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# taz.de -- Konstruktiver Journalismus: Berichte, die die Welt verbessern
> Konstruktiver Journalismus will Lösungen aufzeigen statt Probleme
> beschreiben. Mehrere Formate im arbeiten bereits damit. Funktioniert das?
Bild: Ist konstruktiver Journalismus der Regenbogen am dunklen Nachrichtenhimme…
Entertainertypen kommen auf Medientagungen stets gut an. Vielleicht weil
Journalisten angesichts der trüben Zukunftsperspektiven für ihren
Berufsstand froh sind über jegliche Form des Amüsements. Ulrik Haagerup hat
den Vorteil, dass er sogar ein bisschen singen kann, und deshalb gibt er im
Landesrundfunkhaus des NDR in Hamburg Zeilen aus der letzten Strophe von
Bob Dylans „The Times They Are a-Changin’“ zum Besten: „The slow one now
will later be fast / As the present now will later be past.“
Einige Besucher hängen tatsächlich an den Lippen des leicht guruhaft
performenden Dänen, aber dessen Aufforderung ans Auditorium mitzusingen
geht doch ins Leere. Es ist der 15. Februar, und der NDR hat zum ersten
„Constructive Journalism Day“ geladen.
Haagerup war bis zum Sommer 2017 Nachrichtenchef beim
öffentlich-rechtlichen Danmarks Radio, heute leitet er den neuen
Fachbereich für konstruktiven Journalismus an der Universität Aarhus. Er
hat ein Buch zum Thema geschrieben: „Constructive News: Warum 'bad news’
die Medien zerstören und wie Journalisten mit einem völlig neuen Ansatz
wieder Menschen berühren“.
Eine seiner Botschaften: Mehr Breaking News, kurzfristigere Deadlines,
schärfere Headlines – das Konzept, so auf den digitalen Wandel und sinkende
Einnahmen zu reagieren, sei fehlgeschlagen. Als Beispiel nennt Haagerup die
eskalierende Berichterstattung über Terroranschläge, die dazu beitrüge,
dass wir in Westeuropa uns heute maximal unsicher fühlen, obwohl wir doch,
verglichen etwa mit 1974, in verdammt sicheren Zeiten leben. Konkret
gesagt: 1974 gab es in Westeuropa 411 Tote bei Terroranschlägen, 2017
dagegen 32.
Seit einem halben Jahrzehnt gibt es immer wieder neue Aufmerksamkeitswellen
für konstruktiven Journalismus. Erst kürzlich hat der Guardian, einer der
Vorreiter des digitalen Journalismus, eine weitere ausgelöst, als er unter
dem Titel The Upside eine neue Reihe startete. Nach einem Pilotprojekt will
deren Redaktion hier ihre Anstrengungen im konstruktiven Journalismus
intensivieren. Die „Lawine der Schrecklichkeit“, die der nichtkonstruktive
Journalismus produziere, ermüde die Leute, sagt Mark Rice-Oxley, der
Projektleiter.
## Nicht nur Wohlfühljournalismus?
Während etwa der Guardian proklamiert, er konzentriere sich mit The Upside
auf Lösungen, sagt Maren Urner, lösungsorientierte Beiträge seien nur ein
kleiner Teil des konstruktiven Journalismus. Urner hat 2016 [1][das
Onlinemagazin Perspective Daily] gegründet, das nur einen Artikel pro Tag
veröffentlicht, der dann auch nahezu nie tagesaktuell ist.
Einig sind sich die Konstruktivisten aber darin, dass es ihnen nicht um
good news auf Teufel komm raus geht, nicht um Wohlfühljournalismus. Urner,
deren Redaktion von 13.000 Abonnenten finanziert wird, sagt, man – ein
Begriff, der in ihrem Magazin wegen des verschleiernden Charakters übrigens
verboten ist – wolle dem Mediennutzer seine „gelernte Hilflosigkeit“
abtrainieren und für dessen „Empowerment“ sorgen. Ein zentrales Element bei
einem Text spiele die Frage: „Wie kann es weitergehen?“ Die solle man sich
gleich zu Beginn der Arbeit an einem Beitrag stellen.
Seit Herbst 2017 gibt es auch ein TV-Format für konstruktiven Journalismus:
Plan B heißt die Reportagereihe, sie läuft samstags um 17.35 Uhr im ZDF.
Redaktionsleiter Christian Dezer sagt, der konstruktive Ansatz trage dazu
bei, dass man eine „jüngere Klientel“ erreiche, die auf einer „anderen
Ebene“ diskutiere. Konstruktiver Journalismus löse oft konstruktivere
Diskussionen aus.
Als Beispiel nennt er den Plan-B-Film „Die Multi-Kulti-Macher. Wie
Integration gelingen kann“, der über beispielhafte Projekte aus Stuttgart
und Mechelen berichtet. Die Diskussion auf Facebook sei erstaunlich
sachlich geblieben.
Zu den Themen, die beliebt sind im konstruktiven Journalismus, gehören
Maßnahmen gegen den Bevölkerungsschwund auf dem Land, für Regionalzeitungen
drängen sie sich geradezu auf. In der Plan-B-Reportage „Landlust statt
Landfrust – Wie sich Dörfer neu erfinden“ berichtet das ZDF über
crashkursartige Workshops im französischen Cantal, die mit dem urbanen
Leben fremdelnde Städter animieren sollen, sich eine neue Existenz auf dem
Land aufzubauen. Leider ist dieser Plan-B-Film – bei anderen ist das
ähnlich – derart mit Gute-Laune-Musik zugekleistert, dass man beim
Zuschauen zeitweilig von destruktiven Gefühlen übermannt wird.
Ein regelmäßiges Constructive-Journalism-Format im Radio ist Perspektiven,
mehrmals wöchentlich zu hören bei NDR Info. Die selten länger als vier
Minuten langen Reportagen laufen überwiegend in der Radio-Primetime, also
vor acht Uhr morgens. Es geht um nachhaltig produziertes Algenbier – „viel
Vitamin B12, wichtig für Veganer“ – oder Studenten der Universität
Osnabrück, die eine App entwickelt haben, die während Grippewellen
hilfreich sein kann und über die Erkrankte anonymisiert Symptome an das
Robert-Koch-Institut in Berlin übermitteln können. Als „eine Idee, wie man
die Welt ein Stückchen besser machen kann“, kündigt die Radio-Moderatorin
diese App an.
## Illusionen über Lösungen
Ein Stückchen Weltverbesserung ist natürlich immer drin. Offen bleibt aber
die Frage, ob man das Publikum so in die Illusion treibt, die ganz großen
Fragen wären lösbar, wenn man ganz viel selbst in die Hand nimmt. Eine
andere Kritik formuliert Klaus Beck, Professor für Publizistik- und
Kommunikationswissenschaft an der FU Berlin: „Lösungsorientierte
Berichterstattung“ steigere zwar die „Stimmung und die Lust auf mehr
Information“, konstatiert er. Dass sie „zu mehr Mitgefühl und Engagement
oder auch nur höherer Informiertheit führt“, sei dagegen wissenschaftlich
nicht zu belegen.
Anfangs hätten ihr Kollegen vorgeworfen, Perspective Daily betreibe
„Aktivismus“, sagt Maren Urner. Dazu muss man wissen, dass es Journalisten
gibt, die den Begriff „Aktivismus“ so aussprechen, als handle es sich um
eine Geschlechtskrankheit. Urner sagt dazu, die
Perspective-Daily-Berichterstattung über das Projekt arbeiterkind.de, das
Schülerinnen und Schüler aus Familien ohne Hochschulerfahrung zum
Studieren ermutigen will, dafür gesorgt habe, dass dessen Finanzierung auf
längere Zeit gesichert sei. „Wenn das bedeutet, dass wir Aktivismus
betreiben, dann bin ich gern Aktivistin“, sagt Urner. Aktivistischer
Journalismus ist möglicherweise ähnlich schwer zu definieren wie
konstruktiver Journalismus.
Wiederum eine andere Frage ist, ob der konstruktive Journalismus etwas dazu
beitragen kann oder will, dem fundamentalen Druck von rechts, denen sich
Journalisten in vielen europäischen Ländern derzeit ausgesetzt sehen, etwas
entgegenzusetzen. „Kann ein konstruktiver Journalismusansatz Parteien wie
die AfD aufhalten?“, hat der Branchendienst Meedia gerade Ulrik Haagerup
gefragt, den Dylan-Interpreten aus Aarhus. Seine Antwort: „Das Ziel eines
Journalisten sollte es nicht sein, irgendeine politische Bewegung zu
stoppen.“
Sagen wir es mal so: Der Journalist Kurt Tucholsky hätte die Frage anders
beantwortet.
30 Mar 2018
## LINKS
[1] /Konstruktiver-Journalismus/!5285278/
## AUTOREN
René Martens
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