# taz.de -- Eröffnung Buchmesse: Literatur als Imagefaktor | |
> Zum Start der Buchmesse Leipzig war das Wetter schön, die Reden zu | |
> Standort, Buch und Kulturpolitik waren es weniger. Buchmessepreis erhält | |
> Georg Klein, Helene Hegemann geht leer aus. | |
Bild: Die Mangazeichnerin Rebecca Jeltsch blättert in ihrem Buch. | |
LEIPZIG taz/dpa | Siehste mal. Pünktlich zum Messestart wurde das Wetter | |
schön. Leider ist das Bild vom Bücherfrühling zu abgegriffen, um damit | |
einen Bericht anzufangen; das Gefühl, an diesem Donnerstag durch diese | |
Hallen zu streifen, beschreibt er dennoch ganz schön. Wenn die Sonne durch | |
die gläsernen Hallendächer bricht, antwortet im Inneren gleich etwas | |
Blühendes. Und das, obwohl die feierliche Eröffnung am Mittwochabend wenig | |
Inspirierendes hatte. | |
Sayaka Shoji war das Highlight des Eröffnungsabends gewesen. Mit dem | |
Gewandhausorchester Leipzig spielte die Violinistin unter der musikalischen | |
Leitung von Sir Roger Norrington Johann Sebastian Bachs Konzert für Violine | |
und Orchester E-Dur BWV 1042, und sie tat das großartig. Für den Moment war | |
alle Provinzialität und alles Beflissene wie weggeflogen. Wirklich | |
beeindruckend, was für eine Bandbreite an Emotionen die Musikerin Bach | |
entlocken konnte. | |
Wenn aber auf der Eröffnung einer Buchmesse die Solistin des musikalischen | |
Rahmenprogramms am eindrücklichsten im Gedächtnis bleibt, sagt das etwas | |
über die Wortbeiträge des Abends aus. Deren emotionale Bandbreite war in | |
der Tat limitiert. Der Ministerpräsident Stanislaw Tillich lobte sich sein | |
Sachsen und zählte einige Erfolge des kulturellen Aufbaus Ost auf: Clemens | |
Meyer, Uwe Tellkamp - und Suhrkamp residiert jetzt im ehemals Ostberliner | |
Stadtteil Prenzlauer Berg, so schnell kann man als Schriftsteller für | |
politische Erfolgsmeldungen herhalten. Immerhin machte Tillich damit klar, | |
was Politiker wirklich von Schriftstellern wollen: Prestigegewinn, | |
Imagetransfer. | |
So ging es in seiner Rede weiter. Die Tatsache, dass der Choreograf William | |
Forsythe in Dresden wirkt und der Dirigent Christian Thielemann bald auch, | |
verband Tillich mit einer Kampfansage an die alten Bundesländer: "Wir | |
wollen etwas aufbauen, das uns unterscheidet vom Rest der Republik." Auf | |
einer Veranstaltung über kulturellen Wettbewerb zwischen Bundesländern wäre | |
das eine interessante Information gewesen. Dass die Leipziger Buchmesse den | |
Anspruch hat, nach ganz Deutschland auszustrahlen und womöglich noch | |
darüber hinaus, konnte der Ministerpräsident damit nicht untermauern. | |
Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen | |
Buchhandels, stellte dagegen in seiner Ansprache ganz viele Fragen: | |
"Welches Ausmaß wird der E-Book-Markt haben? Wird das gedruckte Buch durch | |
diese Entwicklung in essenziellen Bereichen substituiert? Brauchen wir den | |
stationären Buchhandel nicht mehr?" Das fragt sich in der Tat derzeit die | |
ganze Branche. Während Honnefelder 2009 den Akzent noch auf Einhegung des | |
elektronischen Buchmarkts legte, scheint er inzwischen entschlossen zu | |
sein, seine Klientel auf das Unvermeidliche einzustellen. Apples iPad muss | |
ihn richtiggehend beeindruckt haben: "Immerhin: Erstmals scheint ein Gerät | |
auf den Markt zu kommen, das das leistet, was Leser und Käufer wollen." | |
Und den Verlagen und Buchhandlungen scheint er empfehlen zu wollen, sich | |
auf den medialen Wandel einzustellen - auch wenn er selbst noch nicht recht | |
weiß, wie. Das schwingt noch mit, wenn man dann tags drauf auf dem | |
Messegelände feststellt, dass Textunes, ein eBook-Anbieter, sich direkt in | |
Nähe der Hochkulturverlage platziert hat. Gleich neben Suhrkamp. Immerhin: | |
Das ist ein Statement. | |
Mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2010 wurde der Schriftsteller Georg | |
Klein ausgezeichnet. Der 56-Jährige nahm die mit 15 000 Euro dotierte | |
Auszeichnung in der Kategorie Belletristik am Donnerstag für sein Werk | |
"Roman unserer Kindheit" (Rowohlt, Reinbek) entgegen. Helene Hegemann ging | |
mit ihrem umstrittenen Buch "Axolotl Roadkill" ebenso leer aus wie die | |
nominierten Autoren Jan Faktor, Lutz Seiler und Anne Weber. "Ich möchte | |
hier Gänseblümchen des Dankes aus dieser Wiese des Augenblicks rupfen", | |
sagte Klein. Der Autor erzählt von einer Kindheit im Süddeutschen in den | |
frühen 60er Jahren - autobiografisch und zugleich fantastisch. | |
In der Kategorie Sachbuch/Essayistik gewann Ulrich Raulff mit "Kreis ohne | |
Meister. Stefan Georges Nachleben" (C.H. Beck, München). Als bester | |
Übersetzer wurde Ulrich Blumenbach ausgezeichnet. Von ihm stammt die | |
deutsche Fassung des Romans "Unendlicher Spaß" von David Foster Wallace | |
(Kiepenheuer & Witsch, Köln). Blumenbach hatte sechs Jahre lang an der | |
Übersetzung des 1410-Seiten-Werkes gearbeitet. | |
Über Kleins Roman urteilte die Jury: "Überbordend poetisch wird hier ein | |
Zeitpanorama entfaltet, das die Unterwelt der großen, bösen Erzählungen der | |
alten Männer mit den leuchtenden Farben des Sechziger-Jahre-Sommers | |
verbindet. Kinder standen noch nicht unter Dauerobservanz, ihre Fantasien | |
konnten, wenn man so will - und der Roman will es so - noch in aller Ruhe | |
wuchern." | |
Jury-Vorsitzende Verena Auffermann äußerte sich vor der Preisverleihung | |
noch einmal zum Streit um die Hegemann-Nominierung und die sogenannte | |
Leipziger Erklärung. Darin hatten Autoren wie Günter Grass und Christa Wolf | |
gegen Plagiate in der Literatur protestiert. Die Jury habe die Vorwürfe | |
sehr ernst genommen, sagte Auffermann der dpa. Aber: "Die Jury ist frei und | |
unabhängig und tut das, was sie für richtig hält und lässt sich nicht | |
beeindrucken von Kritik von außen", sagte Auffermann. "Wir debattieren über | |
den Inhalt der Bücher: gesittet, expressiv, erregt, leidenschaftlich." | |
Den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung erhielt dann noch am | |
Mittwoch György Dalos. Seiner Dankesrede konnte man gut entnehmen, was für | |
aufregende Zeiten es gewesen sein müssen, als man sich identitär zwischen | |
ungarischem Kommunismus, dissidentischer Ostberliner und | |
links-intellektueller Westberliner Szene bewegen musste; in allen diesen | |
Szenen hat Dalos, geboren 1943, seine eigene spöttische Ironie behauptet. | |
Aber man kriegte in der Rede eben auch mit, dass das alles schon etwas her | |
ist und man vor allem wenig Erkenntnisse für die Gegenwart daraus ableiten | |
kann. | |
Nur ganz am Schluss kam Dalos auf das heutige Ungarn und seine "ziemlich | |
friedlose Demokratie" zu sprechen. Ein runder Tisch habe es, so Dalos, | |
vermocht, 1989 aus der Diktatur eine Demokratie zu machen. Er plädierte für | |
einen neuen runden Tisch, um nun die Rechtsextremisten in Ungarn zu | |
isolieren und überhaupt eine "friedliche Transformation der schlechten | |
Demokratie zu deren besserer Variante in Gang zu setzen". Ob das klappen | |
könnte? Wohl kaum. | |
Es half nichts, György Dalos wirkte auf der Preisverleihung wie aus der | |
Gegenwart gefallen. In ideologisch festgefahrenen Zeiten war seine | |
schelmische Ironie auflockernd und verdienstvoll. Fast meinte man nun in | |
seinen Worten Melancholie darüber zu spüren, dass seine Mittel nicht | |
ausreichen, um eine moderne, liberale Gesellschaft aufbauen zu können. Die | |
ganz große kulturpolitische Bühne ist die Leipziger Buchmesse also auch in | |
diesem Jahr nicht, trotz schönem Wetter. Man kann ja über die Bücher | |
sprechen. | |
19 Mar 2010 | |
## AUTOREN | |
D. Knipphals | |
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