# taz.de -- Kommentar Koalition in Rheinland-Pfalz: Die kleine grüne Lebenslü… | |
> Die Grünen sind für den Export deutscher Produkte – wenn diese ökologisch | |
> sind. Mehr Straßen zu fordern, überlassen sie anderen. | |
Bild: Im Mittelrheintal fehlen Brücken – zum Glück | |
Die Grünen haben sich mit einer kleinen Lebenslüge durch ihre letzten | |
Wahlkämpfe geschummelt. Wachstum und Ökologie seien miteinander vereinbar, | |
wenn man Energie mit Sonne und Wind erzeuge und Autos mit ökologisch | |
erzeugtem Brennstoff fahren lasse. Die grüne Mainzer Wirtschaftsministerin | |
Eveline Lemke verteidigte stets die hohe Exportquote ihres Bundeslandes von | |
54 Prozent. Was sei falsch daran, wenn China deutsche Umwelttechnologie | |
kaufe, hat sie auf Einwände gerne gefragt. | |
Wenig, müsste man antworten. Außer: Export braucht Infrastruktur. | |
Flughäfen, Bahntrassen, Straßen, Häfen. Selbst wenn der gesamte Strom mit | |
Wind- und Solarkraft erzeugt wird und der Verkehr nicht mit fossilen | |
Brennstoffen läuft, zerschneiden Verkehrstrassen die Landschaft. Das bringt | |
Lärm und Tote mit sich. Ohne eine Abwägung, ob mehr Mobilität oder mehr | |
Anwohnerschutz wichtiger ist, geht es nicht. Der EU-Binnenmarkt hat die | |
Verkehrsströme in Europa erheblich verstärkt. | |
Die Grünen haben es sich einfach gemacht: Sie setzen sich für den Export | |
von Ökoprodukten ein, überlassen die Forderung nach mehr Straßen aber CDU, | |
SPD und FDP. Infrastrukturprojekte wurden zu Knackpunkten in | |
Koalitionsverhandlungen: in Berlin (A100), Baden-Württemberg (Stuttgart21), | |
Rheinland-Pfalz. Dort bekamen die Grünen 2011 Ministerien und Windräder, | |
trugen aber das SPD-Herzensprojekt Hochmoselbrücke mit. | |
Pro Legislaturperiode eine Großbrücke – das könnte der Preis sein, den die | |
Grünen für ihre Regierungsbeteiligung in Mainz zahlen. 2011 hatten sie es | |
in den Koalitionsverhandlungen immerhin geschafft, ein zweites SPD-Projekt | |
auf die lange Bank zu schieben: eine Brücke über den Rhein unweit der | |
Loreley. | |
## Welterbe als Wirtschaftshemmnis | |
Im von der Unesco zum Welterbe erklärten Mittelrheintal ballen sich wie | |
sonst kaum in Deutschland die Konflikte zwischen Ökonomie, Umwelt und | |
Verkehr: Durch das Tal führt auf beiden Flussseiten eine der am stärksten | |
befahrenen Bahnstrecken Europas, wichtig vor allem für den Güterverkehr. | |
Die Züge rauben Anwohnern und Touristen den Schlaf, die Hotels leiden unter | |
dem Sinken der Übernachtungszahlen. Die Bahn verspricht leisere Güterwagen, | |
dafür könnte die Zugfrequenz zunehmen, wenn der Gotthard-Basistunnel Ende | |
2016 eröffnet. | |
Die Kommunen beklagen, dass eine Rheinbrücke fehlt, Unternehmen würden sich | |
deshalb kaum ansiedeln. Zwischen Koblenz und Mainz führen derzeit nur | |
Fähren über den Fluss. Dazu kommt das Problem mit den Windrädern: Wegen des | |
Weltkulturerbestatus dürfen hier keine gebaut werden – noch eine | |
Einnahmequelle, die den Kommunen fehlt. | |
Nun steht das Thema wieder bei den Koalitionsverhandlungen auf der | |
Tagesordnung. Die SPD drängt, mehr noch die FDP. Wie die Sache ausgeht, | |
ließ sich schon im Januar in Bingen besichtigen, bei einer Debatte des | |
Bundesverbands Mittelständische Industrie mit den Spitzenkandidaten der | |
Parteien. Veranstaltungsort: Löwen Entertainment, ein | |
Spielautomatenhersteller, der die Einzelteile seiner Geräte aus Osteuropa | |
herankarrt, um sie am Rhein zusammenzuschrauben. | |
FDP-Spitzenkandidat Volker Wissing beschuldigte in Bingen die Grünen, | |
Autofahrer als pädagogische Maßnahme im Stau stehen zu lassen, damit sie | |
nicht mehr den Pkw benutzen. Lemke blieb defensiv. Von Wissing zur | |
Hochmoselbrücke befragt, antwortete sie, der Bau sei im Rahmen des | |
Interessenausgleichs innerhalb der Koalition beschlossen worden: „Wenn ich | |
die Brücke nicht gewollt hätte, wäre sie nicht gebaut worden.“ | |
So könnte es 2016 ähnlich wie 2011 ausgehen: Die geschwächten Grünen | |
bekommen ein paar Windräder, FDP und SPD ihre Brücke. Ein Wachstumsprogramm | |
für alle. Umweltinteressen, die nicht in Geld umzusetzen sind, fallen unter | |
den Tisch. Spätestens wenn das letzte Windrad gebaut ist, werden die Grünen | |
noch einmal über die Vereinbarkeit von Ökologie und Ökonomie diskutieren | |
müssen. | |
1 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Martin Reeh | |
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