# taz.de -- Paprika-Aufstrich Ajvar: Das rote Herz des Balkans | |
> Ajvar gehört zur kulinarischen Identität des ehemaligen Jugoslawiens. | |
> Zubereitet wird die Paprikapaste am Ende des Sommers, gemeinsam. Ein | |
> Fest! | |
Bild: Arbeiten und Feiern, Essen und Kochen: Ajvar verbindet | |
Am Anfang ist die Paprika. Rot am besten. Scharf oder mild? Das ist | |
Geschmackssache. Kiloweise wird sie auf dem Grill geröstet, bis die Haut | |
schwarz wird und die Hitze macht, dass sie wie ein Herz schlägt. | |
Nun kommt die harte Arbeit. Die Paprika soll sorgfältig enthäutet und | |
entkernt werden, mit nackten Fingern oder mit Handschuhen, je nach | |
Empfindlichkeit. Sie wird kurz gewaschen, um Haut- und Kernreste zu | |
entfernen. Dann sieht sie aus wie ein Stück rohes Fleisch und fühlt sich | |
auch so an. Das warme Paprikafleisch wird zerstückelt und in einem Topf | |
über dem offenen Feuer zum Kochen gebracht, bis keine Flüssigkeit mehr | |
übrig ist. | |
Die Reduktion, die sich nach Stunden ergibt, ist die rote Paste, die Ajvar | |
genannt wird. Das Ajvar, vom türkischen Wort havyar für Kaviar, auch als | |
das Kaviar der Armen bekannt, ist ein Grundpfeiler der Balkanküche. Ein | |
Kulturgut. Die Zubereitung des Ajvars ist eine Tradition, die in Serbien | |
und in Kroatien, in Bosnien und in Mazedonien am Ende des Sommers Familien | |
und Nachbarn zum Arbeiten und Feiern, Essen und Kochen zusammenbringt. | |
Auch in Berlin wird die Ajvar-Saison zelebriert. Im Garten des | |
Kulturzentrums Nirgendwo in Berlin-Friedrichshain findet an einem Samstag | |
im September zum zweiten Mal das „Ajvar-Festival“ statt. Es duftet nach | |
Lagerfeuer und nach gerösteter Paprika, für viele Anwesende ist es der | |
Duft ihrer Kindheit. „Wir wollten dieses Ritual, das viele aus der Heimat | |
kennen, hier zum Leben erwecken“, sagt Veranstalter Lukas Ertl, Besitzer | |
einer Weinhandlung für serbischen Wein. | |
## Mitkochen statt konsumieren | |
Aber auch: Nicht das hundertste Streetfood-Festival ausrichten, bei dem die | |
BesucherInnen bloß konsumieren. Sondern ein gemeinsames Erlebnis. Ein Fest. | |
Wer dabei ist, soll sich eine Schürze anziehen und mitkochen. Am Ende des | |
Tages können die HelferInnen ein Glas Ajvar mit nach Hause nehmen. Sieben | |
Euro kostet der Eintritt, eine halbe Tonne Gemüsepaprika ist da. Und circa | |
200 Ajvar-Begeisterte. | |
Einer von ihnen ist der Bosnier Elvir Smajić, der seit zehn Jahren nicht | |
mehr in seiner Heimat wohnt. Beim Festival verlässt er seinen Posten am | |
Grill den ganzen Nachmittag so gut wie nie. „Das Ajvar ist in meiner DNA“, | |
sagt Smajić. Seine Oma machte „das schärfste Ajvar überhaupt“, und mit | |
diesem Geschmack sei er aufgewachsen. Auberginen waren auch dabei, wie es | |
in einigen regionalen Rezepten üblich ist. Auf dem Ajvar-Festival wird die | |
südserbische Variante gekocht: milde Paprika, Öl, Essig, Salz. „Der | |
Geschmack von Paprika ist so intensiv, dass man nichts mehr braucht“, sagt | |
Lukas Ertl. | |
Nach den Feiern wird das Ajvar in Gläsern eingelegt und gelagert. Es soll | |
mindestens für die kalten Monate reichen: Wie Kimchi oder Sauerkraut ist | |
das Ajvar ein Essen für den Winter, wenn auf den Feldern und in den Beeten | |
nichts wächst. Es wird auf Brot gegessen, mit Salat oder als Beilage, zum | |
Beispiel von Bratkartoffeln oder Ćevapčići. | |
„Ajvar ist mein Nutella“, sagt Tanja Durić, während sie ihre rotgefärbten | |
Finger ableckt. „Wenn ich ein Glas aufmache, kann ich nicht mehr aufhören, | |
bis es leer ist.“ Die Serbin habe auch als Kind Ajvar von ihrer Oma | |
gegessen und geliebt, doch heute sei es das erste Mal, dass sie sich | |
zutraut, Ajvar selbst zuzubereiten. | |
## Ohne Oma geht es nicht | |
Die Oma ist in der balkanischen Ajvar-Tradition die Königin. „Im September | |
duftete unser Garten drei Tage lang nach Paprika. Oma hat Ajvar in allen | |
Variationen gekocht“, erinnert sich die promovierte Psychologin und | |
Mitveranstalterin Brana Bosnjak. „Alle kamen zu uns und wenn es bei uns | |
vorbei war, ging es los bei den Nachbarn. Es war ein solidarisches Fest.“ | |
War die Oma gestorben, hatte die Mutter nicht immer Kraft, um den Aufwand | |
der Zubereitung auf sich zu nehmen, erzählen mehrere TeilnehmerInnen. | |
„Einige versuchen noch, das hausgemachte von anderen Omis zu kaufen, andere | |
holen sich ein Glas aus dem Supermarkt“, sagt Brana Bosnjak. „Die Familien | |
werden kleiner und so auch das Ritual. Es ist billiger, schneller und | |
sauberer das Ajvar zu kaufen. Dafür aber nicht so schön“, sagt Lukas Ertl. | |
Auch der Kapitalismus habe die Tradition zerstört. | |
In ihrer Publikation „Culinaria Balcanica“, schreibt Gabriella Schubert, | |
Professorin für Südslawistik: „Ajvar hat es geschafft, ein ‚Wir-Gefühl�… | |
aber auch interethnische Konflikte zu stiften.“ Gemeint sind damit die | |
Versuche einiger der Herstellerländer, den Namen Ajvar exklusiv zu | |
patentieren – die letztlich erfolglos blieben. „Ajvar – eine Wohltat ohne | |
Urheberrecht“, schrieb die serbische Zeitung Politika mal. | |
Ein „Wir-Gefühl“ ist auch beim Berliner Ajvar-Festival zu spüren. Es läu… | |
elektronische Musik, und die meditative Arbeit am Tisch folgt dem Rhythmus, | |
unterbrochen von der Ankunft neuer SpontanköchInnen. Irgendwann tauchen die | |
Musiker einer Brass-Band auf und spielen Balkan-Beats im Garten. Einige | |
TeilnehmerInnen bilden eine Runde und tanzen um das Feuer herum. | |
In ihrer Mitte bleibt nur der Grillmeister stehen. Konzentriert passt er | |
auf die Paprika auf und dreht sie immer wieder um. | |
24 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Luciana Ferrando | |
## TAGS | |
Genuss | |
Balkan | |
Jüdisches Leben | |
Literatur | |
Essen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Jüdischer Naschmarkt in Berlin: Endlich wieder Hummus! | |
Karpfen! Und Schakschuka! In aller Welt gibt es Food-Festivals der | |
jüdischen Küche. Nur in Berlin nicht. Das soll sich jetzt ändern. | |
Schriftstellerin über Ex-Jugoslawien: „Den Hass nicht akzeptieren“ | |
Die Autorin Jelena Volić pendelt zwischen Belgrad und Berlin. Sie erzählt | |
von ihren Krimis, Diskriminierung und der Rückkehr von getrockneter | |
Paprika. | |
Essen: Hauptsache lecker | |
Das Streetfood Festival Bite Bikini eröffnet die zweite Berlin Food Week. | |
Ein Rundgang. |