# taz.de -- NPD-Verbotsverfahren in Karlsruhe: „Eine sehr aktive Struktur“ | |
> Ein Verbot der NPD hilft nicht, sagt Rechtsextremismus-Experte Carl | |
> Chung. Die Politik brauche eine Strategie, um enttäuschte BürgerInnen | |
> einzusammeln. | |
Bild: Demo ist gut - Verbot ist besser. | |
taz: Herr Chung, ab heute verhandelt das Bundesverfassungsgericht in | |
Karlsruhe über ein Verbot der NPD. Fänden Sie das gut und politisch klug? | |
Carl Chung: Auf der einen Seite ist die Frage, was passiert, wenn das | |
Verfahren scheitert. Teile der Bevölkerung würden das sicher als | |
„Ritterschlag“ der NPD zur ganz normalen Partei werten, was ein Problem | |
wäre. Wenn man andererseits überlegt, was die Partei an Steuergeldern | |
bekommt, kann ich den Wunsch, die Partei zu verbieten, absolut | |
nachvollziehen. Zumal es aus meiner Sicht genug Hinweise darauf gibt, dass | |
es sich um eine verfassungswidrige Organisation handelt, die die | |
wesentlichen Normen unseres Zusammenlebens bekämpft. Nur: Auch dann muss es | |
eigentlich um die politische Auseinandersetzung mit der NPD gehen – die | |
Anhänger und Wähler sind ja mit einem Verbot nicht einfach weg. | |
Wo gehen die dann hin? | |
Auch in Berlin gibt es Auffangbecken wie „Die Rechte“, „Der Dritte Weg“, | |
die noch radikaler und militanter sind. Und gerade die Teile der NPD, die | |
aus der Kameradschaftsszene sind, haben dann einen Anlass, sich noch | |
stärker zu radikalisieren und in Strukturen zu bewegen, die noch schwerer | |
aufzuklären sind als die NPD. Die NPD ist ja vom Verfassungsschutz | |
hauptsächlich aus öffentlich zugänglichen Quellen beobachtet worden, das | |
wird schwieriger, je konspirativer die Strukturen sind. | |
Wie stark ist die Partei hier? | |
Die Partei hat eine gewisse Anhängerschaft in bestimmten Bezirken, vor | |
allem in Marzahn-Hellersdorf, in Lichtenberg, Pankow und Treptow-Köpenick. | |
Dort gibt es einen harten Kern an NPD-Wählerschaft. Bei vergangenen Wahlen | |
konnte sie etwa in Marzahn-Hellersdorf 3 bis 4 Prozent holen. Durch die | |
Kampagnen in den letzten ein, zwei Jahren gegen Flüchtlingsheime konnte sie | |
auch einen gewissen Zulauf verzeichnen. Bei den jungen Leuten allerdings | |
ist die Zustimmung zur NPD in den vergangenen Jahren eher zurückgegangen. | |
Von einer besonders starken Struktur in Berlin kann man also nicht reden, | |
aber von einer sehr aktiven, die gerade, was die Unterwanderung und | |
Steuerung von Flüchtlingsgegner-Kampagnen angeht, nicht zu unterschätzen | |
ist. | |
Was für Milieus sind das in Berlin, die die NPD unterstützen? | |
Im Prinzip die gleichen wie woanders. Die Mehrheit ist eher weniger | |
gebildet, was nicht heißt, dass nicht auch Leute mit Abitur und Studium NPD | |
wählen. Zudem sind es eher Leute, die sich an den Rand gedrängt fühlen und | |
kein so gutes Einkommen haben. Die sich von der Politik übergangen fühlen, | |
auch in Quartieren wohnen, die jetzt nicht als die Boom-Zentren von Berlin | |
gelten können. Menschen, die sich insgesamt vernachlässigt fühlen und kein | |
Vertrauen in politische Institutionen haben, weder in Deutschland noch auf | |
EU-Ebene. Genau da, wo diese Demokratiedistanz grassiert, gibt es für die | |
NPD Möglichkeiten zur Ansprache. Das heißt nicht, dass alle | |
Rechtsaußen-Wähler gefestigte Rechtsextremisten sind. Insgesamt verliert in | |
der Gesellschaft ja das Völkisch-Rassistische eher an Bedeutung. Das | |
Milieu, das die NPD gerade mit den Flüchtlingsprotesten angesprochen hat, | |
könnte auch AfD oder Republikaner wählen – Hauptsache, jemanden, der „den… | |
da oben“ einen „rechten“ Denkzettel verpasst. | |
Was ist mit der AfD? Wenn die NPD verboten wird, profitiert sie davon? | |
Als organisierte Parteistruktur ist sie ja ganz am Anfang. Was die mögliche | |
Wählerbasis angeht, ist das natürlich anders. Ich wäre sehr vorsichtig, die | |
AfD mit dem klassischen völkischen Rechtsextremismus à la NPD in denselben | |
Topf zu schmeißen. Aber es gibt Überschneidungen. Bei einem Verbot würden | |
die bürgerlichen Teile der NPD sicher in Richtung AfD abwandern. Die | |
radikaleren Teile gehen wohl aber eher zu Parteien wie „Dritter Weg“ oder | |
in Brandenburg zu den Kameradschaften. Die Szene würde sich also | |
zersplittern. Es könnte sich auch die AfD weiter nach rechts | |
radikalisieren. | |
Was passiert in den Bezirken, wenn die NPD verboten wird – dort ist sie ja | |
in manchen Parlamenten vertreten? | |
Die Wahlergebnisse für die AfD werden wohl um 1, 2 Prozent steigen. Aber an | |
den Herausforderungen ändert das nichts. Die Frage ist doch, wie erreichen | |
wir die Milieus, die sich abgehängt fühlen, wie führen wir die Gesellschaft | |
wieder als solidarische und demokratische zusammen – wo sie gerade an | |
vielen Ecken eher Segregationstendenzen folgt. Denn genau davon profitiert | |
Rechtsaußen, egal ob im demokratisch-legalen Spektrum wie die AfD oder ob | |
im rechtsextremen Spektrum wie NPD, „Die Rechte“ oder „Dritter Weg“. Die | |
Herausforderung ist, dass die Gesellschaft als Ganzes deutlich Stellung | |
bezieht: dass es nicht nur 80 Prozent sind, die die militanten Aktionen von | |
Flüchtlingsgegnern ablehnen, sondern über 90 Prozent. Das löst man weder | |
mit Verboten noch mit repressiven Mitteln. | |
2 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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