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# taz.de -- PiS-Herrschaft in Polen: Zurück in die Diktatur
> Das Verfassungsgericht erklärt eine Justizreform für verfassungswidrig,
> die Regierung ignoriert das. Vor allem junge Leute treibt das auf die
> Straße.
Bild: Protestaktion gegen die PiS-Regierung am Donnerstag in Warschau.
Warschau taz | Der Platz vor dem polnischen Regierungssitz in Warschau ist
hell erleuchtet. Hunderte junger Polen schlagen Zelte auf, verteilen heißen
Tee, hantieren mit Taschenlampen, Kabeln und Diaprojektoren. Einer der
Demonstranten ruft ins Megaphon: „Beate, druck das Urteil!“ Die jungen
Leute fallen ein und skandieren immer lauter: „Druck das Urteil! Druck das
Urteil!“
Schließlich leuchtet an der Hauswand des Büros von Premier Beata Szydlo das
Urteil des Verfassungsgerichts „im Namen der polnischen Republik“ auf, das
die rechtsnationale Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) nicht
anerkennen will. In großen Lettern und wie ein Schandmal leuchtet das
Schlüsselwort des Urteils durch die Nacht: „verfassungswidrig“.
Ania schwenkt eine dunkellila Fahne mit dem Schriftzug „Razem“ (Zusammen).
Die linke Partei, die erst Mitte vergangenen Jahres gegründet wurde, errang
bei den Parlamentswahlen im Oktober 2015 einen Achtungserfolg von 3,6
Prozent und bemüht sich seither, in der außerparlamentarischen
Öffentlichkeit zu existieren.
„Beata Szydlo kann doch nicht sagen, dass sie das Urteil des
Verfassungsgerichts nicht anerkennt. Wer ist sie denn?“, keucht die
24jährige Sozialarbeiterin. „Da haben die Parlamentarier mit ihrem Gesetz
über das Verfassungsgericht eben Mist gebaut. Und das sollte Beata
anerkennen.“
Uneingelöste Wahlversprechen
Ania findet das soziale Programm der Regierungspartei ganz gut: „500 Zloty
Kindergeld, Rentenalter runter, faire Arbeitsverträge für junge Leute,
höheres Mindesteinkommen – das ist alles okay, nur hat die PiS von diesen
Wahlversprechen bislang noch fast nichts eingelöst.“ Sie reicht die Fahne
an eine andere Demonstrantin weiter und greift nach einem Becher mit heißen
Tee. „Stattdessen errichten die jetzt hier eine Diktatur! Nein! Ohne uns!“
Ein paar Meter weiter fotografiert der 19jährige Abiturient Marcin sich und
seine Freunde vor dem Regierungssitz mit dem Wort „Verfassungswidrig!“ Er
zieht sich die verrutschte Mütze über die verfrorenen Ohren. „Das muss man
den Razem-Leuten schon lassen“, lobt er, „ein tolles Happening! Da hätten
wir auch drauf kommen können.“
Am Mantelkragen prangt ein weißer Button mit dem schwungvollen Kürzel KOD,
das für „Komitee für die Verteidigung der Demokratie“ steht. Die
Bürgerrechtsbewegung entstand Ende letzten Jahres, einen Monat, nachdem die
PiS in den Wahlen die absolute Mehrheit gewonnen hatte und sich die für
Polens Gesellschaft katastrophale Entwicklung bereits abzuzeichnen begann.
„Meine Eltern sind da hinten“, sagt er stolz. „Die haben schon gegen den
Kommunismus gekämpft. Und hetzt kämpfen wir gemeinsam gegen eine neue
Einparteienherrschaft.“ Er lacht, tippt sich vieldeutig an die Stirn und
deutet auf einen zweiten Button am Mantelkrangen: „Übelste Sorte“ steht da
knallrot. Mit einer breiten Armbewegung deutet er auf die Demonstranten:
„Wir gehören alle zur ‚übelsten Sorte von Polen‘. Das jedenfalls meint
Jaroslaw Kaczynski.“
## Mehrfach Gesetze kassiert
Der PiS-Parteichef ist zwar nur ein einfacher Abgeordneter im polnischen
Parlament, doch beansprucht er die Richtlinienkompetenz in der polnischen
Politik für sich. In den Jahren 2005 bis 2007, als Kaczynskis PiS schon
einmal an der Macht war, machte ihm das Verfassungsgericht mehrfach einen
Strich durch die Rechnung und kassierte Gesetze wieder, die gegen die
Verfassung verstießen.
Diesmal will die Regierung das für sie peinliche Urteil des
Verfassungsgerichts nicht publizieren, da es erst am Tag der
Veröffentlichung gültig wird. Damit aber verstößt die Regierung wieder
gegen die Verfassung. Für Hanna Gronkiewicz-Waltz, Warschaus
Oberbürgermeisterin, ist ganz klar, was die Stunde geschlagen hat: „Seit
gestern leben wir wieder in einer Diktatur“.
11 Mar 2016
## AUTOREN
Gabriele Lesser
## TAGS
Polen
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PiS
KOD
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Protest
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