# taz.de -- Sloterdijk und AfD-Hausphilosoph Jongen: Homöopathie, Erbauung, Er… | |
> Über esoterischen Budenzauber bei Peter Sloterdijk und seinem ehemaligen | |
> Assistenten Marc Jongen, heute Hausphilosoph der AfD. | |
Bild: Entwirft für die AfD im Moment ein „Avantgarde-konservatives Manifest�… | |
Die Bankenkrise und das schäbige Feilschen über den Umgang mit Flüchtlingen | |
in den EU-Staaten und der Türkei haben nicht nur die EU in eine Krise | |
gestürzt, sondern auch die AfD gestärkt. Nebenfolgen bei konservativen | |
Intellektuellen blieben nicht aus. | |
Als Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski in den Kampfblättern Cicero und | |
der Zürcher Weltwoche im Januar großspurig und unbedarft über | |
„Souveränitätsverzicht“ und einen „territorialen Imperativ“ zur Abdic… | |
des Landes gegen Flüchtende improvisierten, kanzelte Herfried Münkler die | |
Beiträge der beiden im Februar als „Dahergerede“ ab und bezeichnete dieses | |
als „Abdankungserklärung“. | |
Die Debatte bekam Schwung, als im April mehrere Zeitungen berichteten, dass | |
Sloterdijk als Rektor der Karlsruher Hochschule für Gestaltung (HfG) Marc | |
Jongen zu seinem Assistenten gemacht und zum Dr. phil. promoviert hatte. | |
Zusammen bestritten diese 2003 bis 2013 Seminare. Nebenberuflich ist Jongen | |
der Hausphilosoph der AfD, entwirft für diese im Moment ein | |
„Avantgarde-konservatives Manifest“ und ist stellvertretender Sprecher des | |
AfD-Landesverbands Baden-Württemberg mit Aspirationen auf ein | |
Bundestagsmandat 2017. | |
Wenn man dem Profil seines Schülers Jongen nachgeht, stößt man schnell auf | |
erstaunliche „Verwandtschaften“ mit dem Doktorvater. Oberflächlich decken | |
sich die politischen Präferenzen beider: Sloterdijk versteht sich momentan | |
als „Linkskonservativer“ und spricht Jongen, der als | |
„Avangardekonservativer“ auftritt, das Recht ab, sich als sein Schüler zu | |
bezeichnen: „Er dürfte sich vielleicht als mein Schüler bezeichnen, wenn er | |
in seiner Assistentenzeit wenigstens ein einziges vorzeigbares Buch | |
geschrieben hätte. So aber bleibt es nur bei falschen Zitaten“ – so | |
Sloterdijk im Interview mit dem Zürcher Tages-Anzeiger (16. 4. 2016), eine | |
der wenigen Zeitungen, die Sloterdijk seit Jahren zum „sprachmächtigen | |
Denker“ adelt und „analytische Brillanz“ bescheinigt. | |
Wie immer bestreitet Sloterdijk alles als „ärgerliches Missverständnis“, | |
wenn man ihn auf seine Affinität zu Rechtsintellektuellen und zum ordinären | |
FDP-Liberalismus festnagelt. | |
## Intellektuelle Herkunft | |
Nicht zu bestreiten ist die übereinstimmende intellektuelle Herkunft | |
Sloterdijks und Jongens. Sloterdijks Karriere begann in der Esoterik als | |
Nachwuchs-Guru im Ashram von Bhagwan Shree Rajneesh in Poona. Seinem | |
akademischen Ziehsohn Marc Jongen bot er jahrelang eine „geschützte | |
Werkstatt“ in Karlsruhe, wie Sloterdijks Kollege Beat Wyss bemerkt. Jongens | |
Verhältnis zu seinem Doktorvater ist geprägt von sentimental-klebrigem | |
Kriechertum, wie schon der Titel seines Beitrags zur Sloterdijk-Festschrift | |
(2007) verrät: „Sloterdijk Essenz – Homöopathisches Theoriefläschchen, | |
darin ein Abglanz dieses erstaunlichen Genii sich möchte zeigen, zur | |
allgemeinen Erbauung und geistigen Erquickung […] dargereicht von Marc | |
Jongen.“ | |
Homöopathie, Erbauung und Erquickung sind Stichworte für die intellektuelle | |
Statur Jongens. Er bescheinigt seinem Lehrer darin einen „Seminar- und | |
Vortragsstil“ mit „Merkmalen dessen, was in Indien ‚Satsang‘ genannt wi… | |
Zusammenkunft von Wahrheitssuchern bei einem spirituellen Meister.“ Den | |
„sphärenbildenden Zauber“ der „Sloterdijk-Essenz“ Jongens bildet die | |
„Synthese aus Aufklärung und Spiritualität (aus Ost und West)“, wobei die | |
Aufklärung verstanden wird „als Klärwerk der verdüsterten, verzweifelten, | |
miserabilistischen Bewusstseinssuppe, zu der der spätmoderne Geist […] | |
heruntergekommen […] ist“. | |
Durch „Sloterdijk-Essenz“ gestärkt, versetzte sich Jongen in „die | |
besinnliche Ekstase unseres Ausgesetztseins ins Offene, […] Größere, | |
Weitere, Geräumigere – aber auch ins Kältere, Äußerliche, Ungeheure.“ D… | |
Seriösen unter den 40 Beiträgern der Sloterdijk-Festschrift sollte man | |
Nachfragen zu ihrer Peinlichkeitsschwelle beim Mitmachen nicht ersparen. | |
Als Eintrittskarte in Sloterdijks geschützte Werkstatt legte Jongen 1998 | |
ein 300-Seiten-Buch über das „Wesen spiritueller Erkenntnis“ vor, das noch | |
ganz ohne „Sloterdijk-Essenz“ auskam und sich mit einem kräftigen | |
Esoterik-Kondensat begnügte. Das Ziel von Jongens „Reise ins Innere des | |
Geistes“ (so der Untertitel) ist das „Mystische“ und die „archetypische | |
Ursprache in den Dingen selbst“ sowie die Welt von „Magie, Alchemie, | |
Astrologie“ – also alles, was dem „durchschnittlich getrübten Bewusstsei… | |
unzugänglich bleibt. Wie Sloterdijk 1979 nach Poona pilgerte, so reiste | |
Jongen später in den Osten – zur „unmittelbaren Quelle der Offenbarung“. | |
## Vollgepumpt mit Sloterdijk-Essenz | |
Angespornt von östlicher „Offenbarung“ und inzwischen vollgepumpt mit | |
„Sloterdijk-Essenz“, reichte Jongen 2009 seine Dissertation bei Sloterdijk | |
ein, die dieser mit „summa cum laude“ beurteilte, was nicht erstaunt, denn | |
das Thema der Arbeit war auch er selbst. In der Arbeit geht es auf 237 | |
Seiten um „Nichtvergessenheit. Tradition und Wahrheit im transhistorischen | |
Äon“, genauer: um „hermetische Gegenwartsdeutung im Anschluss an Motive bei | |
Leopold Ziegler und Peter Sloterdijk“ (ungedrucktes Typoskript). | |
Ziegler (1881–1958) war ein „aus Verzweiflung fromm“ (Jongen) gewordener, | |
christlich-esoterischer Philosoph. Er schrieb gegen den Kulturzerfall an | |
und näherte sich politisch der „konservativen Revolution“ der Brüder Ernst | |
und Georg Jünger. | |
Was die „hermetische Gegenwartsdeutung“ betrifft, so meint der Begriff | |
Hermetik eine in der Antike wurzelnde religiöse Offenbarungs- und | |
Geheimlehre, die sich auf Alchemie und andere okkultisch-esoterische | |
Praktiken stützt, die Sekten seit dem 17. Jahrhundert gegen Kritik, | |
Aufklärung und Humanismus propagieren. Hermetik sollte nach Jongen | |
aufklärende Hermeneutik „vertiefen und erweitern“, indem sie – „dem So… | |
Mütter“ folgend – das „Papierene“ über Bord wirft. | |
Ziegler bezog seine „vertieften“ Einsichten – wörtlich – aus „fern | |
raunendem Gemurmel“ und beschwor „eine neue Dreifaltigkeit“ aus „Techni… | |
Ökonomik und Magie“, durch die „irgendwie ein höherer Mensch“ entstehen | |
sollte – ein „Selbstbefreier, Selbsterretter, Selbsterlöser“ (Ziegler). | |
Auch eine Quelle für Sloterdijks „Menschenpark“-Fantasien von 1999! Auf | |
Zieglers „vorgeburtliche Ideenschau“ (Jongen) wollte sich Sloterdijk nicht | |
mehr einlassen, obwohl er sich auch mal an die eigene Geburt erinnern und | |
diese im „körperlichen Gedächtnis behalten“ haben will (Frankfurter | |
Rundschau vom 30. 6. 2001). | |
Den Budenzauber von Zieglers „Selbsterlösung“ relativierte Sloterdijk zur | |
„Vertikalspannung“, dank der Menschen zum Höheren und Trüberen gelangen, | |
wenn sie sich „von den alten gnostischen Fragen“ inspirieren lassen, wie | |
sein Famulus Jongen meint. Sloterdijk bekannte, er wolle „das, was die | |
heiligen Schriften und altehrwürdigen Regeln von sich aussagen, in einer | |
dicht anschließenden Alternativsprache noch einmal sagen“. | |
## Guru-Philosophie | |
Das ist das Geschäftsmodell aller Guru-Philosophie, denn das Nach- und | |
Abarbeiten an hermetischen Schriften erzeugt nach Jongen „Primärliteratur“ | |
auch dort, „wo Texte der Überlieferung“ nur kommentiert werden. Bei | |
Sloterdijk ist das Produkt dieses parasitär-epigonalen Herumtreibens das | |
dreibändige, mit Metaphern intonierte Sphärengemurmel, das der Scharlatan | |
seit 30 Jahren auf Tausenden von Seiten geschäftstüchtig als „magische | |
Bewusstseinsevokation“ in die Ohren einer Sekte von „Wahrheitssuchern“ | |
(Jongen) eintröpfeln lässt wie ehedem Bhagwan seine Weisheiten in die | |
seinen – allerdings nicht mehr nach einem Tauchgang in den „Ozean der | |
Seele“, wie einst Ziegler, sondern als risikolos rückversicherter | |
Staatsbeamter schwadronierend – mit Hilfe des Suhrkamp-Verlags. | |
Während Ziegler und Jongen darauf bestanden, jenseits des „gewöhnlichen | |
Wachbewusstseins“ sozusagen „nach drüben“ geschielt zu haben, bescheidet | |
sich Sloterdijks – marktorientiert und „gut asiatisch“ – damit, nur „… | |
Empfangsstation für die Signale des Zeitgeistes“ (Jongen) zu sein. Dass | |
Jongen auch unter dem Einfluss von Sloterdijks Sphären-Gemurmel bei der AfD | |
anheuerte, ist nicht zwangsläufig der Fall, aber von hoher Plausibilität – | |
ganz ohne eine Sippenhaft von Doktorvater und -sohn zu unterstellen. | |
27 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Walther | |
## TAGS | |
Peter Sloterdijk | |
Lesestück Meinung und Analyse | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
Philosophie | |
Marc Jongen | |
Esoterik | |
Philosophie | |
Peter Sloterdijk | |
Medizin | |
Rechtspopulismus | |
Peter Sloterdijk | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
Schwerpunkt Landtagswahlen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Teurer Blick in die Zukunft: Strafbefehl für Hellseherin | |
Wegen Betruges soll eine Hamburgerin Schadensersatz zahlen. Sie hatte einer | |
Frau 322.000 Euro abgeknöpft – für ein bisschen spirituelle Energie. | |
Philosophieren in Österreich: Wir kommen von Gott nicht los | |
Im österreichischen Lech trafen sich zum 20. Mal beim Philosophicum | |
hochrangige Denker. Sie debattierten über „Gott und die Welt“. | |
Sloterdijks „Das Schelling-Projekt“: Eine Bejahung der Körperlichkeit | |
Peter Sloterdijk schreibt über die weibliche Sexualität. Wer die | |
68er-Bewegung miterlebt hat oder verstehen will, sollte seinen Roman lesen. | |
Prozess gegen Pseudoarzt: „Medizinmann“ auf Kreuzfahrtschiff | |
Der Krankenpfleger Denny H. gab sich als Arzt aus und behandelte Patienten | |
auf einem Kreuzfahrtschiff. Weil er zu eitel war, flog er auf. | |
Rechtsruck beim Magazin „Cicero“: Ein neuer Ton | |
Seit Beginn der Flüchtlingsdebatte nähern sich Texte des „Cicero“ dem | |
rechten Rand. Was ist passiert mit dem Debatten-Magazin? | |
Kolumne Gott und die Welt: Vielvölkerstaat Deutschland | |
Verschwörungstheorien haben Konjunktur – auch in der Zeitschrift „Cicero�… | |
Dort sinniert Gertrud Höhler über Merkels „Masterplan“. | |
AfD-Parteitag im Schwabenland: Testament der Angst | |
Die Südwest-AfD verabschiedet ihr Wahlprogramm und wirbt um verängstigte | |
Bürger. Sie wettert gegen „Asylchaos“ und ist für Grenzzäune. | |
AfD und Alfa vor der Landtagswahl: Getrennt marschieren | |
In Baden-Württemberg streiten die AfD und ihre Abspaltung Alfa, wer das | |
Original ist. Beide haben schlechte Aussichten bei der Wahl. |