| # taz.de -- Schriftstellerin über Ex-Jugoslawien: „Den Hass nicht akzeptiere… | |
| > Die Autorin Jelena Volić pendelt zwischen Belgrad und Berlin. Sie erzählt | |
| > von ihren Krimis, Diskriminierung und der Rückkehr von getrockneter | |
| > Paprika. | |
| Bild: Die Autorin fühlt sich heute in den neben Berlin auch in Belgrad zu Haus… | |
| taz.am wochenende: Frau Volić, Sie unterrichten Neue Deutsche Literatur in | |
| Belgrad, woher rührt Ihr Interesse für deutsche Sprache und Literatur? | |
| Jelena Volić: Ja, merkwürdig. Aber ich bin deutsche Staatsangehörige, seit | |
| fast dreißig Jahren. Ich bin in Belgrad geboren, habe in der Bundesrepublik | |
| studiert und promoviert und meinen Sohn zur Welt gebracht. Ich bin von | |
| Deutschland aus dann für die Friedrich-Ebert-Stiftung nach Belgrad gegangen | |
| und war auch für die Heinrich-Böll-Stiftung tätig. Wahrscheinlich die | |
| einzige Person, die gleichzeitig für beide gearbeitet hat; in der Zeit der | |
| rot-grünen Regierungskoalition. | |
| Und heute? | |
| Pendle ich zwischen Belgrad und Berlin und arbeite für die Gesellschaft für | |
| Internationale Zusammenarbeit (GIZ) an einem Projekt über deutsch-serbische | |
| Kulturbeziehungen. Belgrad und Berlin sind für mich sehr nahe beieinander. | |
| Sie verfassen Ihre Kriminalromane zusammen mit Christian Schünemann. Haben | |
| sie eine definierte Arbeitsteilung? | |
| Christian und ich kennen uns seit 30 Jahren. Er spricht auch Serbisch, | |
| Serbo-Kroatisch, oder wie man es nennen mag. Er ist polyglott, wir | |
| vertrauen uns. Ich brauche seine Brille, den Filter, den distanzierten | |
| Blick. Ich profitiere von unserer Zusammenarbeit sehr stark. | |
| Recherchieren Sie gemeinsam in Serbien oder im Kosovo, wo Ihr jetziger | |
| Roman „Pfingstrosenrot“ aktuell spielt? | |
| Ja, das machen wir. | |
| Sie haben für Ihre Romane die Privatermittlerin Milena Lukin erschaffen. | |
| Was ist das für eine Frau? | |
| Durch Kriminalromane lassen sich komplizierte Sachverhalte spannend und | |
| authentisch ausdrücken. Über die Figur der Milena Lukin können wir | |
| deutschsprachigen Lesern den Balkan näherbringen. In der Bundesrepublik gab | |
| es viele „Gastarbeiter“ aus dem früheren Jugoslawien. Es lag nahe, eine | |
| Frau wie Milena Lukin zu schaffen. In Belgrad geboren, in Deutschland | |
| gelebt, lassen wir sie als Rechtswissenschaftlerin auftreten und am | |
| Institut für Kriminologie internationales Kriminalrecht in Belgrad | |
| unterrichten. | |
| Eine realistische Person für Belgrad? | |
| Ich finde schon. Es gibt sehr selbstbewusste und unabhängige Frauen in der | |
| serbischen Gesellschaft. Serbien ist auch ein Land der starken Frauen. Ich | |
| kenne viele und gerade auch mit diesem internationalen Hintergrund. | |
| Milena Lukin versucht im aktuellen Kriminalroman den Mord an einem | |
| serbischen Rückkehrerehepaar im Kosovo aufzuklären. Ein symptomatischer | |
| Fall für Politik und Verbrechen in den 2000er Jahren? | |
| Unsere Szenarien beruhen auf wirklichen Verbrechen, die nicht aufgeklärt | |
| wurden. Wir benutzen Kriminalfälle und spinnen eine fiktive Geschichte | |
| darum, so wie wir uns vorstellen, dass es gewesen sein könnte. | |
| Ausgangspunkt der Handlung sind Betrügereien um EU-Gelder und Immobilien | |
| Vertriebener. Eine zwielichtige Rolle spielt dabei das serbische | |
| „Kosovo-Ministerium“, gibt es diese Behörde wirklich? | |
| Nicht mehr, es wurde nach und nach herabgestuft. Vom Ministerium, zur | |
| Staatskanzlei, zur Agentur und jetzt zu einer Kommission. Um 2010 war es | |
| aber noch ein Ministerium im Palast für Jugoslawien. Und da setzt unser | |
| Roman zeitlich an. | |
| Sie lassen Ihre Ermittlerin von Belgrad in den Kosovo reisen. Sind | |
| Autofahrten mit Belgrader Kennzeichen in den albanischen Kosovo immer noch | |
| so riskant, unternimmt man diese im wirklichen Leben? | |
| Man wagt das. Und es ist auch ein Statement. Man darf den Hass nicht | |
| akzeptieren. Dieser steckt als Möglichkeit auch in anderen Gesellschaften, | |
| die gerade noch ganz friedlich wirken. Das sollte man nie übersehen. | |
| Genauso, wie man als Mensch aus Belgrad im Kosovo auf große | |
| Gastfreundschaft treffen kann. | |
| Aber nicht nur, wie man in Ihrem Krimi erfährt. Ihre „Helden“ sind | |
| nichtnationalistische Serben oder Albaner, die als Privatpersonen | |
| Verbrechen aufklären. Haben Sie so etwas wie Sehnsucht nach dem früheren | |
| Jugoslawien? | |
| Ja, eine große sogar. | |
| Aber verflucht man es nicht auch in der Rückschau, schließlich ist es doch | |
| verantwortlich, für all das, was dann passierte, Nationalitätenkonflikte | |
| und Bürgerkriege? | |
| Meine Sehnsucht gilt nicht dem Staatsgebilde. Das hatte offensichtlich | |
| seine Fehler. Aber ich habe Sehnsucht nach der Kommunikation mit mir | |
| nahestehenden Menschen aus Prishtina, Sarajevo oder Skopje. Der | |
| Staatszerfall mündete in Isolation. Man schwingt sich nicht mehr wie früher | |
| selbstverständlich ins Auto, um in Prishtina zu Abend zu essen. Unsichtbare | |
| Wände wurden hochgezogen, es braucht lange, bis sie wieder eingerissen | |
| sind. | |
| Belgrad war eine kosmopolitische Metropole. Wie ist das heute? | |
| Eine Zeit lang war Belgrad natürlich alles andere als ein kosmopolitischer | |
| Ort. Das klingt in unserem Roman ja an. Heute hat es sich wieder geöffnet | |
| und ist vor allem auch sehr jung. Zeigen sich wieder Autos mit kroatischen | |
| Kennzeichen aus Zagreb oder Split im Stadtbild, kann es sein, dass junge | |
| Menschen aufstehen und applaudieren. Viele Leute ziehen zu und Belgrad wird | |
| wieder zu einer Balkanmetropole, die sie einst war. Vielleicht sogar eine | |
| bessere als im Sozialismus. Die heutige Stadtgesellschaft kämpft für | |
| Freiheit und Demokratie, will Teil der Europäischen Union werden. | |
| Stigmatisierungen und Minderheitenkonflikte gab und gibt es nicht nur auf | |
| dem Balkan. Aber was ich mich bei der Lektüre ihres Romans auch gefragt | |
| habe, war: Wie will man denn in der Großstadt Menschen unterscheiden, ob | |
| sie serbischer, albanischer, bosnischer oder kroatischer Herkunft sind? | |
| Also auf den Märkten in Belgrad gab es zum Beispiel regional zuzuordnende | |
| Besonderheiten. Wer etwa grüne Bohnen, Kastanien oder rote Zwiebeln | |
| verkaufte, der oder die kam zumeist aus dem Kosovo. Jahrelang waren diese | |
| Stände dann weg. Dann gab es sie auf einmal wieder, Stände mit Kastanien | |
| und getrockneten Paprikas. Ich habe einen Händler gefragt: Woher kommen | |
| Sie? Er sagte schüchtern: aus Makedonien. Wie sehr mich das gefreut hat! | |
| Die älteste Konditorei in Belgrad ist albanisch, viele der alten Belgrader | |
| sind ursprünglich albanischer Herkunft. Das Kosmopolitische versuchen wir | |
| mit unserem Roman zu beschwören. | |
| Nach all den Auseinandersetzungen und Vertreibungen auf dem Balkan: Wie | |
| nimmt man heute in Belgrad die Situation mit den arabischen | |
| Bürgerkriegsflüchtlingen wahr? | |
| Im Zuge der Bürgerkriege wurden im früheren Jugoslawien ja viele selber zu | |
| Flüchtlingen. Letzten Sommer gab es um den Belgrader Bahnhof viele Menschen | |
| aus Syrien und Staaten aus dem Nahen Osten. Aus der Kulturszene haben ihnen | |
| viele Junge geholfen, Essen und Ruheräume organisiert. Serbien nimmt einige | |
| tausend Flüchtlinge auf. Aber die meisten wollen weiter, nach Norden in die | |
| EU. Hier leben ja doch viele in eher ärmlichen Verhältnissen. | |
| Wie werden Ihre Krimis mit ihrer beißenden Gesellschaftskritik in Serbien | |
| aufgenommen? | |
| Bislang bringen wir sie lieber nicht in Übersetzung heraus. Ich weiß nicht, | |
| was passieren würde, wenn die sie lesen würden, die wir literarisch | |
| angreifen. Vielleicht später einmal. | |
| 18 Apr 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Fanizadeh | |
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