# taz.de -- Die kurdische Peschmerga im Nordirak: Alles unter Kontrolle? | |
> Die Bundeswehr bildet kurdische Peschmerga im Kampf gegen den IS aus – | |
> und liefert Waffen. Ein Besuch am Schießstand. | |
Bild: Kurdische Peschmerga bei der Ausbildung durch die Bundeswehr in Erbil | |
Erbil/Berlin taz | Oberfeldwebel Eggi ist ein bisschen genervt. „No, no, | |
no! Das haben wir doch jetzt schon hundertmal geübt“, sagt er. „Noch mal! | |
Again! Dîsa!“ Die Peschmergakämpfer gehen mit hängenden Köpfen und Gewehr… | |
zurück auf ihre Ausgangsposition. | |
Eggi, wie ihn seine Kameraden nennen, steht breitbeinig in den grünen | |
Hügeln am Stadtrand von Erbil im Nordirak. Aus Sicherheitsgründen will er, | |
wie alle Soldaten, nur mit Vornamen zitiert werden. Er trägt Uniform und | |
Schutzweste, sein Bart sieht aus wie frisch gekämmt, seine Haare über dem | |
Undercut sind ordentlich zurückgegelt. | |
Eggi sieht sich um: Vor ihm steht eine Gruppe von Peschmerga, manche haben | |
die Hände in den Hosentaschen, andere lümmeln im Gras. Anders als Eggi | |
tragen die Peschmerga keine Weste. „Die sind die schwere Weste nicht | |
gewohnt, und die Alten kriegen schnell Rücken“, sagt Eggi. | |
Wenn er die Peschmergatruppe anschaut, sieht er noch eine Menge Arbeit. | |
Eggis Chefin, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, sieht die | |
größte Hoffnung im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS). Deshalb | |
liefert die Bundesregierung ihnen Waffen – von denen einige auf dem | |
Schwarzmarkt aufgetaucht sind. Deshalb bildet die Bundeswehr die kurdische | |
Peschmergaarmee aus. | |
## Keine Übersetzer, kein Sold | |
Hier, auf dem Truppenübungsplatz der Peschmerga, sollen Eggi und 149 andere | |
deutsche Soldaten den kurdischen Kämpfern den Häuserkampf beibringen. Die | |
Soldaten haben dafür auf der Wiese mit rot-weißem Flatterband ein Quadrat | |
abgeteilt, das den Grundriss eines Hauses darstellen soll. Fünf Peschmerga | |
sollen einen Raum stürmen, der von zwei IS-Kämpfern besetzt ist. | |
Eggi gibt Zeichen, packt die kurdischen Kämpfer an den Schultern, zeigt | |
ihnen, wie sie das Gewehr halten sollen, und schiebt sie hin und her. | |
„Gut“, sagt er und hebt vorsichtshalber noch den Daumen. „Dîsa!“, noch… | |
Ein paar kurdische Worte hat er mittlerweile gelernt. Die Peschmerga | |
stürmen wieder auf das Flatterband zu. | |
Zehn Wochen dauert die Ausbildung einer Peschmergaeinheit durch die | |
Bundeswehr, eigentlich. Schießen, bewegen im Feld, Schützengräben, | |
Verhalten bei Chemieangriffen, Häuserkampf. Infanterieausbildung im | |
Schnelldurchlauf. Aber die Ausbildung verzögert sich. | |
Schon die ganze Woche können sich Eggi und die Peschmerga fast nur mit | |
Gesten unterhalten. Die Übersetzer streiken, wieder einmal. Seit Monaten | |
haben sie keinen Sold bekommen, auch die Peschmergakämpfer selbst nicht. | |
Die Zentralregierung in Bagdad weigert sich, sie zu bezahlen. Deshalb endet | |
die Ausbildung bereits um 14 Uhr, damit die Kämpfer am Nachmittag Zeit | |
haben zu arbeiten. Auch viele der Kämpfer an der Front müssen nach ein paar | |
Wochen zurück nach Hause, um Geld zu verdienen. | |
## Was folgt aus der deutschen Unterstützung der Kurden? | |
Es gibt viele Gründe dafür, dass der Sold ausbleibt: Der Krieg gegen den IS | |
geht ins Geld, der niedrige Ölpreis hat die Einnahmen der rohstoffreichen | |
kurdischen Region gedrückt. Die kurdische Autonomie- streitet mit der | |
Zentralregierung in Bagdad, die die Zahlung verweigert. Auch alle anderen | |
kurdischen Regierungsbeamten warten seit Monaten auf ihren Lohn. Die Kurden | |
sprechen bereits von einer Wirtschaftskrise. | |
Vordergründig geht es in dem Streit zwischen Bagdad und Erbil um die Frage, | |
wer welchen Anteil aus den Öleinnahmen erhält. Doch eigentlich geht es um | |
etwas Größeres: Entsteht da im Norden des Irak, hinter den Schützengräben | |
an der IS-Front, gerade ein kurdischer Staat? | |
Und die Frage ist auch: Beschleunigt die Bundesregierung mit der | |
Unterstützung der Kurden den Konflikt des Irak? | |
Seit anderthalb Jahren bildet die Bundeswehr Kämpfer der Peschmerga im | |
Nordirak aus, Deutschland liefert Waffen und Ausrüstung: nicht nur | |
Gulaschkanonen, auch G36-Sturmgewehre oder panzerbrechende Raketenwerfer. | |
## Keine Kontrollen vorgesehen | |
Im Januar wurde Kritik an den Waffenlieferungen laut: NDR-Journalisten | |
hatten mit versteckter Kamera auf einem Schwarzmarkt bei Erbil gefilmt, | |
dort waren deutsche Waffen aufgetaucht. Peschmergasoldaten hatten ihre | |
Gewehre verkauft, um fehlenden Sold auszugleichen oder die Flucht nach | |
Europa zu bezahlen. Mitarbeiter von Jan van Aken, einem Rüstungsexperten | |
der Linkspartei, haben die Recherchen mit angestoßen, nachdem sie in einem | |
Fernsehbeitrag von Al-Dschasira deutsche Waffen entdeckt hatten. Van Aken | |
sagt, auch seine Leute hätten auf dem Schwarzmarkt Waffen gefunden. | |
Die Bundesregierung bestellte nach dem Fernsehbericht den kurdischen | |
Vertreter in Berlin ein. Der Einsatz ist in Deutschland umstritten, die | |
Waffenlieferung in ein Krisengebiet ein Tabubruch. Wirtschaftsminister | |
Sigmar Gabriel steht beim Thema Waffenexporte unter Druck. Er war als | |
Minister mit dem Ziel angetreten, die Ausfuhren zu senken, und bricht jetzt | |
alle Rekorde. | |
Im März hat das Kabinett deshalb eine Verordnung erlassen, die sogenannte | |
Post-Shipment-Kontrollen ermöglicht. Nun soll es bei allen Rüstungsexporten | |
möglich sein, dass deutsche Beamte vor Ort kontrollieren, was mit den | |
Waffen passiert. Doch diese Kontrollen sind optional. In den Ministerien | |
scheint auf Nachfrage zunächst niemand zu wissen, wie sie aussehen sollen | |
und wer verantwortlich ist. | |
Die Bundesregierung will derweil weitere Waffen an die Kurden liefern: | |
4.000 G36-Gewehre sind für 2016 geplant, dazu 200 | |
„Milan“-Panzerabwehrraketen und fünf „Dingo“-Fahrzeuge. Für die näch… | |
Lieferung sind keine Kontrollen vor Ort vorgesehen. Das bestätigte ein | |
Sprecher des Verteidigungsministeriums der taz. | |
## Shorsh wundert sich über fehlende Kontrollen | |
Doch wenn es bei einem Rüstungsexport in ein Bürgerkriegsland, in dem | |
bereits deutsche Waffen verschwunden sind, keine Kontrollen gibt – wann | |
dann? Weiß die Bundesregierung, was sie da tut? | |
Shorsh jedenfalls wundert sich – darüber, dass sie die Waffenkontrolle | |
nicht so handhabt wie die Amerikaner. Shorsh ist der einzige Peschmerga, | |
der im aktuellen Ausbildungslehrgang der Bundeswehr in Erbil Deutsch | |
spricht, das macht ihn zu einem gefragten Mann. | |
Wenn die deutschen Soldaten seinen fränkischen Dialekt hören, müssen sie | |
kurz lachen. Shorsh lächelt, wenn man ihn auf seinen Namen anspricht: „Das | |
ist praktisch, das verstehen auch die Deutschen.“ 2007 ging Shorsh nach | |
Würzburg, er erhielt Asyl, weil er im Krieg gegen Saddam mit amerikanischen | |
Soldaten kämpfte. Stolz zeigt er seine AOK-Karte und seine EC-Karte der | |
Sparkasse. „Ich habe bei Burger King und bei Tengelmann gearbeitet“, sagt | |
er. Als der IS 2014 Mossul einnahm und auf Shorshs kurdische Heimat | |
vorrückte, ging er zurück, um wieder mit den Peschmerga zu kämpfen. | |
„Ich lerne hier viel“, sagt Shorsh über die Ausbildung. „Wie man auf fre… | |
Feld läuft, wie man Häuser einnimmt.“ Auch seine Uniform hat er von den | |
westlichen Verbündeten gekriegt. „Wir haben gute Waffen von den Deutschen | |
bekommen“, sagt er. Was fehle, sei der Sold. Nach zwei Monaten an der Front | |
kehrt er nach Hause zurück, um als Elektriker zu arbeiten. Er muss Geld | |
verdienen für seine Tochter, sie ist sieben Monate alt. | |
Shorsh erzählt gern Geschichten von der Front. Zum Beispiel, als sie ein | |
Dorf stürmten, das vom IS kontrolliert wurde. Über ihnen Flugzeuge, vor | |
ihnen leere Häuser, darin versteckt: der IS. Dann stand dort am Straßenrand | |
ein Opel, die Marke weiß er noch genau. Das Auto explodierte, nur wenige | |
Meter entfernt. Shorsh hielt sich die Ohren zu, tagelang habe er nur ein | |
Pfeifen gehört. Drei Kameraden wurden zerfetzt, erzählt er, und falls es | |
ihn berührt, diese Geschichte zu erzählen, versteckt er es gut unter seiner | |
Schirmmütze. „Bei uns sterben viele Kämpfer, wir haben schon 1.500 Tote und | |
5.000 Verletzte“, sagt er. Shorsh hofft, dass das jetzt besser wird, weil | |
die Deutschen ihnen beibringen, wie man Sprengfallen erkennt und | |
entschärft. | |
## Waffen nur gegen Fingerabdruck? | |
Shorsh hat von der Bundeswehr auch das Schießen mit dem US-amerikanischen | |
Maschinengewehr M16 gelernt. Mit dem deutschen Sturmgewehr G36 hat er auch | |
schon gekämpft, die verschwundenen Waffen spricht er von sich aus an. „Es | |
gab Berichte in unseren Zeitungen und im Fernsehen.“ | |
Die deutschen Soldaten in Erbil werden bei dem Thema schweigsam. „Das ist | |
eine politische Frage. Unsere Aufgabe hier ist die Ausbildung der | |
Peschmerga“, sagt der zuständige Presseoffizier Hagen Messer knapp. Wir | |
sind nicht zuständig, heißt das. | |
In Gesprächen unter vier Augen hört man jedoch wenig Verständnis für die | |
Aufregung in Deutschland: Bei einer Lieferung von mehreren Tausend Gewehren | |
gingen ein paar Waffen auch mal verloren. Darüber dürfe man sich nicht | |
wundern bei einer Miliz, bei der jeder Kämpfer seine Waffe mit nach Hause | |
nehme. | |
Shorsh dagegen versteht nicht, warum die Deutschen es mit ihren Waffen | |
nicht machen wie die Amerikaner. „Die geben uns die Waffen nur persönlich, | |
mit Fingerabdruck“, sagt Shorsh. Der kurdischen Regionalregierung traut er | |
nicht: „Man darf die Waffen nicht einfach denen da oben geben.“ | |
Statt die Waffenabgabe an die Peschmerga zu kontrollieren und die Waffen | |
einzelnen Kämpfern zuzuordnen, übergab Deutschland die Waffen an die | |
kurdische Regierung. Man schickte die Container, gab eine kurze Anweisung, | |
übergab die Schlüssel und sah die Sache als erledigt an. | |
## Nur 17 Waffen verkauft? „Das ist naiv“ | |
Nach den Medienberichten über verschwundene Waffen musste die Bundeswehr | |
zugeben, dass sie nicht einmal wusste, an welche Einheiten der Peschmerga | |
ihre Waffen geliefert wurden. Auch auf deutschen Druck hin musste die | |
kurdische Regionalregierung einen Bericht erstellen. | |
Im März hat sie diesen vorgelegt. Ihm zufolge sind 88 von über 20.000 | |
deutschen Waffen verloren gegangen, mehr als die Hälfte davon im Kampf an | |
der Front gegen den IS. Verkauft worden seien nur 17 Waffen. Zehn Kurden | |
seien wegen der Waffenverkäufe inhaftiert worden. Problem gelöst? | |
Jan van Aken, Rüstungsexperte der Linken, glaubt dem Bericht der Peschmerga | |
nicht: „Was sollen die auch sonst schreiben?“ Da die Peschmerga weitere | |
Waffenlieferungen gewollt hätten, sei der Bericht „extrem | |
interessengeleitet“. Viermal seien seine Mitarbeiter und NDR-Journalisten | |
auf dem Waffenschwarzmarkt gewesen und immer fündig geworden – dann sollen | |
„nur 17 Waffen insgesamt verkauft worden sein?“, fragt er. Van Aken ärgert, | |
dass die Bundesregierung nicht nachforsche: „Das ist bewusste Naivität.“ | |
Jan van Aken sieht viele Möglichkeiten, Kontrollen vor Ort zu ermöglichen: | |
Die größeren Waffen wie die panzerbrechenden „Milan“ könne man mit Chips | |
zur Ortung ausstatten, bei den G36-Gewehren könne man zumindest die | |
Waffenkisten nachverfolgen. Eigentlich ist van Aken aber prinzipiell gegen | |
die Waffenlieferung – und gegen die Ausbildungsmission. „Die langfristigen | |
Folgen sind fatal“, sagt er. „Das ist direkt gerichtet gegen die | |
Ein-Irak-Politik.“ | |
## In Badelatschen zur Ausbildung | |
Es fängt an zu nieseln im Ausbildungscamp in Erbil. Oberfeldwebel Eggi | |
runzelt die Stirn. Fast alle Peschmergakämpfer haben nur eine einzige | |
Uniform. Damit sie morgen weitermachen können, soll sie nicht durchnässt | |
werden. „Wenn der Regen stärker wird, müssen wir abbrechen“, sagt Eggi. D… | |
gefiele ihm gar nicht. | |
Er sagt zwar: „Ich bin beeindruckt, wie motiviert die sind.“ Am Ende einer | |
Einheit des ABC-Trainings hätten sie in Schutzanzügen dagestanden und | |
geklatscht – in Deutschland undenkbar. Aber das heiße nicht, dass es nicht | |
viel zu tun gäbe. | |
Die Peschmerga haben einen guten Ruf im Kampf gegen den IS. In den | |
zerfallenen Staaten Syrien und Irak sind sie die einzigen Bodentruppen und | |
die einzige regionale Kampfpartei weit und breit, mit der der Westen ohne | |
Zweifel zusammenarbeiten will. Andererseits sagt ein deutscher Offizier: | |
„Manche von ihnen kommen in Badelatschen zur Ausbildung.“ Solange niemand | |
Bodentruppen schicken will, sind diese Kämpfer in Badelatschen die größte | |
Hoffnung im Kampf gegen den IS. | |
Die Peschmerga gelten als kampferfahren, haben aber keine militärische | |
Ausbildung. „Die liegen auf dem Hügel und rotzen das Magazin leer“, sagt | |
ein Soldat. Deswegen sei es so wichtig, die Kämpfer auch taktisch zu | |
schulen. „Im Kampf in den Bergen sind die Kurden erprobt, der Häuserkampf | |
ist für sie neu.“ | |
Zudem hat der gute Ruf der Peschmerga zuletzt gelitten: Human Rights Watch | |
und Amnesty International berichten, dass kurdische Kämpfer mehrfach | |
arabische Einwohner aus ihren Häusern vertrieben hätten. Die kurdische | |
Regierung weist die Vorwürfe zurück: Es seien nur Dörfer geräumt worden, | |
die im Gebiet des Kampfes gegen den IS lagen oder deren Einwohner mit den | |
Terroristen zusammengearbeitet hätten. Manche Beobachter halten die | |
Räumungen für eine späte Rache der Kurden für die Leidensjahre unter Saddam | |
Hussein. Dieser ließ die Kurden verfolgen, verbot die kurdische Sprache und | |
ließ die kurdischen Gebiete durch Vertreibungen und Neugründungen von | |
Dörfern nach und nach arabisieren. | |
Jan van Aken ist als Linker immer für einen kurdischen Staat gewesen. Seit | |
sich aber die Peschmerga 2014 aus dem Sindschargebirge zurückgezogen und | |
die Jesiden sich selbst überlassen hätten, habe er Zweifel. Er war mehrfach | |
zu Besuch im Nordirak. Er war mit Peschmergakämpfern an der Front und hat | |
menschenleere arabische Dörfer gesehen. Ein Offizier habe ihm gesagt, dass | |
die Einwohner alle mit dem IS unter einer Decke gesteckt hätten. Möglich | |
sei das, sicher sei er sich nicht. Heute hofft er, dass es eine föderale | |
Zukunft für den Irak gibt, mit regionaler Autonomie für die Kurden, aber | |
ohne eigenen Nationalstaat. | |
## Dilshad Barzani, Lobbyist für Waffenlieferungen | |
Dilshad Barzani ist Jan van Akens Gegenspieler: einer der größten | |
Lobbyisten für deutsche Waffenlieferungen an die Kurden. Als im Januar die | |
Berichte über die verschwundenen Waffen auftauchten, hatte er viel | |
Überzeugungsarbeit zu leisten. Er ist der Vertreter der kurdischen | |
Autonomieregierung in Deutschland und Bruder des kurdischen Präsidenten. | |
Barzani wurde ins Auswärtige Amt einbestellt, um sich für die | |
verschwundenen Waffen zu rechtfertigen. „Ganz schön peinlich“ sei das | |
gewesen, sagt er. „Wir müssen uns bei Deutschland für die Waffen bedanken�… | |
beginnt er, ganz Diplomat, das Gespräch mit der taz. Er erzählt, dass die | |
Waffen einen ungewollten Effekt gehabt hätten: „Viele kurdische Babys | |
heißen jetzt Milan“, benannt nach den deutschen Panzerabwehrraketen. | |
Barzani findet den Verlust der Waffen „sehr bedauerlich“. Aber wenn man | |
nachbohrt, wird sein Ton schärfer. „Wir sind die Einzigen, die sich dem IS | |
entgegenstellen“, sagt er. Es sei „unverschämt“, wenn die Deutschen alles | |
genau unter die Lupe nähmen. „Wir zahlen dafür mit unserem Blut.“ Auch in | |
Afghanistan oder in einer deutschen Kaserne komme mal eine Waffe abhanden. | |
Dass alle sauber wären, „das gibt es selbst in Deutschland nicht“. Barzani | |
wohnt lange genug in Berlin, um ein Beispiel zu haben: „Das sieht man doch | |
auch am BER.“ | |
Man müsse sehen, wie viele Waffen im Nahen Osten rumliegen, sagt Barzani am | |
Telefon. Der Nahe Osten sei ein Selbstbedienungsladen: „Da kommt man | |
leichter an eine Waffe als an ein Pflaster für eine Wunde.“ | |
In diesem Selbstbedienungsladen füllt Deutschland die Regale auf. Die | |
deutsche Entscheidung, nur Waffen und Ausbilder zu schicken, bedeutet | |
nicht, dass die Deutschen in diesem Krieg sauber blieben. | |
Andererseits: Kann es schlecht sein, wenn Männer wie Shorsh nicht mehr in | |
die Luft gesprengt werden, weil ihnen deutsche Soldaten beigebracht haben, | |
wie man eine Sprengfalle entdeckt und entschärft? | |
## Bis wann geht der deutsche Einsatz im Irak? | |
Auf dem Übungsplatz wird der Regen stärker, in Erbil geht der | |
Ausbildungstag für die Peschmerga vorzeitig zu Ende. Shorsh muss arbeiten | |
und nach Hause zu seiner Tochter. Eggi wird den Nachmittag auf der | |
Hantelbank im Fitnesscenter des deutschen Lagers verbringen. Wie lange ihr | |
Einsatz dauern wird, weiß keiner der beiden. Gerade hat der Bundestag den | |
Einsatz bis Ende Januar 2017 verlängert. Im Lager der Bundeswehr geht man | |
davon aus, dass man länger bleiben wird. | |
Presseoffizier Messer, ein freundlicher Mann mit Kaiser-Wilhelm-Bart, | |
bringt den deutschen Besuch im gepanzerten Jeep zurück zum Hotel. Er ist | |
der Mann für diplomatische Antworten. Mit Ratschlägen an die Kurden halte | |
man sich zurück: „Das ist ja nicht unser Kampf. Wir sehen uns in der | |
Ausbildung als Dienstleister der Kurden.“ Messer erzählt auch, dass sich | |
die deutschen Soldaten Mühe gäben, nie von Kurdistan, sondern immer nur von | |
der „kurdischen Region“ zu sprechen. | |
Doch diese Sprachregelungsdiplomatie täuscht nicht darüber hinweg, dass die | |
Bundesregierung sich mit ihrer Entscheidung, im Kampf gegen den IS auf die | |
Peschmerga zu setzen, auch positioniert hat im Konflikt zwischen der | |
Autonomieregierung in Erbil und der Zentralregierung in Bagdad – aufseiten | |
der Kurden. Die irakische Armee erhielt keine deutschen Waffen. | |
Die Peschmerga haben beim Kampf gegen den IS auch vormals nicht kurdisch | |
regierte Gebiete eingenommen: etwa Kirkuk, das Zentrum der irakischen | |
Ölindustrie. Sollte der IS einmal besiegt sein, wird sich der Konflikt | |
zwischen Bagdad und Erbil noch verschärfen. Dann werden die Kurden ihre | |
Autonomie verteidigen. Auch mit deutschen Waffen. | |
24 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Kersten Augustin | |
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