prophecy kommt.
## Islam- und Frauenfeindlichkeit
Deshalb kann die Verweigerung des Händedrucks auch als typisch männlich
gelten, obwohl ein Teil der Musliminnen gleichfalls nicht die Hand reicht.
Denn die Muslima zählt nicht. Sie wird als ein zurückhaltendes,
nichtaktives Wesen gesehen, ein Geschöpf, das hinnimmt und vermutlich
leidet – jedenfalls setzt sie keine Regeln. Verweigert sie einem
nichtmuslimischen Mann den Händedruck, wird er das mit ihrer Schüchternheit
und ihrer Unterdrückung erklären. Das arme Ding! Wahrscheinlich schlägt ihr
Mann/Bruder/Vater sie sonst! Der Muslima wird also ihr Verhalten verziehen,
weil sie am Kreuzungspunkt von Islam- und Frauenfeindlichkeit lebt: Sie ist
nur Objekt. Sie entscheidet nicht. Kein Mann wird durch sie um seine Ehre
gebracht.
Die Verachtung der muslimischen Frau erweist sich einmal mehr als
Grundproblem unseres Umgangs mit dem Islam. Würden wir die Handlungsweisen
von Musliminnen mehr achten, dann wäre allen gedient – und manche
nichtmuslimische Frau könnte mit größerer Gelassenheit auf ihr fremde
Phänomene reagieren.
Ich plädiere dafür, den Händedruck nicht ideologisch zu überfrachten. Seine
Verweigerung in die Nähe von Verfassungsfeindlichkeit zu rücken, ist
blanker Unsinn. Aber ich möchte ihn auch nicht zum „beliebigen und
verzichtbaren Brauch“ herabgewürdigt sehen, wie es ein selbsternannter
„Zentralrat“ Schweizer Muslime tut. Allein ein Blick auf die Metaphern
unserer Sprache zeigt: Der Handschlag ist eine schöne und zu bewahrende
Geste, eher rar als Ausdruck von Frieden und Versöhnung. Diese Geste
praktizieren zu können, hat nichts mit Wohlverhalten, mit „Integration“ in
staatlichem Sinne zu tun, sondern mit Zwischenmenschlichkeit.
Eine ausgestreckte Hand abzulehnen, ist ein Affront, und es gibt im Islam
keine theologische Begründung für Beleidigung. Gewiss, eine Frau könnte
diese Situation vermeiden, indem sie von sich aus keine Hand ausstreckt;
das halte ich jedoch nur in muslimischen Gesellschaften für empfehlenswert.
Verweigert ein Schüler seiner Lehrerin den Händedruck, dann reduziert er
damit eine Autoritätsperson auf ihr Geschlecht. Das ist inakzeptabel.
Es scheint mir entscheidend, den sexualisierten Blick auf die arbeitende
Frau nicht zu dulden. Dafür gibt es genug Anknüpfungspunkte auch im Islam.
Der Schüler mit der Lehrerin, das ist übrigens ein klassisches Sujet der
Pornografie. Die wurde nicht von muslimischen Einwanderern erfunden.
17 Apr 2016
## AUTOREN
Charlotte Wiedemann
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Judentum
Islam
Muslime
Gleichberechtigung
Handschlag
Feminismus
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Politisches Buch
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Feminismus
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