| # taz.de -- Kolumne Der rote Faden: Doof geboren ist keiner | |
| > Böhmermann, Veganismus, Krieg: Raus aus dem Erregungskreisel und einfach | |
| > mal konstruktiv denken. Schwierige Sache. | |
| Bild: Landschaft mit Pferd: Endlich mal was Erbauliches | |
| Mitte der Woche gab es diesen gefühlten Hänger: Die Causa | |
| Böhmermann/Erdoğan war in sämtliche Richtungen aufgefächert – | |
| Satirefreiheit, Schahparagraf, Merkels Dilemma –, allerdings fehlte die | |
| Auflösung. Die Bundesregierung bat um Zeit, Böhmermann selbst sagte auch | |
| nichts mehr, dafür griente Didi Hallervorden mit geblecktem Gebiss: | |
| „Erdoğan, zeig mich an.“ Die Luft war raus. | |
| Dass die „Ernährungskreis“-Essensoberlehrer von der Deutschen Gesellschaft | |
| für Ernährung („5 am Tag!“) vor fahrlässigem Veganismus warnten, barg au… | |
| keinen diskursiven Zündstoff. Während die einen schon immer gewusst hatten, | |
| dass Sojaschnitzel und Fake-Käsekruste aus Mandelmus nicht gesund sein | |
| können, sahen die anderen die Fleischlobby am Werk. So weit, so erwartbar. | |
| Für einen Windstoß sorgte Maren Urner, die beim taz-Mittwochsclub | |
| eingeladen war, um über „konstruktiven Journalismus“ zu sprechen. | |
| Konstruktiver Journalismus, yeah! Einfach mal zwischen zwei | |
| Erregungskreiseln rausspringen aus der Medienmühle und sagen: Stopp. | |
| Schluss mit dem Alarmismus und dem Katastrophengeunke. Wir lassen jetzt mal | |
| Syrien in Syrien und Panama in Panama und schreiben über Dinge, die uns | |
| wirklich weiterbringen, nämlich über: Äh. | |
| Es müssen schon schlimme Berufsdeformationen vorliegen, wenn die Fantasie | |
| bei der bloßen Vorstellung von „Konstruktiv-Sein“ nur hämisch Bilder von | |
| pastelligen Landlustfantasien und harmlosen Reportagen aus dem | |
| Gemeinschaftsgarten produziert. Also hin zum Vortrag. | |
| ## Und jetzt alle zum Ignoranztest | |
| Maren Urner, Anfang dreißig, ist studierte Neurowissenschaftlerin und | |
| Gründerin des neuen Onlinemediums Perspective Daily. Dessen Anliegen | |
| offenbar kein Geringeres ist, als die Welt zu einem besseren Ort und die | |
| Menschen glücklich zu machen – mittels konstruktiver Artikel. Ein Teil von | |
| mir möchte sofort den Saal verlassen. Ein anderer Teil ist neugierig. | |
| Kurzer Test für die Anwesenden: Wie ist es um unsere Sicht auf die Welt | |
| bestellt? Naturkatastrophen, Analphabetismus, Kindersterblichkeit – ist es | |
| schlimm? Schon, sagen wir. Nicht halb so schlimm wie gedacht, sagt die | |
| Statistik. Der Ignorance Test, erdacht vom schwedischen | |
| Gesundheitswissenschaftler Hans Rosling, beweist: Wir sehen die Welt zu | |
| negativ. Und warum? Weil wir unsere Informationen aus den Massenmedien | |
| beziehen, die auf bad news entertainment gepolt sind. Urner sagt, dass | |
| derart gefütterte MedienkonsumentInnen in einen Zustand „gelernter | |
| Hilflosigkeit“ verfielen. Stress, Lethargie, Zynismus. | |
| Ist ja furchtbar. Zum Glück folgt gleich das Konstruktive: „Das Reden über | |
| Probleme schafft Probleme. Das Reden über Lösungen schafft Lösungen“, sagt | |
| ein Kalenderspruch, den Urner jetzt bei ihrer Laptop-Präsentation abspielt. | |
| Gäbe es nicht mindestens zwanzig andere im Raum, die ob dieser Plattitüde | |
| laut schnauben, hätte ich jetzt den Saal verlassen. Nun will ich aber schon | |
| wissen, wo das journalistische Gegengift herkommen soll, das den Leuten | |
| „empowerment und Vitalität“ schenkt, auf dass sie beglückt hinaus in die | |
| Welt schreiten und Gutes tun. | |
| Das Rezept, sagt Urner, die eigentlich überhaupt nicht spinnert wirkt, | |
| sondern recht sympathisch, bestehe nicht darin, Ungemach von der | |
| Leserschaft fernzuhalten. Oder nur Feelgood-Themen zu behandeln. | |
| Perspective Daily wolle in verträglicher Dosierung (ein Text pro Tag) den | |
| aktuellen Wissensstand – sämtliche JournalistInnen haben ihr Themengebiet | |
| an der Uni studiert – verabreichen. Die Texte sollten Zusammenhänge | |
| erklären und Lösungswege aufzeichnen. | |
| ## Kann man Konstruktiv-Sein lernen? | |
| Die Zusammenhänge des Syrienkriegs erklären. Machen wir doch auch. Oder | |
| zeigen, dass vegane Ernährung gesund sein kann, wenn man nur genug | |
| Nahrungsergänzungspillen dazu nimmt. Und was ist mit dem Jahrestag der | |
| Massenentführung nigerianischer Schulmädchen? Vielleicht müsste man darauf | |
| hinweisen, dass sie offenbar wenigstens nicht tot sind – es gibt ein Video, | |
| gedreht von ihren Peinigern, das sie vollverschleiert beim Beten zeigt. | |
| Ich weiß nicht, wie das gehen soll mit dem Konstruktiven. Obwohl: | |
| Vielleicht kann man das ja lernen. Kürzlich, in einer Anwandlung | |
| pädagogischer Verzweiflung über Feuerwehrmänner und Einhörner, kaufte ich | |
| den Kindern eine CD mit Liedern des Grips-Theaters: | |
| „Erika ist mies und fad / Doch Pappi ist Regierungsrat / Drum macht sie | |
| ganz bestimmt das Abitur / Peter ist gescheit und schlau / Doch sein Vati | |
| ist beim Bau / Drum geht er bis zur neunten Klasse nur.“ „Doof gebor’n ist | |
| keiner, doof wird man gemacht“, grölen jetzt die Kinder. Wenn das mal nicht | |
| konstruktiv ist. | |
| 16 Apr 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Nina Apin | |
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