Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Widerstand gegen Rechtsruck in Polen: Die Unabhängige
> Die Verschärfung der Mediengesetze in Polen wird nicht nur von der EU
> kritisiert. Auch im Land wächst der Protest. Eine Aktivistin im Porträt.
Bild: Ewa Wanat bleibt optimistisch.
Warschau taz | „Die Aufkleber gibt es dort hinten“, ruft die dick
eingemummte Demonstrantin. Anfang Januar ist es eiskalt in Warschau.
Dennoch sind Tausende Menschen zum Platz der Aufständischen gekommen, um
zusammen mit dem Komitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD) gegen die
Politik der rechtsnationalen Regierung zu protestieren.
Ewa Wanat deutet auf einen Transporter am anderen Ende des Platzes und
beginnt zu hüpfen. „Freie Medien! – freies Polen!“, skandiert sie mit den
Umstehenden. Viele blasen in ihre mitgebrachten Vuvuzelas. Der Lärm ist
ohrenbetäubend.
Über dem Platz schwebt ein Kameramann in der offenen Kabine eines
gigantischen Krans. Noch können die öffentlich-rechtlichen Medien über die
Demonstration gegen die geplante Einschränkung der Medienfreiheit
berichten. Aus den Fenstern des Fernsehsenders TVP Info, der am Platz der
Aufständischen seinen Sitz hat, winken Journalistinnen und Redakteure. Sie
versuchen die Demonstranten zu zählen: 10.000 bis 20.000 Warschauer sind
wohl gekommen, um den Fernsehjournalisten den Rücken zu stärken und ihnen
Mut zu machen.
Alle werden in den nächsten Wochen und Monaten ihren Job verlieren und –
nach einer nicht näher definierten „Überprüfung“ – entweder endgültig…
der Straße stehen oder aber zu neuen Bedingungen erneut eingestellt. Mit
dem „kleinen Mediengesetz“ wurden die bisher als staatliche
Handelsgesellschaften organisierten Rundfunk- und Fernsehanstalten in
Nationale Kulturinstitute umgestaltet und direkt der Regierungskontrolle
unterstellt.
Ewa Wanat, bis zum Herbst 2015 Chefredakteurin der Radiosenders RDC, hat
das alles schon hinter sich. Sie wurde fristlos entlassen, weil sie in
einem Interview mit der linksliberalen Gazeta Wyborcza den politischen
Druck publik gemacht hatte, mit dem der Programmrat die Journalisten „auf
Linie“ bringen wollte. So sollte kein Expriester in Studio eingeladen
werden, die anderthalb-stündige Sendung „Homolobby“ aus dem Programm
gestrichen und – in der Adventszeit – Weihnachtslieder gesendet werden. Als
Wanat sich weigerte, das zu tun, reichte als Vorwand ein privater
Facebook-Kommentar von ihr, um sie fristlos zu entlassen.
## „Gute Polen, schlechte Polen“
„Das lasse ich mir nicht bieten“, so Wanat. „Die Begründung für die
disziplinarische Entlassung ist lächerlich. Ich gehe davon aus, dass ich
den Prozess vor dem Arbeitsgericht gewinne.“ Die Kollegen, denen jetzt die
Gruppenentlassung droht, werden keine Chance haben, dagegen zu klagen, da
es sich um einen institutionellen Umbau des gesamten öffentlich-rechtlichen
Rundfunks handelt.
Ein älterer Mann mit wallenden grauen Haaren schwenkt Aufkleber über den
Köpfen der Demonstranten: „KOD. Gorszy sort – KOD. Schlechtere Sorte“ ru…
er, und „Wolne media – Freie Medien“. Vor ein paar Wochen hatte Jaroslaw
Kaczynski, der PiS Parteivorsitzende und zur Zeit mächtigste Mann in Polen,
seine Landsleute in bessere und schlechtere Polen aufgeteilt. Die
schlechteren hätten angeblich einen Hang dazu, den polnischen Staat im
Ausland zu denunzieren. Im rechtsnationalen Fernsehsender Republika
wetterte der 67-Jährige gegen die Demonstranten und Oppositionellen:
„Einige Leute haben das in den Genen. Das ist in den Genen der übelsten
Sorte Polen.“
Ewa Wanat greift sich den Aufkleber „Freie Medien!“ und bahnt sich den Weg
zur Rednertribüne. „Die Situation, wie wir sie heute erleben, ist nicht
ganz so neu, wie es vielen erscheinen mag“, berichtet sie. „Nach der
Volksrepublik wurden zwar die staatlichen Medien in öffentlich-rechtliche
umgestaltet, aber die Reform blieb in der Mitte stecken.“ Die jeweiligen
Wahlsieger hätten Radio und Fernsehen immer wie eine Art Kriegsbeute
behandelt, neue Intendanten eingesetzt, neue Chefredakteure und
Programmdirektoren.
## Engagierte Vollblut-Journalistin
„Aber das ging leise vor sich. Die einen gingen, die anderen kamen. Aber
jetzt verkündet die PiS so dreist und schamlos, wie keine Partei zuvor:
‚Wir nehmen uns die Medien. Wir machen aus ihnen ein Regierungsfernsehen
und Regierungsradio‘. Das treibt die Leute auf die Straße. Mich ebenfalls,
obwohl ich in den vergangenen Jahren auch immer wieder öffentlich
protestiert habe gegen staatliche Einfluss- und Kontrollversuche.“
Sie unterstütze daher die KOD-Aktivisten, die seit November erst in
Warschau und schließlich im ganzen Land auf die Straße gehen. Aber sie
wolle in den gerade entstehenden Strukturen dieser Bürgerrechtsbewegung
keine Funktion einnehmen. Noch sei nicht klar, ob sich das Komitee zur
Verteidigung der Demokratie am Ende nicht in eine Partei umgestalten werde.
Sie wolle aber eine unabhängige Journalistin bleiben.
„Dass ich eine engagierte Vollblut-Journalistin bin und vor allem in
gesellschaftspolitischen Fragen linksliberal eingestellt bin, wissen dabei
alle“, sagt die 53-Jährige. „Das ist kein Widerspruch. Ich möchte ganz
einfach die Brücken zur anderen Seite nicht abbrechen. Wenn wir aus dieser
völlig verfahrenen Situation wieder herauskommen wollen, müssen wir mit der
PiS und den anderen rechten Gruppen im Gespräch bleiben.“
Ob europäische Journalisten-Verbände den polnischen Kollegen helfen können,
weiß sie nicht. „Wir sind Einzelkämpfer, die einzige
Journalisten-Gewerkschaft in Polen ist inzwischen in der Hand der Rechten.
Wenn wir anderen uns mit der Bitte um Hilfe an eine europäische
Gewerkschaft wenden würden, würde uns das womöglich als Verrat ausgelegt.“
Aber wenn die Kollegen in Europa von sich aus eine Solidaritätsaktion
starten würden, wäre das etwas ganz anderes.
## Theaterwissenschaften und Deutsch als Fremdsprache
Zum Journalismus kam Ewa Wanat 1990. In ihrer Heimatstadt Poznan/Posen
heuerte sie bei Radio Solidarność an, dem ersten nichtkommunistischen Radio
in Posen nach 1945. Dort lernte sie das Handwerkzeug von der Pike auf.
Dabei hatte sie eigentlich als Emigrantin in Deutschland bleiben wollen.
Sie hatte das kommunistische Polen verlassen, lebte von 1985 bis 1990 in
München, studierte Theaterwissenschaften und Deutsch als Fremdsprache,
beantragte politisches Asyl, heiratete einen Deutschen, ließ sich wieder
scheiden – und zog ein Jahr nach der Wende 1989 nach Polen zurück. „Die
Aufbruchstimmung in Polen wollte ich unbedingt. Ich wollte dabei sein!,
erklärt sie.
Dort begann sie für die Lokalausgabe der Gazeta Wyborcza (Wahlzeitung) in
Posen zu schreiben, wechselte dann zum öffentlich-rechtlichen
Regionalfernsehen in Posen und wurde 2002 Chefredakteurin beim privaten
Radiosender Tok FM in Warschau. „Damals war der Sender ein unbedeutender
Dudelfunk“, lacht sie. „Aber ich bekam freie Hand und konnte etwas
vollkommen Neues aufbauen. Heute ist Tok FM das bedeutendste Publizistik-
und Informationsradio in Polen.“
Sie hält inne und lacht. Ein Radfahrer, über und über behängt mit Gemüse
bahnt sich den Weg durch die Menge. Am Rahmen befestigt ist eine große
EU-Flagge. Die Anspielung auf das Interview von Außenminister Witold
Waszczykowski in der Bild-Zeitung versteht jeder. Anfang Januar hatte er
das umstrittene Mediengesetz seiner Partei gegen die konservative
Vorgängerregierung verteidigt, die angeblich nach dem Prinzip regiert
hätte, „als müsse sich die Welt nach marxistischem Vorbild automatisch in
nur eine Richtung bewegen – zu einem neuen Mix von Kulturen und Rassen,
einer Welt aus Radfahrern und Vegetariern, die nur noch auf erneuerbare
Energien setzen und gegen jede Form der Religion kämpfen. Das hat mit
traditionellen polnischen Werten nichts mehr zu tun.“
## Tausende Demonstranten
Wanat lacht. Sie ist selbst überzeugte Radfahrerin. Doch lange
stehenbleiben kann sie nicht. Neben dem Rednerpodest warten schon die
KOD-Aktivisten auf sie und winken. Gleich ist sie selbst dran. Ewa Wanat
atmet tief durch und greift nach dem Mikrofon. Groß vorstellen muss sie
sich nicht. Alle kennen die streitbare Radiojournalistin.
„Lasst euch nicht länger vergewaltigen! Erlaubt nicht, dass sie euch das
Rückgrat brechen“, appelliert sie unerwartet scharf an die Journalisten im
öffentlich-rechtlichen Radio und Fernsehen. „Am unwichtigsten ist der
Intendant. Wie ihr gerade gesehen habt, kann man den innerhalb von fünf
Minuten austauschen, ohne dass es auch nur irgend ein Zuschauer oder
Zuhörer bemerkt.“
Wichtig seien diejenigen, die das Programm machten, die Journalisten,
Produzenten und Kameraleute. Sie streckt sich. Klar und entschieden klingt
ihre Stimme über den Platz: „Ich fordere euch hiermit zum Streik auf! Wenn
die Journalisten nicht zur Arbeit kommen, und es statt Informationen nur
Rauschen im Radio und Schnee im Fernsehen gibt, werden sie verstehen, dass
sie nicht alles machen könne, was sie wollen.“ Tausende Demonstranten rufen
„Wolnosc slowa – Meinungsfreiheit“.
Doch Ewa Wanat ist noch nicht fertig. „Ich rufe auch die
Oppositionspolitiker auf, die Künstler und Experten, die PiS-Medien zu
boykottieren und keine Einladungen ins Studio mehr anzunehmen. Und zum
Schluss noch ein Wort an die Zuschauer und Zuhörer: Seht und hört nicht
ihre Programme! Das wird die beste Lektion für sie sein. Wehrt euch! Die
Freiheit des Wortes ist am wichtigsten!“
16 Jan 2016
## AUTOREN
Gabriele Lesser
## TAGS
Polen
Polen
Polen
Polen
Polen
Polen
Polen
Polen
Polen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Reaktionen auf kritische Medienberichte: Post aus Polen
Seitdem die PiS regiert, erhalten deutsche Redaktionen massenhaft Briefe
aus dem Nachbarland. Auch der Botschafter schaltet sich ein.
PiS-Herrschaft in Polen: Zurück in die Diktatur
Das Verfassungsgericht erklärt eine Justizreform für verfassungswidrig, die
Regierung ignoriert das. Vor allem junge Leute treibt das auf die Straße.
Demonstration in Warschau: Tausende gegen Demokratieabbau
In Warschau demonstrieren Tausende gegen die nationalkonservative Regierung
Polens. Viele marschieren auch für den einstigen Arbeiterführer Walesa.
Vergangenheitsbewältigung in Polen: Spitzelvorwürfe gegen Lech Wałęsa
Der polnische Ex-Präsident soll für den kommunistischen Geheimdienst
gearbeitet haben. Er bestreitet das: Eine angebliche Personalakte sei
gefälscht.
Links-Oppositionelle über Polens Krise: „Politik des Dialogs, nicht der Wut�…
Die junge Partei Razem will Politik für sozial Benachteiligte machen – und
kritisiert den autoritären Ansatz der Regierung, erklärt Aleksandra Cacha.
Polens neuer Generalstaatsanwalt: Ziobro, der Allmächtige
Der Justizminister der PiS wird oberster Staatsanwalt. In dieser
Doppelfunktion gab Zbigniew Ziobro schon einmal den erbarmungslosen
Sheriff.
Rechtsstaatsverfahren der EU: Bloß keine Polemik gegen Polen
Die Europäische Kommission löst erstmals ein neues Prüfverfahren gegen
Polen aus. Von Sanktionen ist vorerst keine Rede.
EU diskutiert Mediengesetz in Polen: Keine Sanktionen gegen Polen
Brüssel prüft Verstöße der polnischen Regierung gegen das europäische
Regelwerk. Und EU-Kommissar Oettinger droht eine schwere Schlappe.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.