# taz.de -- Nachtleben in Serbien: Belgrad, die Partystadt? | |
> In Diskobooten auf Save und Donau hört man immer noch den Turbofolk. High | |
> Heels, tiefes Dekolleté, Goldketten sind dort obligatorisch. | |
Bild: Jede Nacht tummeln sich Hunderte von Menschen auf der mittelalterlichen F… | |
Belgrad ist eigentlich für schlechte Nachrichten bekannt. Doch jede Nacht | |
tummeln sich Hunderte von Menschen auf der mittelalterlichen Festung | |
Kalemegdan im Zentrum Belgrads. Im Mondschein zeichnen sich die Umrisse | |
derer ab, die auf den Mauerresten sitzen. Zu ihren Füßen mündet die Save in | |
die Donau. Bei Tageslicht kann man von hier bis weit in die Tiefebene der | |
nordserbischen Vojvodina blicken. Friedlich war es hier nicht immer. Im | |
Gegenteil, über Jahrhunderte hinweg war die Festung von den verschiedenen | |
Großmächten besetzt gewesen, die über den Balkan zogen. Heute erinnern nur | |
noch einige in einem Graben ausgestellte Kanonen an die | |
Auseinandersetzungen. Sie dienen nun Kindern als Spielgerät. | |
Im Inneren der Festung lässt lautes Bassgewummer die Luft erzittern. Srdjan | |
Isaljovic führt durch die Ruinen. Der Student gehört zum Netzwerk der | |
„Global Greeters“, das Besucher mit interessierten Einheimischen | |
zusammenbringt. „Wir Belgrader kennen unsere Stadt besser als | |
professionelle Touristenguides“, erklärt Srdjan. Über Besucher aus dem | |
Ausland freut er sich ganz besonders. Er weiß um den schlechten Ruf der | |
Stadt und witzelt: „Jeder ist überrascht, dass man hier Spaß haben kann.“ | |
Um das zu beweisen, führt uns Srdjan in die Sommerresidenz des legendären | |
Bitef Art Cafes, eines Klub, der sich im Winter in der Spielstätte des | |
Internationalen Belgrader Theaterfestivals (Bitef) befindet. Hier tanzen zu | |
ohrenbetäubender Musik, die irgendwo zwischen House und Rock hin- und | |
herpendelt, Hunderte von Menschen unter freiem Himmel. Die Festungskulisse | |
ist atemberaubend. Die Gemäuer erzittern unter den Beats, aber um die | |
jahrhundertealte Bausubstanz sorgt sich niemand. Wer nicht tanzen will, | |
kann es sich auf einem Podest mit weißen Couchgarnituren gemütlich machen. | |
Statt Konservenmusik spielt eine Band die halbe Nacht hindurch Coversongs. | |
Sie beherrscht ihr Handwerk. Gewöhnungsbedürftig ist es trotzdem, bleiben | |
Coverbands in Deutschland doch eher den Besuchern von Bierzelten | |
vorbehalten. Dass Bands DJs ersetzen, hat hier Tradition. Srdjan erklärt, | |
dass in den Neunzigern üblich war, sich zu spontanen Konzerten in den | |
vielen Belgrader Parks zu treffen. Bis heute treffen sich junge Belgrader | |
außerhalb der Bars, um das Geld für Getränke zu sparen. | |
Das Bitef Art Cafe ist nur eines von vielen Belgrader Open-Air-Klubs. Im | |
Sommer findet das Leben auf der Straße statt. Neben den unzähligen Cafés | |
der Innenstadt sind vor allem die Hausboote, sogenannte Splavovi, beliebte | |
Partyorte. Dutzende von ihnen liegen am Ufer der Save und der Donau. | |
Während manche einmal seetauglich waren, wurden die meisten vor Ort gebaut | |
und verankert. Sie werden lediglich von Fässern getragen. Über wacklige | |
Stege erreicht man die Restaurants, Cafés und Diskoboote, die manchmal | |
sogar mehrstöckig sind. | |
Im Sommer sind sie die ganze Nacht geöffnet. Die Begründung liefert Dima | |
Bulatovic: „Den Sonnenaufgang über dem Fluss muss man einmal im Leben | |
gesehen haben!“ Er hat sich mit einem Caféboot selbstständig gemacht und | |
verbringt dort nun jeden Tag. Eigentlich hat Dima ein hochkarätiges Studium | |
für internationales Management abgeschlossen. Da er den Absprung ins | |
Ausland nicht geschafft hatte, sattelte er um - wie viele hier. „So ein | |
Splav ist auch ein Business“, sagt er schulterzuckend. | |
Dass das Geschäft floriert, kann man nachts am Dunavski kej, der | |
Donaupromenade, beobachten. Ein Dutzend Boote erzeugt eine ohrenbetäubende | |
Kakofonie aus House-, Techno- und Rockmusik. Im Wasser spiegeln sich die | |
Stroboskoplichter. Trotz der Entfernung von bis zu 30 Metern zwischen | |
Festland und Booten vibriert die Uferpromenade unter den Füßen der | |
Wartenden. Da die Stege schmal und vielfach ohne Geländer sind, werden die | |
Gäste nur in kleinen Grüppchen hinübergelassen. Der Dresskode ist hier | |
moderat, die Getränkepreise sind es ebenfalls. | |
Ganz anders in der Strahinjia Bana, einer Straße im Stadtteil Dorol, in der | |
ein Klub neben dem anderen liegt. Die berüchtigte Ausgehmeile wird | |
abschätzig „Silicon Valley“ genannt - nach den angeblichen Brust-OPs des | |
weiblichen Teils jener Schickeria, die in der Zeit der jugoslawischen | |
Bürgerkriege mit dubiosen Geschäften zu Geld und Einfluss kam. Noch heute | |
flanieren nachts die teuersten Autos die Straße entlang. | |
Die Haltung zur Strahinjia Bana teilt die Belgrader. „Wir haben die Straße | |
lange gemieden, weil hier der Turbofolk regierte“, sagt Dima. Zum | |
Verständnis der Belgrader Stadtkultur, aber auch der politischen | |
Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte ist Turbofolk ein | |
Schlüsselbegriff. Irgendwo zwischen Folklore und elektronischer Musik | |
angesiedelt, verdrängte der Turbofolk zu Beginn des Bürgerkrieges die | |
etablierte jugoslawische Rockmusik und deren international ausgerichtete | |
Kultur. Vielen galt er als Soundtrack des Krieges. Die einen lebten Musik | |
und Ästhetik der Turbofolk-Starlets, die anderen verachteten sie als | |
primitiv und unmoralisch. | |
In niemand anderem als dem Megastar Ceca, Witwe des serbischen | |
Kriegsverbrechers Arkan, die unter Präsident Slobodan Milosovic das | |
TV-Programm dominierte, wurde die Symbiose von Nationalismus und Popkultur | |
deutlicher. Nicht zuletzt deshalb hatte Musik in den Neunzigern in Serbien | |
eine politische Komponente: Durch die Vorliebe für einen bestimmten Stil | |
zeigten die Jugendlichen ihre Haltung zum Krieg und zur nationalistischen | |
Elite. Noch heute ist die Belgrader Klubwelt geteilt: einerseits die Rock- | |
und Elektroläden der Innenstadt und Neu-Belgrads, andererseits die Klubs | |
der Strahinjia Bana und die Hausboote der Save. | |
Mehr als durch den oft obszönen musikalischen Mix aus Elektro, Pop und | |
Folklore zeichnet sich der Turbofolk heute durch einen rigiden Dress- und | |
Verhaltenskode aus. Wer ihn also post mortem erleben will, sollte vor allem | |
seine Kleidung danach auswählen, denn ohne High Heels, tiefes Dekolleté, | |
Goldketten und Sonnenbrille hat noch niemand den Bodycheck der Türsteher | |
von Diskobooten wie „Blaywatch“, „Acapulco“ oder „Amsterdam“ bestan… | |
Krieg und Isolation nahmen die Musikkultur stark mit. Staatliche | |
Subventionen, wie es sie im sozialistischen Jugoslawien für die | |
international angesehene Rockszene gab, versiegten. Der staatliche Druck | |
auf die jugoslawisch geprägte Szene wurde immer stärker. Die Jungen, | |
Ambitionierten und gut Ausgebildeten verließen, sobald es ging, das Land. | |
Für die, die blieben, wurde das Partyleben umso wichtiger. „Wenn es zu | |
Hause keinen Strom gab, hatte das nächste Café ein Notstromaggregat.“ Ein | |
Leben, in dem an ein Morgen kaum zu denken war, scheint die Leute | |
feierwütig gemacht zu haben. Der Kühlschrank war leer, doch die Cafés | |
blieben voll. Auch heute liegt der Durchschnittslohn in Belgrad kaum über | |
350 Euro. Davon etwas zurückzulegen ist unmöglich. | |
„Darum investieren wir in Kaffee, Zigaretten und Bier“, meint Dima | |
ironisch. Auch die Visumspflicht, die für Serbien zum Jahreswechsel | |
vonseiten der EU aufgehoben wurde, hat an der Perspektivlosigkeit wenig | |
geändert. Dass die qualifizierten jungen Serben das Land abermals | |
verlassen, befürchten hier viele. | |
Dass es vielleicht nicht so sein wird, zeigt Jelena Malecevic mit ihrem | |
Beispiel. Die junge Modedesignerin präsentiert im Concept Store | |
„Supermarket“ (geschrieben in kyrillischer Schrift) zwischen extravaganten | |
Einrichtungsgegenständen und einer meterlangen weißen Bar ihre neueste | |
Kollektion. Der frühere Supermarkt kommt nach der Entkernung im Retrochic | |
daher. Hier entsteht eine neue Welt, die sich drinnen kaum vom Berliner | |
Stadtteil Prenzlauer Berg unterscheidet. Draußen aber wühlen Kinder in den | |
Müllcontainern nach Verwertbarem. Doch Jelena hat es geschafft. Mit ihrem | |
Label Morfium schaffte sie es bis nach Mailand und kam trotzdem zurück nach | |
Belgrad. „Wir tun den jungen Leuten gut“, erklärt sie ihren Schritt. „Al… | |
sollen sehen, dass wir Bestandteil der globalisierten Welt sind.“ | |
Dies wird eine Annäherung abseits der Balkanklischees erleichtern. Bei | |
einem Besuch kann man sich davon überzeugen, dass Belgrad endlich wieder | |
auf dem Weg ist, eine Weltstadt zu werden. | |
25 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
Sonja Vogel | |
Sonja Vogel | |
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