| # taz.de -- Tarantino-Film „The Hateful Eight“: Der Bürgerkrieg an der Bar | |
| > Alte Kamera-Objektive, eigens hergestellter 65-mm-Negativfilm, | |
| > Starbesetzung. Kein Aufwand war zu groß für den Western „The Hateful | |
| > Eight“. | |
| Bild: Sieht gar nicht so analog aus: Samuel L. Jackson auf 65-mm-Negativfilm. | |
| Eile ist angesagt. Ärgerlich ist für den Kopfgeldjäger John „The Hangman“ | |
| Ruth (Kurt Russell) und die Mörderin Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh), | |
| dass gleich zu Beginn ein Mann ihrer Kutsche den Weg versperrt: Der | |
| schwarze ehemalige Nordstaaten-Kavallerieoffizier Major Marquis Warren | |
| (Samuel L. Jackson) will mitsamt einem Stapel Leichen mit in die nächste | |
| Stadt. Sein Pferd hat es nicht über den winterlichen Berg geschafft und die | |
| Leichen müssen nach Red Rock, um das Kopfgeld zu kassieren. | |
| Ein Blizzard sitzt den Protagonisten von Quentin Tarantinos „The Hateful | |
| Eight“ auf ihrem Weg durch das winterliche Wyoming im Nacken. Eilig werden | |
| die Leichen aufs Dach der Kutsche verfrachtet, die Fahrt wird fortgesetzt. | |
| In der Diskussion zwischen Warren und seinem Kopfgeldjägerkollegen John ist | |
| das eine Frage der Arbeitsökonomie. | |
| Wenig später gesellt sich der frisch gewählte Sheriff von Red Rock hinzu: | |
| Der ehemalige Südstaatensoldat Chris Mannix (Walton Goggins) ist auf dem | |
| Weg zu seinem neuen Arbeitsplatz im Schnee stecken geblieben. Schon bis zur | |
| nächsten Kutschenstation wird klar, dass die frische Vergangenheit des | |
| Bürgerkriegs immer wieder an die Oberfläche dringt. | |
| Der Film nutzt die kurze Zeit, ehe der Schneesturm losbricht. Die Bilder | |
| vom sonnenbeschienenen Schnee sind so prachtvoll, man würde verweilen, | |
| wären da nicht die aufziehenden Sturmwolken. Ein kurzes Mal klingt jener | |
| Sound an, der Ennio Morricone berühmt gemacht hat und dem Italowestern der | |
| späten 1960er Jahre zu Weltruhm verhalf: die wie ein Instrument genutzten | |
| Sopranstimmen, die die Weite der Landschaft und die Epik der Handlung | |
| gleichermaßen in Töne fassen. | |
| ## Bürgerkriegskonflikte brechen hervor | |
| In der Kutschenstation angekommen, treffen die vier Passagiere auf den | |
| Mexikaner Bob (Demian Bichir), den Briten Oswaldo Mobray (Tim Roth), der | |
| sich als der Henker der Gegend vorstellt, den Südstaatengeneral Sandfort | |
| Smithers (Bruce Dern) und den schweigsamen Cowboy Joe Gage (Michael | |
| Madsen). | |
| Stärker noch als in der Kutsche brechen die Bürgerkriegskonflikte hervor, | |
| als Warren in Sandfort Smithers einen selbst für Südstaatenverhältnisse | |
| besonders rassistischen General wiedererkennt, der eine ganze schwarze | |
| Nordstaateneinheit erschießen ließ. Als die Konflikte eskalieren, schlägt | |
| der in Fragen des Bürgerkriegs neutrale Brite Mobray vor, den Raum in eine | |
| Nord- und eine Südstaatenzone zu teilen: Die Bar ist Philadelphia, der | |
| Kamin Georgia und der Esstisch neutrale Zone. | |
| Die Zeiten, in denen Tarantino mit jedem Film das Genre wechselte, scheinen | |
| vorbei: „The Hateful Eight“ ist – rechnet man „Inglourious Basterds“ … | |
| bereits der dritte Western unter den acht Filmen, die Tarantino bislang | |
| realisiert hat (und er wird nicht müde zu betonen, dass nach zehn Filmen | |
| überhaupt Schluss sein soll mit dem Filmemachen). Es ist verlockend, in | |
| diesem Insistieren eine Aufforderung an die amerikanische Filmindustrie zu | |
| sehen. | |
| Als die US-Westernproduktion Ende der 1950er Jahre auf der Stelle zu treten | |
| begann, kam die Erneuerung des Genres unerwarteterweise aus Europa. War der | |
| Italowestern doch keineswegs nur der lümmelige, dreckige, gewaltlüsterne | |
| Bruder des amerikanischen Westerns, sondern brachte mit seiner Kombination | |
| von genretypischen Versatzstücken (dem Zynismus und der Groteske) und | |
| Avantgardeelementen (der Filmmusik, der Farbgestaltung) eine Verjüngungskur | |
| für das Genre hervor. | |
| Der politische Subtext der italienischen Western fiel beim Re-import nach | |
| Amerika größtenteils weg. Übrig blieb der Kampf für Gerechtigkeit auf | |
| scheinbar verlorenem Posten, bissige Dialoge, prachtvolle Bilder, der Hang | |
| zum Pathos. | |
| Zugleich lässt sich die Hinwendung zum Western auch als kritische | |
| Intervention zur amerikanischen Gegenwart verstehen. Tarantinos Engagement | |
| in der Bewegung „Black lives matter“ schlägt sich filmisch nieder, indem | |
| nicht länger das so dankbare wie schlichte Feindbild der Nazideutschen | |
| bekämpft wird, sondern – in „The Hateful Eight“ noch mehr als in „Djan… | |
| Unchained“ – die Geister der amerikanischen Vergangenheit attackiert | |
| werden. | |
| In dieser Perspektive verleihen die Breitbandbilder dem Film Bedeutung und | |
| rücken ihn in eine Reihe mit den großen heroischen Darstellungen der | |
| Vergangenheit im Historienfilm der 1960er Jahre oder dem Ringen zwischen | |
| dem skrupellosen Eisenbahnunternehmer und dem wortkargen Revolverhelden in | |
| Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“. | |
| Auch wenn der amerikanische Bürgerkrieg in Wirklichkeit deutlich komplexer | |
| war als ein Kampf des Nordens gegen ein Reich des Rassismus im Süden, dient | |
| diese Gegenüberstellung dazu, um in der Figur Warren schwarze | |
| Handlungsspielräume in einem rassistischen Umfeld in den Blick zu nehmen. | |
| Die Bedeutung, die diese Figur hat, wird auch im Bild unterstrichen: Als | |
| Warren vom Zusammentreffen mit dem Sohn des Südstaatengenerals erzählt, ist | |
| er frontal mittig im Bild zu sehen, spricht gleichsam ins Off des | |
| Zuschauerraums hinein. | |
| ## Tarantino ist der radikalste der Analogfilmaktivisten | |
| Der politisch-bewussten Inszenierung nichtweißer Rollen steht nichts | |
| Gleichwertiges in Bezug auf Gender und sexuelle Identität gegenüber. So | |
| sehr sich die Frauenfiguren in seinen Filmen wohltuend von denen vieler | |
| Hollywoodproduktionen abheben, so bleiben die Filme doch arg männerlastig. | |
| Hier fordert das Kino der Schauwerte seinen Preis. | |
| Unter den Analogfilmaktivisten in Hollywood ist Tarantino vielleicht der | |
| radikalste. „The Hateful Eight“ ist nicht auf konventionellem analogem | |
| Filmmaterial mit einer Breite von 35 mm gedreht, sondern auf prachtvollem | |
| 65-mm-Negativfilm, der auf 70-mm-Filmmaterial ausbelichtet wurde. Um das | |
| Format noch weiter auszureizen, wurde für den Film das | |
| Ultra-Panavision-70-Verfahren wiederbelebt, eines jener Breitwandverfahren, | |
| mit denen sich das Kino in den 1950er und 1960er Jahren der Konkurrenz | |
| durch das Fernsehen zu erwehren versuchte. | |
| Der Aufwand war enorm: Der Filmhersteller Kodak wurde bewegt, das | |
| Filmmaterial herzustellen. Mitarbeiter von Panavision kramten in | |
| Archivkisten und förderten alte Kameraobjektive zutage. Während die | |
| Ultra-Panavision-70-Filme der 1960er Jahre das Format vor allem in | |
| spektakulären Massenszenen und Monumentalaufnahmen zur Geltung bringen | |
| wollten, nutzt Kameramann Robert Richardson das Format in der ganzen | |
| Bandbreite seiner Möglichkeiten. Betont das Bildformat in den | |
| Landschaftsaufnahmen die endlose Weite, so unterstreicht es in den | |
| Innenaufnahmen in der Kutschenstation die Begrenztheit des Raums. | |
| Mit riesigem Aufwand betont Tarantino in „The Hateful Eight“ die Kraft des | |
| populären Kinos: Wer sich in den 1970er Jahren an die Spielregeln des | |
| Genres hielt, konnte visuell und inhaltlich weitgehend tun, was er wollte. | |
| Vor allem mit Blick auf visuelle Experimente beraubt sich die amerikanische | |
| Filmindustrie heute weitgehend dieser Freiheit. Wenn sich aus Tarantinos | |
| Film eine Forderung ableiten lässt, dann die nach der Wiederentdeckung der | |
| Spielwiese Kino. | |
| 27 Jan 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Fabian Tietke | |
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