# taz.de -- Leipziger Buchmesse: Postjugo-Literatur am Start | |
> Wider- stand gegen Nationalismus: Vor allem jungen Autoren und Autorinnen | |
> aus Postjugoslawien bedeutet dies Leipziger Buchmesse inzwischen viel. | |
Bild: Die Autorin fühlt sich heute in den neben Berlin auch in Belgrad zu Haus… | |
Nachdem Kroatien 2008 Schwerpunktland der Leipziger Buchmesse war, ist die | |
Besuchermesse zu einem echten Forum der "südosteuropäischen" und | |
"postjugoslawischen" Literatur geworden. Was auf wirtschaftlichem und | |
politischem Gebiet alles andere als alltäglich ist, wird auf dieser | |
surrealen Literaturbühne in Leipzig möglich: Die Kulturministerien und | |
Verlage aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawien koordinierten gemeinsam | |
ihre Auftritte, die Lesungen und Diskussionspodien wurden selten nur von | |
einem Vertreter bestritten, man bemühte sich, Literaten, Kritiker und | |
Verleger aus möglichst allen postjugoslawischen Staaten an einen Tisch zu | |
setzen. Den vor allem jungen Autoren aus dem ehemaligen Jugoslawien | |
bedeutet Leipzig viel: Sie können sich hier einem deutschen Publikum | |
präsentieren, das von den meisten anwesenden Schriftstellern noch nie etwas | |
gehört hat, denn die Kriege sind lange vorbei. | |
"Haiti, Chile oder Afghanistan sind heute interessanter", sagt etwa Faruk | |
Sehic im Gespräch. Sehic ist ein Autor aus Bosnien, der mit seinen | |
Gedichtbänden "Pjesme u stajanju" (2000), "Hit Depo" (2003) und | |
"Transsarajevo" (2006) im ganzen ehemaligen Jugoslawien Kultstatus genießt. | |
Von 1992 bis 1996 war er Soldat und Leutnant in der bosnischen Armee. Seine | |
Art, die Erlebnisse und Kriegstraumata in seinen Gedichten zu verarbeiten, | |
treffen den Nerv einer ganzen Generation von Exjugoslawen. Dabei ist Sehic | |
nicht einer von denen, die es sich einfach machen und Generälen, Tycoons | |
und anderen Machthabern die alleinige Schuld für den Krieg geben. "Auch die | |
vermeintlich unbeteiligten bosnischen Zivilisten, die angeblich zwischen | |
den Fronten zerrieben wurden, waren gar nicht so unbeteiligt daran, die | |
Fronten mitaufzubauen", erzählt er. | |
Sehic kennt man in Bosnien nicht nur wegen seiner Gedichte. Er ist auch | |
berühmt für seine Kolumnen in der Zeitung Oslobodenje und seiner | |
journalistischen Reportagen im Magazin Start, über psychotische | |
Schlangenbeschwörer in bosnischen Wäldern oder bettelarme Fischer. | |
Sehic veröffentlicht seine Prosa auch in der serbischen Zeitung Beton, | |
einem Kulturmagazin, das der serbischen Tageszeitung Danas beiliegt. Sasa | |
Ilic und Sasa Ciric, zwei der herausgebenden Redakteure von Beton, waren | |
ebenfalls in Leipzig und stellten das Projekt vor, das auch als | |
Onlineportal ([1][elektrobeton.net]) existiert. Beton, ein neuer, | |
nationsübergreifender Hoffnungsträger essayistischer und journalistischer | |
Literatur-, Kultur und Gesellschaftskritik. Dass die Verbreitung von | |
Literatur aus dem ehemaligen Jugoslawien in Europa notwendig sei, um ein | |
besseres Verständnis für die gesellschaftlichen Konflikte dort zu erhalten, | |
hält Ilic für irrelevant. Die Rolle der Literatur sieht er vielmehr darin, | |
die hegemonialen kulturellen, historischen und politischen Erzählungen in | |
Serbien, Kroatien, Bosnien etc. zu dekonstruieren und zu destabilisieren. | |
Beton sei eine Widerstandsbewegung gegen die nationalistische und von | |
Marktinteressen geprägte Kultur dieser Länder. | |
Im kommenden Jahr wird dann Serbien das Schwerpunktland in Leipzig sein. | |
Unter dem Titel "Land in Sicht" warb das Land schon jetzt dafür. Doch | |
Serbien präsentierte sich nicht gerade in schillernden Farben; alle Flyer, | |
Plakate und der serbische Stand waren in schlichtem Grau gehalten, also der | |
Farbe des Betons. Schon lustig, wie wenig sich das serbische | |
Kulturministerium hat einfallen lassen, um der Kritik der gleichnamigen | |
Zeitung zu entkommen. | |
22 Mar 2010 | |
## LINKS | |
[1] http://www.elektrobeton.net/ | |
## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
## TAGS | |
Literatur | |
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